SPD, Grüne und SSW starteten am Mittwoch in Kiel ihre Verhandlungen für eine Landesregierung. Klar ist: Alle wollen die Schuldenbremse einhalten.
Kiel. Schöne Ziele, gute Stimmung, finanzielle Daumenschrauben – SPD, Grüne und SSW steuern im Norden eine Wunschkoalition unter schwierigen Bedingungen an. Die Verhandlungen begannen mit dem härtesten Thema, dem Haushalt.
Lachende Gesichter, Umarmungen, Küsschen – ganz gelöst haben SPD, Grüne und SSW (Südschleswigscher Wählerverband) am Mittwoch in Kiel ihre Koalitionsverhandlungen begonnen. Die Stimmung ist viel besser als die Lage des Landes. Der designierte Ministerpräsident Torsten Albig von der SPD will mit der deutschen „Dänen-Ampel“ in dem mit 27 Milliarden Euro verschuldeten Land die Kleinkinderbetreuung ausbauen, Bildung und Öko-Landbau stärken, Mittelkürzungen für Blinde und Frauenhäuser teils wettmachen, soziale Reparaturkosten eindämmen. Viele Wünsche stehen auf dem Zettel. Der Block mit Maßnahmen zur Gegenfinanzierung ist viel leerer, bestätigt ein Mitglied der 36-köpfigen Verhandlungsrunde.
15.05 Uhr, SPD-Landeschef Ralf Stegner läutet die Glocke, die Journalisten müssen raus. Es wird ernst für die nächsten Stunden, Tage und Jahre. Die Leitplanken für die Gespräche, die am 3. Juni enden sollen, setzt die Schuldenbremse. Jahr für Jahr muss das Land die von Konjunkturschwankungen unabhängige Lücke zwischen Ausgaben und Einnahmen um über 100 Millionen Euro verringern, um ab 2020 wie von der Verfassung vorgegeben ohne neue Schulden auszukommen. Den harten Sparkurs der schwarz-gelben Vorgängerregierung von Peter Harry Carstensen kann Rot-Grün-Blau – blau ist die Farbe des dänisch orientierten SSW – also nicht einfach in den Wind schreiben. „Wir müssen knallhart Prioritäten setzen“, sieht auch Anke Spoorendonk ein, die Fraktionschefin des eher ausgabefreudigen SSW.
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+++ Quo vadis, Kiel? +++
Albig gibt sich sehr zuversichtlich. „Wir werden feststellen, dass wir jede Hürde aus dem Weg räumen werden, die da noch stehen mag“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. „Die Stimmung ist sehr offen, sehr zugewandt, aber auch sehr ernsthaft – das ist keine Witzveranstaltung, sondern wir arbeiten an der Zukunft des Landes.“
Alle drei Parteien versichern, die Schuldenbremse einzuhalten - das müssen sie auch. „Kein Koalitionsvertrag gegen Adam Riese“ sagen die Grünen, die zuweilen Zweifel am Sparwillen der Partner signalisieren. Sie wollen mit ihrer Haushaltsexpertin Monika Heinold das Finanzministerium übernehmen. Finanzielle Nachhaltigkeit gehört aus Sicht der Grünen zu ihrem Markenkern. Auch die SPD will das Schlüsselressort. Wie das Tauziehen ausgeht, hängt vom Gesamtpaket ab. Mit einem Energiewende-Ministerium beanspruchen die Grünen ein großes Haus, das der bisherige Fraktionschef Robert Habeck führen könnte. Nach dem Wahlergebnis wären vier Ressorts für die SPD (30,4 Prozent), zwei für Grüne (13,2) und eins für den SSW (4,6) logisch.
Albig versichert, er wolle so hart sparen wie die Grünen. Wie passt das mit den kostenträchtigen Zielen zusammen? Manches wird wohl auf die etwas längere Bank geschoben. Und die Zusage, die von der früheren großen Koalition vorgenommene Kürzung des kommunalen Finanzausgleichs um 120 Millionen Euro jährlich schrittweise rückgängig zu machen, könnte verschmelzen mit den Plänen zum Krippenausbau – das Geld würde also zweckgebunden.
Die Verpflegung zum Verhandlungsauftakt war der klammen Landeskasse angemessen: Es gab Mini-Frikadellen und Kartoffelsalat, Äpfel, Bananen, ein paar Antipasti, Kaffee, Kuchen, Wasser und Apfelsaft, diesen zwar nicht Bio, aber immerhin naturtrüb.
Vorhaben wie Fehmarnbelt-Tunnel und A20 werden in dem Bündnis strittig bleiben, aber keine Koalition verhindern. Heute gebe es mehr Gemeinsames als 2005 beim gescheiterten Versuch einer vom SSW tolerierten rot-grünen Minderheitsregierung, sagt ein Akteur, der damals auch dabei war. Diesmal sei es eine Wunschkoalition, kein Notbehelf. Die Erinnerung an den „Heide-Mord“ wird dennoch wach werden, wenn am 12. Juni Albigs Wahl zum Regierungschef ansteht. Nur eine Stimme mehr als CDU, FDP und Piratenpartei hat Rot-Grün plus SSW. Am 17. März 2005 verlor SPD-Amtsinhaberin Heide Simonis, weil ihr jemand aus eigenen Reihen das Ja versagte. Sollte es jetzt erneut einen Abweichler geben, muss die „Dänen-Ampel“ diesmal nicht erlöschen: Albig könnte die eine oder andere Piraten-Stimme bekommen. (dpa/abendblatt.de)