Neues Verfahren könnte Frauen mit einer Risikoschwangerschaft gefährliche Untersuchungen ersparen. Es reicht die Blutprobe der Mutter.
Hamburg. Ein neuer Bluttest bei Schwangeren soll klären, ob das Erbgut des Babys im Bauch verändert ist, das Kind das Downsyndrom hat. Noch im Juli soll der "Praena-Test" der Konstanzer LifeCodexx AG bundesweit angeboten werden - als Ergänzung zur Diagnostik bei Risikoschwangerschaften für Frauen ab der 12. Schwangerschaftswoche. Der Test kommt zu einem Zeitpunkt auf den Markt, in der weltweit verschiedene Gentests für ungeborene Kinder entwickelt werden - ohne sie im Mutterleib anzutasten. Bisher können Erbgutveränderungen bei Feten nur durch einen Eingriff überprüft werden - mit dem Risiko einer Fehlgeburt.
Neben der medizinischen Diskussion über den Nutzen solcher Verfahren verläuft eine ethische Debatte. Werden solche Tests bald Routine und der Weg für die Selektion von Kindern geebnet? Für wen kommt der Test überhaupt infrage?
Das Abendblatt hat mit Experten aus Hamburg, Kiel und Lübeck gesprochen, die den Test unter Umständen anbieten wollen, wenn alle rechtlichen Fragen geklärt sind. "Es weiß noch keiner, wie die Nachfrage sein wird", sagt Prof. Reiner Siebert, Direktor des Instituts für Humangenetik am Uniklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel. Das Interesse für den "Praena-Test" sei bei den Ärzten aber eindeutig da. Allein zu einer Fortbildungsveranstaltung zu dem Thema seien etwa 100 Teilnehmer gekommen.
Menschen mit einem Downsyndrom haben vom Chromosom 21 gleich drei statt zwei Kopien (Trisomie 21). Charakteristisch ist unter anderem eine spezielle Form der Lidachse, das Syndrom kann mit einem Herzfehler und mehr oder weniger starker geistiger Behinderung einhergehen. Das statistische Risiko, ein Kind mit Trisomie 21 zu bekommen, steigt mit dem Alter der Frau. Das gilt auch für die Trisomien 13 und 18, bei denen die Kinder deutlich schwerer behindert sind als beim Downsyndrom und oft früh versterben. Bereits jetzt können diese Erbgutveränderungen vor der Geburt sicher diagnostiziert werden, durch eine Fruchtwasseruntersuchung (ab der 16. Schwangerschaftswoche) oder die Punktion des Mutterkuchens (ab 12. Schwangerschaftswoche). Das Risiko für eine Fehlgeburt durch die Eingriffe wird mit 0,5 bis ein Prozent angegeben, es besteht also die Gefahr, dass eine Frau ein gesundes Kind verliert.
Liegt eine Trisomie vor, dann stehen die Eltern vor der oft schwierigen Entscheidung, ob sie das Kind bekommen möchten oder nicht. "Mehr als 90 Prozent der Eltern entscheiden sich in Deutschland dann gegen das Kind", sagt Boris Schulze-König vom Pränatalzentrum Hamburg im Gynaekologicum.
+++ Kommentar: Kein Kind ohne Risiko +++
Den invasiven Untersuchungen geht zunächst eine Ultraschalluntersuchung voraus - und bis zur 14. Schwangerschaftswoche das Ersttrimesterscreening. "Dabei wird die Nackenfalte des Kindes untersucht. Und verschiedene Blutwerte der Mutter", erklärt Schulze-König. Zusammengenommen mit dem Alter der Frau und anderen Erkenntnissen aus dem Ultraschall lässt sich das Risiko für die Chromosomenveränderung Trisomie 13, 18 und 21 ableiten. "Dieses Risiko bespricht man sehr individuell mit den Eltern, auch ob eine Fruchtwasseruntersuchung oder Plazentapunktion gewünscht wird."
Doch wie reiht sich nun der neue Test in bereits vorhandene Untersuchungen ein? Bei dem Verfahren wird nach Genschnipseln des Kindes gefahndet, die während der Schwangerschaft im Blut der Mutter zu finden sind. "Wir stellen Röhrchen und spezielle Blutentnahme-Sets zur Verfügung, damit die DNA bis zur Untersuchung konserviert werden kann", sagt Elke Decker von LifeCodexx. Etwa zwei Wochen soll es dauern, bis das Ergebnis vorliegt. Das Unternehmen gibt die Treffsicherheit mit 95 Prozent an. Der Preis für den Test liegt bei 1249,50 Euro. Die Kosten werden nicht von den gesetzlichen Kassen übernommen, hinzu kommen die Beratungskosten durch den Arzt.
