Menschen, die an Demenz erkrankt sind, sollten so lange wie möglich in ihrem gewohnten Umfeld betreut werden. Vom 15. bis zum 21. September findet in Hamburg eine Aktionswoche statt.
Hamburg. Sie finden sich in ihrem Leben nicht mehr zurecht – verlieren die Orientierung, ihre Erinnerungen, ihre Selbstständigkeit. Um Demenzkranken ihr Leben trotz ihrer Einschränkungen so lebenswert wie möglich zu machen, ist viel Unterstützung nötig. Wie diese aussehen kann, darüber informiert die Aktionswoche „Leben mit Demenz in Hamburg“ vom 15. bis 21. September. In dieser Woche finden viele Veranstaltungen statt, bei denen auf die Krankheit aufmerksam gemacht wird. Unter anderem werden Filme gezeigt, Unterstützungsangebote vorgestellt und neue Pflege- und Betreuungsformen präsentiert. Es geht auch darum, wie Demenzkranke mehr am sozialen Leben teilhaben können.
Organisiert worden ist diese Aktionswoche von der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Hamburg und der Alzheimer-Gesellschaft Hamburg im Rahmen der Hamburger Landesinitiative „Leben mit Demenz“. „Für die Aktionswoche konnten wir neben Einrichtungen und sozialen Trägern, die sich mit dem Thema Demenz befassen, auch andere Vereine und Einrichtungen aus allen gesellschaftlichen Bereichen gewinnen, zum Beispiel Theater und Sportvereine“, sagt Jörn Wieking, Geschäftsführer der Hamburger Alzheimer-Gesellschaft. Denn das Ziel ist nicht nur optimale Unterstützung der Kranken und ihrer Angehörigen, sondern auch, dass die Kranken so lange wie möglich in ihrem gewohnten Umfeld bleiben können. Aber dafür sind gewaltige Anstrengungen nötig, auch von Menschen, die sich noch nicht so intensiv mit dem Thema Demenz beschäftigt haben. Auch dafür will die Aktionswoche Denkanstöße liefern und Möglichkeiten des Umgangs aufzeigen.
„Das Ziel ist, dass wir in den verschiedenen Quartieren einen anderen Umgang mit dieser Krankheit finden. Das heißt, den Verbleib von Menschen mit Demenz in so einem Quartier zu ermöglichen. Für Menschen, die dement werden, gab es früher kaum eine andere Möglichkeit, als in eine stationäre Pflegeeinrichtung zu gehen. Wir wollen Möglichkeiten und Wege eröffnen, damit der Regelfall die Versorgung in ihrem gewohnten Umfeld ist. Dafür brauchen wir nicht nur die ambulanten Pflegedienste, sondern auch die Bevölkerung in dem Stadtteil, die Läden und Geschäfte. Ziel ist, dass die Menschen, die dort leben, auch mit den demenzkranken Menschen umgehen können und nicht völlig irritiert sind. Dahin zu kommen, diese Akzeptanz zu schaffen, sodass man dort auch mit so einer Krankheit leben kann, darum muss es gehen“, sagt Jens Stappenbeck, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege.
In der Versorgung der Patienten hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. So gibt es seit Einführung der Pflegeversicherung ein ausgebautes Netz von ambulanten Hilfen, sodass die Kranken heute wesentlich später in ein Pflegeheim kommen als vor 20 Jahren. Doch auch heute noch gibt es Defizite: „Wir haben einen absoluten Notstand an Pflegekräften. Und wir haben die Situation, dass in unserer Großstadt viele Menschen allein und so zurückgezogen leben, dass es dem Umfeld gar nicht auffällt, dass es da solche Probleme gibt. An diese Personen heranzukommen, ist auch ein Thema, dem wir uns unbedingt öffnen müssen. Ein weiteres Problem ist die Versorgung von Demenzkranken in Krankenhäusern, die nicht speziell auf die Bedürfnisse dieser Patienten eingerichtet sind“, sagt Wieking.
