Hamburg. Die Philosophin Rebekka Reinhard über Frauen, Karriere und Selbstoptimierung. Einen Konflikt wird auch die Generation Y nicht lösen.
Heldin, Hindernis, Ziel. Junge Frauen stehen unter großem Druck. Wirtschaftliche Unabhängigkeit ist ihr oberstes Ziel. Doch sie fühlen sich zerrissen zwischen ihrem Wunsch, einerseits berufstätig zu sein und andererseits Kinder zu bekommen. Die Münchener Philosophin Dr. Rebekka Reinhard arbeitet als Keynote-Sprecherin und philosophische Beraterin für Unternehmen und hat zahlreiche Bestseller über Schönheit, Ethik und die Stärkung von Frauen geschrieben. Sie rät den Betroffenen zu mehr Vertrauen in sich selbst und ihr Können und beklagt unreflektierte sexistische Stereotypen in Unternehmen. Ein Gespräch über die Macht junger Frauen, Führungskräfte und Vorbilder.
Hamburger Abendblatt: Frau Reinhard, wer ist die Frau der Generation Y und was will sie?
Rebekka Reinhard: Sie bezieht ihre Selbstsicherheit – unwissentlich – einerseits aus dem feministischen Erbe vergangener Generationen, andererseits aus der Gewissheit, angesichts des demografischen Wandels die Nase vorn zu haben. Sie ist anspruchsvoll, was Anerkennung, sinnvolle Arbeit und Freizeit betrifft. Und sie ist – teils aufgrund der oft als Last empfundenen Multioptionalität – eher problemlösungsorientiert als experimentierfreudig.
Was meinen Sie mit Multioptionalität?
Reinhard: Multioptionalität, das sind die Wahlmöglichkeiten unter der Bedingung der Freiheit – und diese Freiheit wird oft nicht lustvoll, sondern als quälend empfunden. Desorientierung ist die Folge, wenn man nichts mehr „muss“, aber alles „kann“. Wie gleichberechtigt ist die Generation Y? Reinhard: Das Thema Gleichberechtigung ist erst mal kein Thema. Es wird ein Thema erst mit dem Entschluss beider Partner, zusammenzuziehen und Kinder zu bekommen, und zum Problem dann, wenn die Kinder da sind. Denn immer noch kehren die zuvor gleichberechtigt lebenden Paare dann sehr oft zu den traditionellen, geschlechtsspezifischen Rollenaufteilungen zurück.
Fordern Frauen viel mehr als Männer das Überdenken traditioneller Rollenbilder?
Reinhard: Frauen vor der Familiengründung: nein. Danach ja – denn dann wiegt die Doppelbelastung Kind und Karriere für Frauen immer noch schwerer als für Männer. Warum gibt es immer noch so wenige Frauen in leitenden Positionen? Sind sich junge Frauen ihrer (Macht-)Position überhaupt bewusst oder prägen auch weiterhin männliche Stereotype das Bild erfolgreicher Führungskräfte? Reinhard: In den Unternehmen und Konzernen herrschen oft immer noch die alten starren Strukturen vor. Die Netzwerke des ‚Old Boys Club’ machen es jüngeren, ambitionierten Frauen schwer aufzusteigen. Das Klima in so einem Umfeld ist durchtränkt von unreflektierten Stereotypen, also sexistischen Klischeevorstellungen von der „idealen Frau“ wie „eine Frau gehört an den Herd“ „eine arbeitende Mutter ist eine Rabenmutter“, „eine Frau hat nicht zu denken“.
In Meetings sollten Frauen nicht das artige Mädchen spielen
Wie können Frauen solche Stereotype überwinden?
Reinhard: In „Kleine Philosophie der Macht“ empfehle ich, sich aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ zu befreien, wie Immanuel Kant es nannte, sich also im kritischen Selbstdenken zu üben, den Mund aufzumachen, in Meetings nicht das artige Mädchen zu spielen, sondern sich mit klar artikulierten Wortmeldungen Präsenz zu verschaffen. Außerdem sollten sich Frauen Unterstützung von diversityfreundlichen Männern suchen.
Sie sprechen von philosophischen Machtmitteln. Welches ist das wichtigste Machtmittel für die Frau aus der Generation Y?
Reinhard: Mut zum Experimentieren und auch zum Scheitern – sich von der Feedback-Kultur lösen, sein Gehirn einschalten, selbst denken. Ich nenne das in meinem Buch den „strategischen Nonkonformismus“. Auch wenn man vielleicht ein „spießiges“ Mutter- und Reihenhausdasein anstrebt, hat man als gut ausgebildete, kompetente Frau die Möglichkeit, sich selbst und seine Rollen ab und zu aus kritischer Distanz zu beobachten und sich nicht mit einer wie immer definierten „Normalität“ zu begnügen. Die sollte man als junge Frau auch nutzen – um nicht plötzlich in einer Schublade zu stecken, in die man nie rein wollte.