+++ "Fahndung nach Kindern mit Behinderung" +++
"Ich würde den Test Frauen anbieten, bei denen laut Ersttrimesterscreening ausschließlich das Risiko für die Trisomie 21 erhöht ist, und die zunächst einmal eine Punktion und das damit verbundene Fehlgeburtsrisiko vermeiden wollen. Dann muss man allerdings mit ihnen auch über die Kosten und die Zeit reden, die bis zum Vorliegen des Testergebnisses vergeht. Den Mut muss eine Frau haben, zwei Wochen warten zu können, und außerdem muss sie über die finanziellen Mittel verfügen", sagt Schulze-König.
Spricht der "Praena-Test" für eine Trisomie 21, empfiehlt das Unternehmen eine weitere diagnostische Abklärung und eine ausführliche Beratung - auch wenn die Treffsicherheit des Tests als "hervorragend" bezeichnet wird. Das bedeutet also doch eine invasive Fruchtwasseruntersuchung oder Plazentapunktion. "Die größte Sorge ist, dass der Test eine Trisomie 21 anzeigt, und eine Abtreibung erfolgt, ohne dass tatsächlich ein Downsyndrom vorliegt", sagt Schulze-König.
Aus diesem Grund sieht Prof. Gabriele Gillessen-Kaesbach (Institut für Humangenetik am UKSH in Lübeck) dem Test auch verhalten bis kritisch entgegen. "Kommt es doch zu einer Punktion, dann hat die Frau im Zweifelsfall einfach zwei Wochen länger darauf gewartet, und die Gefahr einer Fehlgeburt bleibt", sagt Gillessen-Kaesbach. Wie ihr Kollege Siebert betont sie, dass ihr Institut eng mit den Gynäkologen am UKSH zusammen arbeitet - denn diese führen das Ersttrimesterscreening durch. "Wir sind auf LifeCodexx zugegangen, weil wir eine ausführliche humangenetische Beratung der Frauen sicherstellen wollen", sagt Siebert.
Egal, wie der "Praena-Test" nun konkret bei den Frauen ankommen wird: Er steht für den rasanten Fortschritt der Gendiagnostik - und die ethischen Bedenken, die darauf folgen. Anfang Juni erst berichteten US-Forscher, das gesamte Erbgut eines ungeborenen Kindes entziffert zu haben. Dafür analysierten sie nur die DNA im Speichel des Vaters und im Blut der Mutter. Ihr Ziel: Ein Schritt auf dem Weg zu einem Test auf Tausende von Krankheiten, die durch die Veränderung in Genen ausgelöst werden. Rund einen Monat später folgte eine Studie im Fachjournal "Nature". Auch diesmal wurde das gesamte Erbgut eines Fetus entschlüsselt - doch reichte den kalifornischen Forschern das Blut der Mutter aus. Das Team hatte nach eigenen Angaben auch Grundlagen für den Trisomie 21-Test geliefert.
"Die methodische Entwicklung ist so schnell, wie wir das nicht erwartet haben, auch wenn es noch Zeit braucht, bis solche Tests auf viele Krankheiten zur Praxisreife gebracht werden", sagt Gillessen-Kaesbach. Nun würden sich Fragen stellen: Wie viel dürfen Eltern über ihr Kind erfahren, bevor es auf die Welt kommt? Wer darf oder muss Eltern über Konsequenzen beraten? "Wir diagnostizieren mehrfach pro Woche eine Trisomie 21. Von gesetzlicher Seite müssen drei Tage zwischen Diagnose und Schwangerschaftsabbruch vergehen. Wir bieten den Eltern alles an: Kontakte zu Psychologen oder auch zu Eltern mit Downsyndrom-Kindern", betont Schulze-König.
Der Deutsche Ethikrat erarbeitet derzeit im Auftrag der Bundesregierung eine Stellungnahme zur Zukunft der genetischen Diagnostik. Siebert und Gillessen-Kaesbach hoffen, "dass die Gendiagnostikkommission Vorgaben für den Umgang mit dieser Fragestellung etablieren wird".