Hamburg/Berlin. Wirtschaftliche Unabhängigkeit ist für junge Leute ein hohes Gut. Familie auch. Eine Hamburgerin hat da besondere Erfahrungen gemacht.
Der Wunsch, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen, ist bei jungen Frauen so groß wie nie. Frauen verschieben dafür ihren Kinderwunsch immer weiter nach hinten. Doch sobald sich ein Paar für ein Kind entscheidet und anfängt zu rechnen, verblassen emanzipatorische Bilder. Denn der Mann verdient durchschnittlich immer noch mehr. Das belegen Statistiken und Aussagen von Experten.
Und wie denkt eine junge Mutter selbst darüber? Kia S. wurde mit 22 Jahren mitten im Studium schwanger. Ungewöhnlich jung für die Generation Y. Und doch gerade richtig, wie sie findet. Die heute 26-jährige Hamburgerin erzählt von ihren Erfahrungen als Mutter und Vollzeitstudentin. Ihre Aussagen sind in diesen Text eingeblockt.
Projekt wirtschaftliche Unabhängigkeit
Ricarda Scholz sitzt in einem der oberen Stockwerke des rötlichen Eckgebäudes des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Berlin-Mitte. Dreißig Flyer in Lila, Grün und Neonblau liegen verteilt auf dem Schreibtisch der 29-jährigen Politologin. Sie leitet das Projekt mit dem Namen „Was verdient die Frau? Wirtschaftliche Unabhängigkeit!“. Es ist angegliedert an den DGB und das Bundesfamilienministerium. Das Projekt kämpft für gleiche Entlohnung, gleiche Aufstiegschancen und selbstbestimmte Arbeitszeiten. Erst wenn diese Voraussetzungen geschaffen sind, kann laut Scholz aus dem Wunsch nach Gleichberechtigung Realität werden.
Wie keine Generation vor ihnen würden 25- bis 35-Jährige ihr Leben nach dem Beruf ausrichten: „Es geht nicht mehr um die Frage, ob Frauen finanziell auf eigenen Beinen stehen wollen. Heute geht es darum, ob die Rahmenbedingungen dafür stimmen“, sagt Scholz.
Die Soziologin Jutta Allmendinger forscht seit Jahren zu den Lebensentwürfen junger Frauen und Männer. In ihrer Befragung von 2012 haben 96 Prozent aller Frauen zwischen 20 und 30 auf die Frage, was ihnen in ihrem Leben wichtig ist, geantwortet, dass sie wirtschaftliche Unabhängigkeit wollen, eigenes Geld verdienen, unabhängig von dem Gehalt des Partners sein. Grundlegende Fragen nach gleichem Geld für gleiche Arbeit müssen gestellt werden, bevor man an andere Themen denken kann. „Wenn ich in meiner Jetzt-Situation nicht in der Lage bin, vier Monate im Voraus zu planen, weil mein befristeter Arbeitsvertrag endet, dann beeinflusst das auch die Familienplanung”, erklärt Scholz.
Wenn Paare anfangen zu rechnen, verliert die Frau
Die Informationsveranstaltungen des DGB-Projekts richten sich an alle Altersgruppen, die bunten Flyer auf den Tischen vor allem an Berufseinsteigerinnen. An Übergängen im Leben würde sich zeigen, inwieweit Generation-Y-Frauen an emanzipatorischen Zielen festhalten können, sagt Politologin Scholz. Also bei denjenigen, die gerade ins Berufsleben starten oder solchen, die eine Familie planen oder anderen, die wieder in den Beruf zurückkehren wollen.
Denn laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW) aus 2013 wollen sich 60 Prozent der Paare die Erwerbsarbeit und Familienarbeit gerecht teilen. Es gelingt aber nur 14 Prozent. Warum? Wenn Paare anfangen zu rechnen, steigt am Ende meistens die Frau aus. „Junge Familien stellen sich die Fragen: Wer verdient mehr? Wer hat welche Entwicklungschancen?“, sagt Scholz. Frauen würden dann immer noch den Kürzeren ziehen.