Zwar hat es in den vergangenen Jahren Initiativen gegeben, in denen Krankenhäuser spezielle Stationen für Demenzkranke eingerichtet haben „Ich würde nie bestreiten, dass die Kliniken das Thema für sich nicht erkannt haben, aber nichtsdestotrotz gibt es großen Bedarf“, sagt Wieking. „Wir wissen heute unheimlich viel über den Umgang und das richtige Gestalten der Umgebung, aber das Wissen muss von den Mitarbeitern auch praktisch umgesetzt werden“, sagt Wieking und nennt ein Beispiel: „Wie gehe ich damit um, wenn eine Person nicht orientiert ist und immer wieder nach den Kindern fragt? Wenn ich darauf antworte, die Kinder seien doch alle erwachsen, ist das keine adäquate Reaktion. Für einen Menschen mit Demenz ist diese Frage in dem Moment Realität. Er fühlt sich in dem Moment nicht als 80, sondern als 30, hat schulpflichtige Kinder und muss sich darum sorgen. Diese Realität muss man sehen und das Gefühl, die Sorge um die Kinder. Das heißt, die Pflegekraft muss sich Zeit nehmen, um über dieses Thema zu sprechen, dem Kranken in der fremdem Umgebung im Krankenhaus wieder ein Gefühl der Sicherheit vermitteln und kann dann erst wieder zu der Pflegetätigkeit zurückkommen, wegen der sie eigentlich zu dem Patienten gekommen ist.“
Die Pflegekräfte – auch in den Krankenhäusern – müssten mehr in dem Umgang mit Demenzkranken geschult werden, so Wieking. „Auf der anderen Seite gibt es die Menschen, die mit den Dementen im Alltag zusammenleben. Da geht es auch darum, ihnen das Wissen zu vermitteln, wie man mit diesen Menschen adäquat umgeht. Es gibt viele demente Menschen, die sind relativ gering pflegebedürftig, aber ihnen fehlt sozusagen das Geländer durch den Tag. Um diese Hilfestellung geben zu können, brauchen wir alle mehr Wissen“, sagt Stappenbeck.
In der Unterbringung der Patienten ist zurzeit einiges im Umbruch. „Nach wie vor werden große Heime gebaut. Aber es müssten vorn vornherein kleinere Einheiten eingeplant werden. Der Mensch mit einer Demenz braucht eine kleine Gruppe. In einer 30er-Gruppe fühlt er sich verloren, in einer Zehner-Gruppe fühlt er sich zugehörig“, sagt Wieking. Eine Alternative zu den herkömmlichen Heimen sind Wohngemeinschaften für Demenzkranke. In Hamburg gibt es mittlerweile insgesamt 30 stationäre und ambulante Wohnpflegegemeinschaften, mit jeweils bis zu zwölf Bewohnern. Zwei weitere Wohngemeinschaften wollen nächstes Jahr eröffnen. Bei der Stattbau Hamburg gibt es eine Koordinierungsstelle, bei der sich jeder, der eine solche Wohngemeinschaft gründen will oder ein freies Zimmer sucht, beraten lassen kann. Der Vorteil dieser Wohnformen: Sie sind klein und im Idealfall so ausgestattet, dass die Betroffenen darin ein Umfeld vorfinden, das ihnen aus ihrem früheren Leben vertraut ist. Und es wird ein überschaubarer Rahmen mit normalen täglichen Abläufen geschaffen. Allerdings ist eine WG nicht für jeden das Richtige: „Es gibt auch Menschen, die an bestimmten Formen einer Demenz leiden, die in einer solchen WG nicht mehr zurechtkommen. Für diese Patienten braucht man dann die stationären Einrichtungen“, so Stappenbeck.
Kritisch sehen die Hamburger Experten Einrichtungen wie das niederländische Dorf für Demenzkranke De Hogeweyk. Dort wohnen 150 Demenzkranke auf einem geschlossenen Gelände in kleinen Häusern wie in einem Dorf, es gibt dort unter anderem ein Café, einen Supermarkt und einen Friseur. „Wir müssen alle unsere Stadtteile so einrichten, dass die Menschen dort leben können, das sollte eher der Weg sein, statt sie zu separieren“, sagt Wieking. Ähnlich äußert sich auch Angelika Tumuschat-Bruhn, Fachreferentin im Referat pflegerische Versorgungsstruktur in der Gesundheitsbehörde Hamburg: „Das Konzept von De Hogeweyk entspricht nicht unserer Idee, Menschen mitten in der Stadt, in der Gemeinschaft betreuen zu wollen. Uns geht es um Integration. Für uns kommen eher Quartiersprojekte infrage.“
Dabei ist die Behörde schon daran interessiert, neue Wohnmodelle wie die Wohngemeinschaften zu fördern. „Wenn uns Betreiber von Pflegeeinrichtungen fragen, geben wir die Empfehlung: Versuchen Sie, Wohngemeinschaftsmodelle umzusetzen und sich in ihrer Nachbarschaft zu engagieren. Aber die Entscheidung darüber liegt nicht in unserer Hand“, sagt Angelika Tumuschat-Bruhn.