Teil 6: Gesunde Zähne. Bis zum Jahr 2020 sollen mindestens 80 Prozent aller Jungen und Mädchen ein komplett gesundes Gebiss haben.
Wie grandios die Natur uns ausgestattet hat: Die härteste Substanz unseres Körpers – fester als unsere Knochen – liegt in der äußersten Schicht der Zähne, im Zahnschmelz, der das empfindliche Innere schützt. Wie kann es da sein, dass Kinder schon in den ersten drei Jahren ihres Lebens Zahnruinen im Mund haben? Und dass die Zahl der Kleinkinder mit Karies wieder stark zunimmt? Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen die Beobachtung Hamburger Zahnmediziner auch bundesweit: 15 Prozent der unter Dreijährigen sind derzeit betroffen, also etwa jedes sechste Kind. Die häufigste Ursache: Dauernuckeln an Trinkflaschen mit gesüßtem Inhalt. Der auch für Laien verständliche Befund: Nuckelflaschenkaries.
„Daran sind Versäumnisse beziehungsweise fehlende Aufklärung der Eltern schuld“, sagt der Hamburger Zahnarzt Dr. Thomas Clement. Denn sie müssen dem Kind die Flasche geben. Obwohl schon ihre Eltern und Großeltern wussten: Dauerberieselung mit Zucker ist Gift für die Zähne. Eine Erkenntnis, „die in den nachfolgenden Elterngenerationen offenbar wieder in Vergessenheit gerät“, sagt Clement. Muttermilch und Wasser gelten im frühkindlichen Alter als ideale Getränke. Jede Art von Zucker, auch der in Fruchtsäften, setzt dagegen einen fatalen Teufelskreis in Gang.
„Karies ist eine Nischenerkrankung“
„Denn unsere Mundhöhle ist ein Biotop“, meint Clement, „mit vielfältigen Bakterien, guten und schlechten. Die Frage ist, wer gewinnt?“ Viel Zucker entscheidet diesen Kampf schnell. Denn die dadurch aus dem Gleichgewicht gebrachte Mundflora begünstigt jene Bakterien, die den Zucker in Säure umwandeln und den Zahnschmelz entkalken, beziehungsweise entmineralisieren, und nach und nach aufweichen. Durch das porös gewordene Material dringen die Keime in den Zahn ein und zerstören ihn. Das Loch ist da – die Karies.
„Karies ist eine Nischenerkrankung“, sagt Clement, das heißt, die bakteriellen Belege bilden sich in den Ecken und Kanten des Gebisses, in Ritzen und Nischen, dort, wo die Zahnbürste oft nicht hinkommt. Und wo unsere natürlichen Reinigungsinstrumente versagen: Lippe, Zunge, Wange und Speichel. Dort klebt der Belag, auch Plaque genannt, förmlich fest und ist mit Wasser allein nicht abspülbar.
Ein Fall für die Zahnbürste. Bei richtiger Putztechnik und mindestens zweimaliger gründlicher Reinigung am Tag haben die Wegbereiter der Karies kaum eine Chance. Denn Karies bildet sich nicht von einem Tag auf den anderen. Das dauert Wochen und Monate. Deshalb muss Zahnpflege ein Dauerthema sein, auch in Schulen und Kitas.
Spezielles Fluoridprogramm für Kariesrisikokinder
Hamburg schafft das. 130.000 Hamburger Kinder – von der Kita, über Vorschule bis zur zehnten Klasse – bekamen im letzten Schuljahr Unterricht zur Zahngesundheit, finanziert von den gesetzlichen Kassen, zahnärztlichen Körperschaften und der Hansestadt, vertreten in der LAJH (Landesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Jugendzahnpflege in Hamburg e.V.). Schulzahnärzte, angestellt bei den Bezirken, untersuchen das Gebiss der Kinder. Sogenannte Kariesrisikokinder erhalten ein spezielles Fluoridprogramm. 160.000 Zahnbürsten und Putzsets werden jedes Schuljahr verteilt. Ein Aktionsprogramm im Kampf gegen Karies, die bei Kindern häufigste chronische Erkrankung.