Das Projekt „Was verdient die Frau? Wirtschaftliche Unabhängigkeit!“ setzt da an. Scholz fordert, es müsse sich etwas an den männlichen geprägten Unternehmenskulturen ändern. Zum Beispiel könnten Meetings nicht erst um 19 Uhr beginnen. Das sei nicht familienfreundlich. „Beide Elternteile sollten die Möglichkeit haben, für eine gewisse Zeit auszusteigen oder ihre Arbeitszeit zu reduzieren.“ Dennoch: Oft sind es Frauen, die in den Unternehmen nach der Elternzeit nicht in Vollzeit zurückkehrten und langfristig auf ihrer 15- oder 20-Stunden-Stelle hängen blieben, ergänzt sie.
Arbeit und Privatleben vereinbar machen – für beide Partner
Scholz betont, dass es dabei nicht darum geht, dass Frauen 40 Stunden in der Woche arbeiten müssen und genauso viele Überstunden machen wie Männer. Ziel müsse es sein, dass Arbeit und Privatleben vereinbar seien – mit oder ohne Kinder. Für beide Partner.
Nach der DIW-Studie vollziehen nur 8 Prozent der deutschen Unternehmen eine lebensphasenorientierte Personalpolitik. Der große Wunsch der Beschäftigten, Einfluss auf ihre Arbeitszeit zu nehmen, bleibt daher unerfüllt.
Vor allem der Ausbau von Betreuungsangeboten für Kinder würde laut Scholz helfen. Ein Anfang sei allerdings auch die Möglichkeit, einen Tag in der Woche von zuhause aus zu arbeiten, die sogenannte Telearbeit.
Doch ob „Home-Office“ wirklich die Lösung ist, bezweifelt Arbeitsmarkt-Expertin Britta Matthes vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Sie leitet die Gruppe zu Beruflichen Arbeitsmärkten. Die Entzerrung der beiden Lebensphasen – Beruf und Familie – gelinge so nicht. Wenn man ein fiebriges Kind zuhause habe, bleibe es trotz der Möglichkeit, zuhause zu arbeiten, krank und brauche unmittelbare Betreuung. Das Problem seien die Anforderungen an die Frau in den kritischen Jahren zwischen 20 und 30. „Da müsste man eigentlich alles schaffen“, so Matthes. Dass ein Arbeitgeber in Vorleistung geht, findet sie hingegen naiv. Das könne man in der heutigen Zeit durch die permanente Erreichbarkeit, eine dünne Personaldecke und hohen Arbeitsdruck nicht erwarten. Der Spielraum der Arbeitgeber sei eingeschränkt.
„Teilzeitarbeit gilt immer noch als Stiefkind“
Die Expertin Matthes sieht in Schweden ein Vorbild. In Deutschland werde Teilzeitarbeit immer noch als Stiefkind behandelt. In dem skandinavischen Land hingegen seien die Quoten für Teilzeit fast gleich zwischen den Geschlechtern. In der Online-Umfrage „Erfolgsfaktor Familie“ des Bundesfamilienministeriums haben mehr als die Hälfte der Deutschen Teilzeitarbeit beider Partner als sinnvolles Arbeitsmodell befürwortet. Auch Ricarda Scholz vom DGB hinterfragt das 40-Stunden-Modell. Sei es nicht besser, wenn beide Partner 25 Stunden arbeiten, als einer 40 und der andere 10?
„Der Vorteil der Generation Y ist, dass sie mit dem selbstverständlichen Rollenbild aufgewachsen sind, dass Frauen und Männer beide erwerbstätig sind“, sagt Daniela Rastetter, Professorin für Sozialökonomie an der Universität Hamburg. Sie beobachtet allerdings bei den Frauen die Verwurzelung in „halbtraditionellen“ Vorstellungen. „Viele junge Frauen finden es nicht abwegig zurückzustecken, wenn Kinder da sind und betrachten die Erziehung als ihre Hauptaufgabe.“
Elternzeit: Für Väter nur Urlaub in den eigenen vier Wänden?