Warum die Feedback-Kultur die Frauen behindert
Was sind Hindernisse für junge Frauen, ihre Macht zu entfalten?
Reinhard: Ich definiere Macht im Sinne der wortgeschichtlichen Bedeutung des Wortes: Macht kommt von „Machen“. Es steht begrifflich in engem Zusammenhang mit „Können“ und „ Vermögen“. Mächtig sein heißt, Dinge und Beziehungen – einschließlich der zu sich selbst – gestalten, verändern, beeinflussen zu können. Was junge Frauen blockiert, die so definierte Macht zu entfalten, ist meiner Beobachtung nach kurioserweise oft ihre hohe Problemlösungskompetenz – und oft auch die Abhängigkeit vom positiven Feedback. Beides verhindert die volle Entfaltung ihrer Möglichkeiten: Diese kann nicht zeitnah erledigt werden, sondern ist ein offener, lebenslanger Prozess.
Das klingt wie ein Widerspruch. Welchen Anspruch haben Frauen an die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freunde? Wollen sie zu viel?
Reinhard: Man muss unterscheiden zwischen jugendlichem Idealismus, der junge Leute aller Generationen betrifft, und Anspruchsdenken. Mein Eindruck ist es nicht, dass Frauen der Generation Y zu viel wollen – im Gegenteil, ich habe manchmal das Gefühl, sie wollen zu wenig.
Kann die Vereinbarkeit von Beruf und Familie unter den gegebenen Umständen nie funktionieren?
Reinhard: Das perfekte „ Zwei-Sphären-Glück“, wie ich es nenne, die perfekte Vereinbarkeit von beruflicher Selbstbestimmung und privater Geborgenheit, ist jedenfalls nach wie vor unmöglich. Es ist ein Mythos, ein Marketing-Gag – trotzdem hecheln zu viele Frauen genau diesem Glücksideal hinterher. Das Streben nach dem Zwei-Sphären-Glück ist zu einer Art kollektivem Muss geworden.
Junge Frauen: weniger müssen müssen
Frauen stehen heutzutage vor der Aufgabe, alles schaffen zu müssen, Haushalt, Kinder, Vollzeitarbeiten. Gibt es eine Akzeptanz für die verschiedene Rollen und Entscheidungen? Ist der Druck selbst gemacht?
Reinhard: Laut der britischen Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie sind Frauen die perfekten Mitglieder der neoliberalen Gesellschaft. Ich denke, sie hat Recht. Frauen sind bereit, in Vorleistung zu gehen und sich für andere zu optimieren, bis der Arzt kommt. Und haben trotzdem ständig ein schlechtes Gewissen, weil es ihnen nicht gelingt, in jedem Bereich hundert Prozent zu erreichen. Nach wie vor ist die auszufüllende Rollenvielfalt bei Frauen größer als bei Männern – was mit einem immer noch wirksamen archaischen weiblichen Rollenbild zusammenhängt.
Was muss sich ändern? Was müssen junge Frauen erkennen, was sie selber ändern können? Nein sagen lernen?
Reinhard: Junge Frauen müssen erst mal gar nichts. Sie sollten in erster Linie ihre Freiheit genießen und die vielen Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten – gerade in dieser Zeit des Wandels.
Welche Vorbilder haben die Generation-Y-Frauen?
Reinhard: Viele junge Frauen, die ich berate, beklagen den Mangel an weiblichen Vorbildern. Daher plädiere ich dafür, mal einen Blick zurück in die Geschichte zu werfen und sich Inspirationen von Power-Frauen vergangener Jahrhunderte zu holen, als „Emanzipation“ noch ein Buch mit sieben Siegeln war. Statt Klagen empfehle ich, selbst als Role Model zu fungieren.
Gleichberechtigung, Gender und die Männer
In Zeiten der Unsicherheit und aufgrund der vielen Optionen in der Arbeitswelt scheint es, als fällt die Generation Y zurück in traditionelle Rollenmuster.
Reinhard: Ja, das beobachte ich auch. Und genau das ist der Keim für traditionelle Rollenkonflikte.
„Die Zukunft ist weiblich“ – braucht es diesen Slogan überhaupt? Oder muss es nicht um Gleichberechtigung ohne Gender gehen?
Reinhard: Dieser Slogan bringt nur zum Ausdruck, dass in einer globalisierten, digitalisierten Wirtschaft künftig Fähigkeiten wie Sozialkompetenz, Empathie oder kommunikative Skills wichtiger werden. Das sind aber Fähigkeiten, mit denen die jüngere Generation von Männern auch besticht. Das Ziel muss natürlich eine Gleichberechtigung sein, in der Gender keine Rolle mehr spielt. Das Problem ist nur: Neben dem sozialen gibt es ja auch noch das biologische Geschlecht, das auch weiterhin bestimmte soziale, berufliche und private Konflikte bedingt. Noch sind es zum Beispiel nur die Frauen, die Kinder gebären können.