Greenpeace kommt nach der Akteneinsicht zu dem Entschluss: Gorleben hätte niemals als mögliches Endlager zugelassen werden dürfen.
Berlin. Der niedersächsische Salzstock Gorleben hätte nach Einschätzung von Greenpeace niemals als atomares Endlager infrage kommen dürfen. Das sollen bislang unbekannte Behördenakten aus den 70er Jahre belegen, die die Umweltorganisation am Dienstag in Berlin vorstellte.
Darin zeige sich, dass damals Wassereinlagerungen „verschwiegen wurden, die zum Ausschluss des Standortes hätten führen müssen“, erläuterte Greenpeace-Atomexperte Mathias Edler. Derzeit befasst sich auch ein Untersuchungssauschuss des Bundestags mit Gorleben. Belegt werde in den Unterlagen zudem, dass die Auswahl von Gorleben unter dem damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) politisch motiviert und wissenschaftlich nicht abgesichert war.
Albrecht wird in einer Notiz von 1977 mit den Worten zitiert, das Endlager werde „entweder bei Gorleben oder überhaupt nicht in Niedersachsen gebaut“. Niedersachsens Umweltministerium in Hannover erklärte jedoch, bei den Wassereinlagerungen in Gorleben handle es sich – ganz anders als beim einsturzgefährdeten Atommülllager Asse – um Laugen fossiler Art. Das heißt, sie resultieren aus der Entstehungsphase der Salzstöcke vor Millionen Jahren. Die Landesregierung habe Greenpeace die Akten zur Verfügung gestellt, von Geheimpapieren könne keine Rede sein, sagte die Sprecherin des Umweltministeriums.
Eine Veröffentlichung der Akten sehe die Behörde gelassen. Nach einem Dokument vom Februar 1976 werden in einer geologischen Studie für die Kernbrennstoff-Wiederaufbereitungsgesellschaft (KEWA) die niedersächsischen Standorte Börger, Weesen-Lutterloh und Ahlden favorisiert. Eine Studie des TÜV Hannover sprach sich im gleichen Jahr für das schleswig-holsteinische Nieby aus. In beiden Dokumenten ist von Gorleben keine Rede.
Der Salzstock im Wendland an der damaligen innerdeutschen Grenze taucht erst im November 1976 durch eine schriftliche Notiz in den vorliegenden Unterlagen auf – drei Monate vor der Entscheidung der niedersächsischen Landesregierung für eine Erkundung von Gorleben. Vor diesem Hintergrund forderte die atompolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sylvia Kotting-Uhl: „Die Gorleben-Historie ist ein Sumpf, der trocken gelegt werden muss.“
Die Grünen- Vorsitzende Claudia Roth nannte es einen „atompolitischen Wahnsinnskurs“, dass die jetzige Bundesregierung am Standort Gorleben festhalten wolle. Auch Edler rief zur Aufgabe des Standorts auf. Der jetzige Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) will den vor zehn Jahren von Rot-Grün verhängten Erkundungsstopp für den Salzstock aufheben.
Greenpeace will die Akten nach und nach ins Internet stellen. Die Organisation stützt den Anspruch auf Akteneinsicht bei der Landesregierung auf das Umweltinformationsgesetz. „Bis jetzt konnten 110 Aktenbände mit vertraulichen Kabinettsvorlagen, Gesprächsprotokollen, Vermerken und Studien mit mehr als 12000 Einzelseiten ausgewertet werden“, sagte Edler. In den 80er Jahren hatte sich auch die damalige Bundesregierung von Helmut Kohl (CDU) für Gorleben ausgesprochen. Ob fachliche Erwägungen bei der Entscheidung die Hauptrolle spielten oder ob damals Gutachten aus politischen Gründen manipuliert wurden, soll ein Ende März eingesetzter Untersuchungsausschuss des Bundestags klären.