Und diese klassischen Geschlechterrollen wiegen schwerer als die ökonomischen Beweggründe. Das heißt: Auch wenn Frauen in einer Partnerschaft mehr verdienen, nehmen sie dennoch länger Elternzeit in Anspruch. „Familien nehmen finanzielle Verluste eher in Kauf als traditionelle Rollen aufzubrechen“, meint Rastetter. Die zwei sogenannten ‚Vätermonate’ seien dabei nicht mehr als symbolisch. Denn die meisten Männer, die überhaupt in Elternzeit gehen, beziehen Elterngeld für die kürzeste mögliche Dauer: 79 Prozent der Männer, also fast vier Fünftel, haben sich 2013 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes für die zweimonatige Elternzeit entschieden. Zwei Monate reichen allerdings nicht, um den stressigen Alltag wirklich selber zu erleben. Es bleibt eher ein Urlaub in den eigenen vier Wänden.
Realitätsschock für die Generation Y
Die Expertinnen sind sich einig: Unter Männern ist Teilzeitarbeit nicht verbreitet – sie erhalten auch von ihren Chefs nicht viel Unterstützung dafür. Auch das Rollenbild der Männer ändert sich nur langsam. Wäre das anders, würde bei der Einstellung junger Frauen, die schwanger werden können, dasselbe Risiko gelten wie bei jungen Männern, die die volle Elternzeit nehmen, so Rastetter.
Auch die in den 1960er- und 1970er-Jahren Geborenen – also die Mitglieder der Vorgängergeneration X – seien mit dem Gefühl von Gleichheit der Geschlechter aufgewachsen, sagt Britta Sembach, Autorin des Buches „Die Alles-ist-möglich-Lüge“, „bis wir den Realitätsschock erlitten haben.“
Die jüngeren Frauen würden an ejnem Punkt in ihrer Karriere merken, dass Deutschland von einer geschlechtergerechten Gesellschaft noch sehr weit entfernt sei. Dafür sei hier in den vergangenen Jahrzehnten in diesem Punkt politisch viel zu wenig geschehen, sagt Sembach.
Stabilitätsanker Familie in einer unsicheren Welt
Dass ein erfülltes Familienleben ein wichtiger Wert der Generation Y ist, bestätigte unlängst die Shellstudie 2015. Gleichzeitig ist wirtschaftliche Unabhängigkeit für Frauen das oberste Ziel. Wie passt das zusammen?
Die beiden Werte würden sich gerade ergänzen, findet der Journalist Erik Albrecht, der zusammen mit dem renommierten Jugendforscher Klaus Hurrelmann ein Buch über die Generation Y geschrieben hat. Beide sehen in der jungen Generation „heimliche Revolutionäre“: Sie könnten die Arbeitsbedingungen wirklich verändern. Sie seien kompromisslos ihren Arbeitgebern gegenüber, weil sie eben beiden Werten, Familie und Beruf, viel Bedeutung beimessen.
Insbesondere Frauen mit hohem Bildungsabschluss würden ihre Arbeitsplatzwahl nach ihren Vorstellungen entscheiden und Flexibilität zur Bedingung machen. Albrecht glaubt nicht, dass der Rückzug ins Private, die Stärkung des Familienlebens, für Spießigkeit steht. „Der Rahmen wirkt vielleicht spießig, aber mit welchen Bedingungen und Forderungen die Generation Y diesen füllt, was sie aus dem Bausparvertrag macht, unterscheidet sich deutlich von den 1960er und 1970er Jahren.“
Junge Leute wollen sich einbringen – und keine befristeten Verträge
Schuften will die Generation Y also nicht mehr. Sie fordert ein Umdenken in der Arbeitswelt: „Junge Leute haben Ansprüche an ihren Arbeitsplatz. Sie wollen sich einbringen und etwa über Dauer und Lage ihrer Arbeitszeiten mitbestimmen. Und sie wollen keine befristeten Verträge“, fügt Ricarda Scholz hinzu.
Das Projekt des DGB „Was verdient die Frau? Wirtschaftliche Unabhängigkeit!“ läuft noch bis August 2016. Dann versuchen Ricarda Scholz und ihre zwei Kolleginnen, "ihr Baby" um zwei Jahre zu verlängern. Scholz’ eigener Vertrag läuft zusammen mit dem Projekt aus. Der Grund: Sie hatte eine Mitarbeiterin in Elternzeit vertreten.