Hamburg. Neue Gesundheitsserie im Hamburger Abendblatt: Beschwerden im Alltag – und was dagegen hilft. Teil I: Kopfschmerzen.

Kaum ein Mensch bleibt von ihnen verschont: Kopfschmerzen erwischen fast jeden irgendwann einmal. Sei es, weil wir schlecht geschlafen haben, gestresst sind oder sehr besorgt, weil wir zu wenig gegessen oder getrunken haben – oder einen über den Durst. Ein ernstes Problem sind solche Beschwerden für die wenigsten: „Wer ab und zu leichte Kopfschmerzen hat, nimmt für kurze Zeit ein Schmerzmittel wie ASS, Ibuprofen oder Paracetamol – das genügt völlig“, sagt Prof. Arne May, Leiter der Kopfschmerzambulanz am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). „In der Regel verschwinden die Schmerzen dann schnell.“

Mit herkömmlichen Schmerzmitteln allein kommen all jene Menschen nicht mehr aus, die häufig oder regelmäßig unter starken Kopfschmerzen leiden. Ihr Alltag ist dadurch immer wieder erheblich beeinträchtigt. Deshalb sollten sie einen Arzt aufsuchen, rät Arne May. „Es gibt mehr als 200 Kopfschmerzarten – und jede Kopfschmerzart muss anders behandelt werden.“

Erster Ansprechpartner sollte der Hausarzt sein. Er schickt den Patienten gegebenenfalls zu einem Neurologen. Wenn dieser nicht mehr weiter weiß, kann er Patienten an eine spezialisierte Kopfschmerzambulanz überweisen.

So unterscheiden sich Kopfschmerzen

Mediziner unterscheiden zwischen primären und sekundären Kopfschmerzen. „Primär heißt, der Kopfschmerz selbst ist die Erkrankung; sekundär bedeutet, der Kopfschmerz ist das Symptom für eine andere Erkrankung, etwa Blutungen im Gehirn oder einen Tumor“, erläutert May. Primäre Kopfschmerzen treten ihm zufolge mit Abstand am häufigsten auf.

Unter den primären Kopfschmerzen ist die Migräne am stärksten vertreten: 14 Prozent der Deutschen leiden unter dieser Erkrankung, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Eine Migräne kommt in Attacken, sie kann vier bis 72 Stunden dauern, mit Licht- und Lärmempfindlichkeit einhergehen, mit Übelkeit und Erbrechen. Der Schmerz ist meist stechend und pulsierend; hinzu kommen nicht selten eine Konzentrationsschwäche und weitere Symptome.

Schmerzen: Ursachen liegen in den Genen

Die Ursachen liegen in den Genen. „Wir kennen inzwischen etliche Chromosomenfehler, die dazu führen können, dass man eine Migräne bekommen kann“, sagt Arne May. „Als Auslöser fungieren dann Umwelteinflüsse, vor allem Schlafmangel, Unterzuckerung und Stress.“

Am zweithäufigsten ist der Spannungskopfschmerz. Ein Prozent der Deutschen erleben ihn chronisch, mehr als 90 Prozent ab und zu – allerdings fast nur Männer. Der Spannungskopfschmerz tritt am ganzen Kopf auf und fühlt sich dumpf-drückend an. „Weitere Symptome treten im Gegensatz zur Migräne nicht auf“, sagt Arne May. Die Ursachen sind unklar, genetische Veränderungen als Risikofaktoren bisher nicht bekannt.

Vergleichsweise wenige Menschen – 0,1 Prozent der Deutschen – sind May zufolge von sogenannten Cluster-Kopfschmerzen betroffen. Dabei handelt es sich um einseitige Kopfschmerzen, die immer hinter einem Auge auftreten, nie die Seite wechseln und so heftig sein können, dass es für die Betroffenen „absolut entsetzlich“ ist, wie May sagt. Das Besondere ist, dass immer auch das Auge tränt und die Nase verstopft ist – aber nur auf der Seite des Schmerzes. Die Ursachen für diese Erkrankung sind unklar.