Jeder kennt Karies und weiß um die Bedeutung von Mundhygiene. Dennoch bleiben Unsicherheiten. Soll man sich sofort nach einer Mahlzeit die Zähne putzen? Oder 30 Minuten warten, damit man nicht den vorübergehend von Säuren, zum Beispiel aus Obst, erweichten Zahnschmelz schädigt? Deswegen nicht zu putzen, sei die noch schlechtere Alternative, meint Clement und empfiehlt, „den Mund mit Wasser auszuspülen als Neutralisierung oder besser Milch zu nehmen, die gleichzeitig Mineralien zuführt“, wenn man innerhalb von 30 Minuten nach einer Mahlzeit die Zahnbürste einsetzen will.
„Erstes Warnzeichen ist immer Zahnfleischbluten“
Richtiges Zähneputzen ist kein Kinderkram und gilt auch für Erwachsene. Das Praktische an gründlicher Zahnhygiene: Sie verhindert ein weiteres verbreitetes Leiden: die Parodontose (medizinisch korrekt: Parodontitis). Das Tückische: Die Erkrankung schreitet häufig für den Patienten unbemerkt voran. Wer sich mindestens zweimal im Jahr untersuchen lässt, kann sich vor Parodontoseschäden gut schützen. „Erstes Warnzeichen ist immer Zahnfleischbluten“, sagt Clement, das Symptom für eine im ersten Stadium harmlose Entzündung (medizinischer Ausdruck: Gingivitis). Das Zahnfleisch schwillt an, das Immunsystem wehrt sich.
In dieser Phase müssen alle Beläge am Zahnfleischrand gründlich entfernt werden. Der Patient allein schafft das nicht. „Deshalb ist die professionelle Zahnreinigung so wichtig“, sagt Clement, eine Erkenntnis, die sich erst langsam durchsetzt. Noch vor einigen Jahren meinten sechs von zehn Befragten, damit sei das tägliche Zähneputzen gemeint. Doch die mindestens 30 Minuten dauernde Behandlung erfordert Spezialgeräte aus der Arztpraxis. Der Zahnarzt oder eine Fachkraft entfernen die harten Beläge (Zahnstein) sowie die weichen (Plaque) mit Pulver-Wasser-Düsen, Schallgeräten und Handinstrumenten.
Auch Zahnseide und Zwischenraumbürsten kommen zum Einsatz. Am Ende wird poliert und ein fluoridhaltiges Mittel als Schutzschicht aufgetragen. Kosten: zwischen 50 und 150 Euro. Ein Ärgernis, dass gesetzliche Kassen diese Leistung regulär nicht bezahlen dürfen. Manche Kassen geben Zuschüsse oder beteiligen sich über ein Bonussystem, wenige haben Verträge mit ausgewählten Ärzten, die auf Kosten der Kasse die professionelle Zahnreinigung vornehmen. Trotz der Kosten lassen sich immer mehr Patienten die Zähne professionell reinigen. Das dürfte mit ein Grund sein, dass die Zahngesundheit besser wird.
Bis 2020 sollen 80 Prozent der Sechsjährigen ohne Karies sein
Dahinter ist auch ein politisches Ziel. Deutschland war das erste Land, das eine Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) umsetzte. Bis 2020 sollen 80 Prozent der Sechsjährigen ohne Karies sein; 2009 traf das in Hamburg auf knapp 54 Prozent der Sechsjährigen zu, weitere 20 Prozent hatten sanierte Zähne. Der Trend: Jugendliche haben immer bessere Zähne.
Anders sieht das bei den parodontalen Erkrankungen aus. Schwere Formen sollen bis 2020 auf zehn Prozent (Altersgruppe 35 bis 44 Jahre) beziehungsweise 20 Prozent (65 bis 74 Jahre) verringert werden. Doch Studien zeigen, dass Parodontalerkrankungen seit 1997 zunehmen. Unter Senioren sind 48 Prozent von einer mittelschweren und 39,8 Prozent von einer schweren Erkrankung betroffen. Der negative Trend könnte auch daran liegen, dass im Alter heute weniger Zähne verloren gehen – dank besserer Pflege und weil Ärzte verstärkt zu erhaltenden Maßnahmen greifen, statt Zähne zu ziehen.
Der lange Erhalt der eigenen Zähne ist oberstes Gebot. Kariöse Stellen werden entfernt, Lücken mit Keramik-Verbundstoffen gefüllt, immer seltener mit Amalgam. Mit Blaulicht gehärtet, haben Kunststofffüllungen die gleiche Haltbarkeit wie Amalgam. Sie werden mit dem Zahn „verklebt“, deshalb kann die Vorbereitung der Füllung substanzschonender als bei Amalgam erfolgen, denn Amalgamfüllungen müssen mechanisch im Zahn verankert werden.