Bei Planungsbeginn zum Kanal-Ausbau fehlte Rajensdorf in den Karten. Nun ist der Ort verzeichnet, doch die Bewohner fühlen sich weiter vergessen.

Quarnbek. Das Haus von Gesine und Harald Nissen liegt idyllisch am Rand der kleinen Ortschaft Quarnbek-Rajensdorf nahe Kiel. Vom Wohnzimmerfenster können sie auf den Nord-Ostsee-Kanal (NOK) blicken, nur wenige Meter hinter ihrem Garten fällt die Böschung steil hinab ans Ufer des Kanals. Dass der NOK die meist befahrene künstliche Wasserstraße der Welt ist, ist an diesem Vormittag nicht zu merken. Innerhalb von zweieinhalb Stunden passiert ein Schiff das Haus.

Dennoch soll hier eine der größten Baustellen Schleswig-Holsteins entstehen: Der Nord-Ostsee-Kanal soll an dieser Stelle begradigt werden, damit auch größere Schiffe die Wasserstraße passieren können. Für die Nissens und die anderen Anwohner heißt das: Baulärm fast rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr.

Zudem befürchten sie, dass aufgrund der Bodenbeschaffenheit ganze Teile ihrer Grundstücke abrutschen und das Wohnhaus der Nissens durch Vibrationen beim Bau oder Bodenbewegungen einstürzen könnte. Wenn der Kanal dann verbreitert ist, würden die Schiffsemissionen näher rücken, besonders bei einem flachen Böschungswinkel. Dies sind nur einige der Einwände, die die Nissens im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens eingebracht haben. Allein die Rajensdorfer Bürger haben knapp 40 Einwände vorgebracht. Insgesamt sind es mehrere hundert.

Was die betroffenen Anwohner nicht verstehen ist, warum der Kanal ausgerechnet an dieser Stelle begradigt werden muss und nicht ein paar hundert Meter hinter der Dorfgrenze begonnen und der Kurvenradius geringfügig geändert wird. „Hinter dem Dorf ist sechs Kilometer lang nichts, nur Felder“, sagt Harald Nissen. Seine Frau ist sicher: Rajensdorf hat keine Lobby. „Hier wohnen 130 Menschen, da kriegen sie nicht wie bei Stuttgart 21 Zehntausende Menschen auf die Straße.“

Und ähnlich wie bei der Demonstration gegen das umstrittene Großprojekt stört sie nicht einmal, die Baustelle an sich und dass ihr Grundstück den Bauarbeiten ein Stück weit zum Opfer fällt, sondern wie mit ihnen umgegangen wird. „Wir sind so betroffen, weil die Bürger nicht gehört wurden“, sagte Gesine Ryll-Nissen.

Zu Beginn der Planungen im Jahr 2003 war die kleine Ortschaft nicht einmal in den Karten verzeichnet, die als Grundlage für die Planungen dienten. „Wir wurden komplett vergessen.“ Erst nach einer Ortsbegehung wurde das Dorf in den Karten vermerkt, aber geändert habe sich an der Planung nichts, „obwohl wir bereits 2004 darauf hingewiesen haben, dass doch ein Stück weiter hinten mit der Verbreiterung begonnen werden könnte“. Die Sprecherin der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord (WSD), Claudia Thoma, versichert hingegen, alle Einwände würden ernst genommen, geprüft und abgewogen.

„Wir wollen den Ausbau nicht verhindern“, sagt Nissen. Aber es soll vernünftig geplant werden. Seiner Ansicht nach sei dafür auch Zeit, denn der Schiffsverkehr habe in den vergangenen Jahren nachgelassen. Unterstützung erhält Nissen für seinen Wunsch, möglichst spät mit dem Ausbau zu beginnen, indirekt vom Bund. In der Prioritätenliste des Bundesverkehrsministers ist der NOK-Ausbau nach hinten gerutscht, Elb- und Weservertiefung sollen Vorrang haben. Der Ausbau des NOK verzögert sich wahrscheinlich um zwei Jahre.

Für die Politiker im Land ist der Ausbau des Kanals indes immens wichtig. Die Verzögerung sei misslich, sagt Kiels Verkehrsminister Jost de Jager (CDU). Der Nord-Ostsee-Kanal, der immerhin 3000 Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein binde, müsse wettbewerbsfähig gehalten werden. Sogar die Grünen sind für die Großbaustelle. „Das ist eine superwichtige Verkehrsader für Schleswig-Holstein“, sagt der Fraktionschef im Kieler Landtag, Robert Habeck. Wenn das Geld aus Berlin nicht für alle Großprojekte im Land reiche, müssten andere Projekte wie etwa die Fehmarnbeltquerung herabgestuft werden.

Schleswig-Holstein brauche den Kanal dringend, nicht zuletzt aus Umweltgründen. „Jedes Schiff, das nicht über Skagen in Nord- oder Ostsee fährt, erspart der Umwelt den Verbrauch von Schweröl und schont das Klima“, heißt es bei den Grünen, die das Thema so wichtig finden, dass sie für die (heutige) Landtagssitzung eine Aktuelle Stunde zum Kanalausbau beantragt haben.