Professoren sehen in der Arbeit des niedersächsischen Kultusministers Betrug. Hochschulverband warnt vor einer Vorverurteilung.
Hannover/München. Hat er betrogen oder nicht? Die Mängel in der Doktorarbeit von Niedersachsens Kultusminister Bernd Althusmann (CDU) sind nach Expertenmeinung nicht als handwerkliche Fehler zu entschuldigen. „Wer bei wörtlichen Zitaten die Anführungszeichen weglässt, will eine fremde Leistung als eigene ausgeben“, sagte Prof. Manuel René Theisen, Autor des Standardwerks „Wissenschaftliches Arbeiten“, im Gespräch. „Alle, die das als Doktoranden machen, wissen, dass das Betrug ist.“
Althusmann hatte sich am Mittwoch für mögliche handwerkliche Fehler in seiner Dissertation entschuldigt. Nach einer Analyse der „Zeit“ hat der Präsident der Kultusministerkonferenz darin dutzendfach gegen wissenschaftliche Regeln verstoßen.
Vor einer Vorverurteilung Althusmanns (CDU) warnte dagegen der Präsident des Deutschen Hochschulverbands Bernhard Kempen. Es sei vorschnell, zu diesem Zeitpunkt schon von einem Plagiat zu sprechen. „Es gibt sicherlich Abstufungen: Wenn einer ohne Quellenhinweis seitenweise abschreibt, wiegt das schwerer als wenn nur an vereinzelten Stellen ungenau zitiert wird“, sagte der Kölner Juraprofessor der dpa. Im Fall Althusmann müsse jetzt die Prüfung der Universität Potsdam abgewartet werden.
„Unter Umständen sind Flüchtigkeitsfehler im Zuge der Überprüfung der Quellen passiert“, war Althusmanns Erklärung am Mittwoch, von einer Täuschungsabsicht könne aber keine Rede sein. Es gebe seines Wissens auch keine einheitlichen Standards für Zitierweisen an deutschen Universitäten, hatte der Minister erklärt.
„Das ist grober Unfug. Es gibt ganz klare Regeln“, betonte dagegen Prof. Theisen. Ihn ärgere maßlos, dass Politiker eklatante Mängel in ihren Doktorarbeiten als „Methodenschwäche“ bagatellisierten. Ohne Frage schlampten auch Doktorväter und -mütter gelegentlich bei der Prüfung der Promotionsschriften. „Das ist aber kein Argument, die Betrüger selbst zu entlasten.“
Auch die Präsidentin der deutschen Hochschulrektorenkonferenz, Prof. Margret Wintermantel, erklärte auf Anfrage: „Wenn es sich nicht um einzelne Nachlässigkeiten, sondern erkennbar um eine planmäßige Verschleierung der Herkunft von Gedankengut handelt, ist das eindeutig wissenschaftliches Fehlverhalten.“
Die prominenten Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und Silvana Koch-Mehrin (FDP) wurden als Plagiatoren überführt. Unter anderem wird derzeit die Promotion des FDP-Europaabgeordneten Jorgo Chatzimarkakis geprüft.
Der Diebstahl geistigen Eigentums sei kein Kavaliersdelikt, betonte Prof. Theisen. „Lassen wir uns von Politikern nicht solchen Unsinn erzählen.“ Es sei fast ausgeschlossen, neben einem politischen Amt seriös eine Doktorarbeit zu verfassen.
Als Althusmann 2007 seine 270-seitige Dissertation einreichte, war er bereits parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag. Der Pastorensohn hatte zuvor ein Pädagogikstudium an der Bundeswehruniversität Hamburg abgeschlossen und danach an der Süddeutschen Hochschule (FH) für Berufstätige in Lahr Betriebswirtschaft studiert. (dpa)
Prominente Plagiats-"Opfer":
KARL-THEODOR ZU GUTTENBERG (CSU) – In der Doktorarbeit des damaligen Verteidigungsministers wurden im Februar Plagiate entdeckt. Wenig später erkannte ihm die Uni Bayreuth den Doktortitel ab. Nach heftigen Protesten der Opposition und in der Bevölkerung trat Guttenberg im März von seinen Ämtern zurück. Die Uni Bayreuth erklärte in ihrem Abschlussbericht, dass der CSU-Politiker vorsätzlich getäuscht habe. Nach dem Fall zu Guttenberg haben sich im Internet unzählige Menschen zusammengetan und Doktorarbeiten von weiteren Prominenten auf Plagiate durchsucht.
SILVANA KOCH-MEHRIN (FDP) – Rund 120 Stellen in der Doktorarbeit der Europapolitikerin waren ohne Angaben der Quelle abgeschrieben. Die Universität Heidelberg entzog ihr deshalb im Mitte Juni ihren Doktortitel. Koch-Mehrin war bereits im Mai nach Bekanntwerden der Vorwürfe von ihre Posten als Vorsitzende der FDP im Europaparlament und als Vizepräsidentin des Europaparlaments zurückgetreten. Nach der Aberkennung ihres Doktortitels geriet sie dann noch einmal in die Schlagzeilen, als sie überraschend Vollmitglied im Forschungsausschuss des EU-Parlaments wurde. Nach massivem Protest aus der Wissenschaft gab sie schließlich auch diesen Posten ab.
JORGO CHATZIMARKAKIS (FDP ) – Der Europaabgeordnete wehrt sich derzeit gegen die mögliche Aberkennung seines Doktortitels. Nachdem im Internet Plagiats-Vorwürfe laut geworden waren, prüft nun die Universität Bonn Chatzimarkakis Dissertation. Eine Entscheidung über die Aberkennung des Doktortitels gibt es noch nicht. Der FDP-Politiker betont, er habe keinen einzigen Text aus einem Werk übernommen, das er nicht erwähnt habe.
DIETER JASPER (CDU) – Der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete wurde Anfang Mai zu einer Geldstrafe von 5000 Euro verurteilt, weil er einen Doktortitel zu Unrecht geführt hat. Jasper hatte den Doktortitel der Wirtschaftswissenschaften 2004 an einer Universität in der Schweiz erworben, die gegen Geld akademische Grade vergeben soll. Im Wahlkampf hatte der CDU-Kandidat mit diesem Titel auf Plakaten und Broschüren geworben.
KAI SCHÜRHOLT (CDU) – Der Oberbürgermeisterkandidat der Landauer CDU hatte sich 2007 im Wahlkampf mit einem Doktortitel geschmückt, obwohl er seine Promotion noch längst nicht abgeschlossen hatte. Als der Schwindel aufzufliegen drohte, erfand Schürholt eine Tumorerkrankung, um aus dem Wahlkampf in der rheinland-pfälzischen Kommune aussteigen zu können. Das Amtsgericht Landau verurteilte den studierten Theologen im Juni 2009 wegen Titelmissbrauchs zu einer Geldstrafe von 7500 Euro.