Ein Kopfschmerzkalender kann helfen, Auslöser von Beschwerden zu erkennen

Um festzustellen, unter welcher Kopfschmerzart der Patient leidet, wird der Arzt eine Reihe von Fragen stellen. Zum Beispiel: Wie sind häufig die Beschwerden, wie stark und an welcher Seite des Kopfes treten sie auf? Welche Begleitsymptome gibt es? Gibt es Faktoren, die zu einer Verbesserung oder Verschlechterung der Symptome führen? „Spannungskopfschmerzen zum Beispiel verändern sich nicht, wenn der Patient sich bewegt – eine Migräne hingegen wird durch Bewegung schlimmer“, sagt May. Wichtig ist zudem die Frage, ob der Patient bereits bestimmte Medikamente nimmt. „Ein Prozent der chronischen Kopfschmerzen werden nämlich durch Medikamente verursacht.“ Um die Ursachen und Auslöser genauer zu erfassen, kann der Arzt den Patienten auch bitten, ein Kopfschmerztagebuch zu führen.

Nach der Erhebung der Vorgeschichte folgt in der Regel eine körperliche Untersuchung. Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren wie der Magnetresonanztomografie (MRT) hingegen sind May zufolge nur nötig, wenn es Hinweise darauf gibt, dass eine andere Erkrankung die Beschwerden verursacht, es sich also um sekundäre Kopfschmerzen handeln könnte.

Migräne: Vorbeugende Behandlung hilft

Für die Kopfschmerztherapie mit Medikamenten gibt es zwei Möglichkeiten. Erstens: die akute Behandlung, also wenn die Beschwerden auftreten. Gegen Migräne wirken Schmerzmittel und bei schweren Attacken sogenannte Triptane. Eine mögliche Nebenwirkung dieser Arzneistoffe: Sie können gefäßverengend wirken. „Wer eine Gefäßerkrankung hat, muss deshalb mit Triptanen zurückhaltend umgehen oder womöglich auf sie verzichten“, sagt May.

Bei chronischen Spannungskopfschmerzen sei die Einnahme von Schmerzmitteln wie ASS und Ibuprofen nur über eine relativ kurze Zeit empfehlenswert, da sie Kopfschmerzen auslösen könnten. Deshalb sei hier oft eher die zweite Option sinnvoll: die vorbeugende Behandlung mit dem Wirkstoff Amitriptylin.

Auch bei Migräne könne es ab drei Attacken pro Monat sinnvoll sein, pro­phy­lak­tisch ein halbes Jahr spezielle Medikamente zu nehmen, sagt May. „Bei den meisten Patienten nimmt dadurch die Frequenz der Attacken ab. Diese Medikamente können chronische Kopfschmerzen zwar nicht heilen, aber sehr gut beeinflussen.“

Betablocker und Anti-Depressiva gegen Kopfschmerzen

Wie genau diese Medikamente das bewirken, ist unklar. Es handelt sich bei den Arzneien etwa um bestimmte Beta-Blocker, also Wirkstoffe, die vor allem gegen Bluthochdruck eingesetzt werden, und um bestimmte Antidepressiva, bei denen man festgestellt hat, dass sie auch gegen Kopfschmerzen wirken. „Wir vermuten, dass einige dieser Medikamente dafür sorgen, dass von außen kommende Reize, etwa Stress, in bestimmten Hirnarealen weniger stark wirken“, erläutert May.

Aus dem beschränkten Wissen über die Wirkungsweise von prophylaktisch eingesetzten Kopfschmerzmitteln folgt, dass es schwer ist, neue Medikamente zu entwickeln.

Was hilft anstelle von Medikamenten? „Bei einzelnen Attacken kann man ohne Medikamente in der Regel nicht viel machen“, sagt der Neurologe. „Vorbeugend ist allerdings vieles möglich: Man sollte die persönlichen Auslöser vermeiden oder reduzieren. Auch Sport, insbesondere Ausdauersport, hat sich als sehr gute Maßnahme herausgestellt, um Kopfschmerzen zu verhindern“, sagt May. