In einem 40 Meter langen und dreidimensionalen Wellenbecken an der Universität Hannover testen Ingenieure Schutzwände und Offshore-Pfähle.
Hannover. Überflutungssichere Hochwasserwände und Deiche oder stabil stehende Offshore-Windanlagen - die Praktikabilität von Bauwerken am und im Meer wird die Wissenschaft in Zukunft vor große Aufgaben stellen. Bis jetzt wurde die Tauglichkeit von vielen dieser Konstruktionen ausschließlich im Wellenkanal getestet. Doch der Wellenlauf in einem klassischen Wellenkanal kann die Realität nur unzureichend abbilden: Die Brecher, die im Kanal nur aus einer einzigen Richtung anrollen, kommen in der Natur oft aus unterschiedlichen Richtungen und überlagern sich meist auch noch. Deshalb werden im Franzius-Institut für Wasserbau und Küsteningenieurwesen in Hannover solche Bauwerke jetzt auch in einem 3-D-Wellenbecken getestet.
In diesem 40 mal 24 Meter großen Becken kommen die Wellen aus unterschiedlichen Richtungen. Möglich wird dies durch 72 Motoren, die unabhängig voneinander 72 sogenannte Wellenblätter bewegen können. "Dabei kann die 3-D-Wellenmaschine nicht nur dauerhaften Seegang produzieren, sondern auch Unregelmäßigkeiten und unnatürlichen Reflektionen im Seegang technisch entgegenwirken", sagt Nils Kerpen, Küsteningenieur vom Franzius-Institut. Das ist durch hochmoderne Messtechnik möglich: Jedes Wellenblatt ist mit einem Messgerät für den Wasserstand gekoppelt, von dem es immer wieder die Daten des derzeitigen Ist-Zustands der Wellenhöhe bezieht. Anhand dieser Daten kann seine Bewegung dann wieder so weit korrigiert werden, dass es auf die Erzeugung der für den jeweiligen Versuch gewünschten Wellenhöhe zurückgefahren wird.
Derzeit haben die Küsteningenieure eine schematisierte Hochwasserwand, wie sie etwa beim Städtchen Brake an der Unterweser steht, im Maßstab von eins zu zehn diagonal in das 3-D-Wellenbecken eingebaut. Die darauf auftreffenden Wellen werden nach Berechnungen der Forschungsstelle Küste des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) erzeugt. "Dafür haben wir ein Szenario berechnet, das die Wellenhöhen widerspiegelt, wie sie bei einer Sturmflut auch in der Natur vorkommen", sagt NLWKN-Wissenschaftlerin Cordula Berkenbrink. Aus den gewonnenen Daten wollen die Forscher eine Modellierungsmethode entwickeln, mit der sie die Höhe der Schutzwände in Niedersachsen sicher und wirtschaftlich berechnen können.
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Die ersten Versuche bestätigen ein zu erwartendes Ergebnis: "Aus den frontal auflaufenden Wellen resultieren wesentlich höhere Wellenhöhen als aus den schräg auf die Schutzwände auftreffenden Wellen", erklärt Projektleiter Kerpen. Derzeit untersucht der Küsteningenieur, inwieweit sich die aus verschiedenen Richtungen kommenden Wellen auch noch überlagern können und dadurch die Wellenhöhen abermals gesteigert werden. "Gerade die Wellen eines starken Sturmereignisses sind eine echte Gefahr für Hochwasserschutzwände und Deiche", sagt Kerpen. Dabei kann es sein, dass Seegang, der zu häufig über die Deichkrone läuft, an der landeinwärts gelegenen Böschung des Deiches eine Hangrutschung auslösen kann. "In der Vergangenheit, etwa bei der Sturmflut von 1962, war genau diese Versagensform eines Deiches die Regel. Rutscht die schützende Kleischicht auf der Binnenseite ab, liegt der Sandkern frei, und das überlaufende Wasser spült den Sandkern heraus. Dann bricht der Deich", weiß Berkenbrink.
Doch Stürme und damit verbundene starke Wellenbewegung bis hin zu Monsterwellen sind nicht nur für Hochwasserschutzwände und Deiche gefährlich. Sie sind auch für die Standhaftigkeit der Pfähle der großen Offshore-Windparks eine latente Gefahr. Deswegen messen die Hannoveraner Küsteningenieure im Wellenkanal auch genau, welchen Belastungen diese Offshore- Konstruktionen bei starkem Wellengang ausgesetzt sind. Dafür haben sie die riesigen Offshore-Türme auf den Maßstab eins zu vierzig verkleinert und in ihren Wellenkanal gestellt.
Gemessen wird mit einem neuen, berührungslosen optischen Strömungsmesssystem: Mithilfe eines Lasers und zwei Kameras lässt sich die genaue Geschwindigkeit, mit der die Wellen auf die Offshore-Anlagen treffen, errechnen. In das Pfahlmodell eingebaute Druckmessdosen zeichnen parallel auf, mit welchem Druck sie das tun. So kann ermittelt werden, wie stark die Stahlwand der innen hohlen Windkraftpfähle gebaut werden muss, um diesem Druck standzuhalten.
Besonders gefährlich sind die großen Wellen eines starken Sturmereignisses, die entstehen, wenn sich mehrere Wellenkämme überlagern. Sie sind in der Lage, solche Pfähle auch einmal umzuknicken. "Wir waren selbst erstaunt, was für einen Druck diese großen Wellen auf die Pfähle ausüben, denn wenn eine Welle direkt auf den Pfahl auftrifft und dadurch bricht, können 17-fach höhere Lasten auftreten als bei einer ähnlich hohen, nicht brechenden Welle. Das heißt im Klartext bis zu 500 Tonnen", berichtet Projektleiter Arndt Hildebrandt.
Zum anderen wird gemessen, inwieweit starker und stetiger Wellengang die Fundamente der Pfeiler beeinflusst. Denn erfahrungsgemäß graben die wellenindizierten Strömungsbewegungen die im Schlick und Sand gegründeten Pfähle regelrecht aus. Deshalb wurde das Modellfundament auch im Wellenkanal im Sand gegründet. "Wenn man weiß, wo und mit welcher Intensität solche sogenannten Auskolkungen erfolgen, können die Betreiber der Offshore-Parks die Pfähle dann entweder entsprechend tiefer gründen oder die Fundamente durch Steine oder Geotextilien vor dem Ausgraben durch die Strömungen schützen", sagt Hildebrandt. Für die Industrie könnten diese Erkenntnisse Einsparungen von vielen Millionen Euro bedeuten.