Der Friseur aus Lokstedt kümmert sich in ganz besonderer Weise um die alternde Kundschaft. Der Umgang mit Alter und Demenz sollte auch Teil der Ausbildung sein, fordert er.
Manchmal möchte Paul Schneider den Politikern mal richtig den Kopf waschen. Jenen, die zwar viele Worte finden, aber keine Lösungen bieten. Die von „Überalterung der Gesellschaft“ sprechen, von der „Seniorenschwemme“ und der Zunahme von an Demenz Erkrankten – und die vor lauter Gerede vergessen zu handeln.
Wie wichtig aber genau das ist, erlebt der Friseurmeister jeden Tag in seinem Gewerbe. Seit 35 Jahren betreibt er einen Salon am Siemersplatz in Lokstedt. Schneider ist 61 Jahre alt. Er ist mit seinen Kunden in die Jahre gekommen. Mehr als die Hälfte der 500 Kunden, die jeden Monat kommen, ist zwischen 50 und 90 Jahre alt. Einige sind sogar noch älter. Nicht nur, dass vielen der Weg in den Salon schwerfällt, sie kommen auch mit gänzlich anderen Sorgen und manchmal mit schweren Krankheiten. „Der Friseur als Vertrauensperson muss damit umgehen können“, sagt Paul Schneider. Vor allem den jüngeren Kollegen falle es oft nicht leicht, den psychologisch-seelischen Stress auszuhalten. „Und sie lernen diesen wichtigen Teil nicht in der Berufsausbildung. Es fehlt die Schulung der zwischenmenschlichen Aufgabe.“
Also hat Schneider, der bis 2011 stellvertretender Obermeister der Friseur-Innung war, das Thema eigenhändig in die Handwerkskammer gebracht, er hat Schulungen mit einem Kommunikationstrainer angeboten und versucht, die Ausbildung auf breitere Beine zu stellen. „Wir sprechen alle über die Alterspyramide. Aber wie der Umgang damit aussehen soll, weiß keiner“, kritisiert Schneider. „Wir müssen uns auf den Weg machen.“
Unterstützt wird Schneider von der Gesundheitsbehörde. „Über eine Sensibilisierung der Lehrkräfte für das Thema sollen die Auszubildenden erreicht werden“, sagt Eckhard Cappell, Leiter des Referates Seniorenarbeit. Doch weil die Mühlen selbst in der Kammer des Handwerks langsam mahlen, musste sich Paul Schneider lange Zeit damit begnügen, sein eigenes kleines Team zu stärken. Acht Mitarbeiter sind es, auch Ehefrau Ilse arbeitet mit. Einmal im Monat setzt sich die Crew zusammen und spricht über Abläufe, Probleme, klärt offene Fragen. Es wird über Berührungsängste gesprochen, weil es manchmal Überwindung kostet, den Kopf eines alten, an Krebs erkrankten Menschen in die Hände zu nehmen. Es wird über das Thema Demenz gesprochen, darüber, wie man mit einem Kunden umgehen soll, der vergisst, sich wiederholt, manchmal die Contenance verliert, ungerecht und laut wird.
Zum seniorengerechten Umgang im Salon gehören auch ganz praktische Dinge. „Wenn die Kunden älter und gebrechlicher werden, brauchen sie einfach mehr Hilfe“, sagt Ilse Schneider. Also hat das Unternehmen einen Fahrdienst eingerichtet, holt jene von Zuhause ab, die nicht mehr gut zu Fuß sind. Es gibt eine Bonuskarte für den regelmäßigen Friseurbesuch und eine persönliche Karteikarte, wo alles notiert wird, was den Kunden betrifft.
Der Friseur, dein Freund und Helfer – so könnte Paul Schneider seinen Beruf definieren. Denn kaum einer weiß so gut über die persönlichen Belange eines Menschen Bescheid, wie eben der Friseur. „Das ist es ja genau, was wir so schätzen: Dass hier jemand ist, der uns und unsere Probleme kennt, und der gute Ratschläge geben kann“, sagt Inge Steppke. Die 83-Jährige kommt seit 35 Jahren in den Salon. Immer an ihrer Seite Ehemann Willi, der früher dichtes, dunkelblondes Haar hatte. Jetzt ist das Haupt lichter geworden. Sein Friseur Paul Schneider weiß vieles über die beiden. Dass Frau Steppke am Herzen operiert werden musste, drei Bypässe bekommen hat. Dass sie kaum noch sehen kann und manchmal am liebsten alle Pflichten ihrer Tochter übertragen würde. Er weiß aber auch, dass sie im Grunde noch alles kann und es wichtig ist, ihr die Selbstständigkeit auch zuzutrauen.
„Wir führen das offene Gespräch mit unseren Kunden über ihre Krankheit“, sagt Paul Schneider. „Das ist nicht immer einfach.“ Aber es kann erlernt werden. Als Mitglied des Schulrates der Berufsschule W8 hat er inzwischen erreicht, dass das Thema Alter und Demenz tatsächlich im Unterricht stattfindet. Mit Unterstützung der Gesundheitssenatorin soll das Angebot in den kommenden Semestern sogar noch weiter ausgebaut werden.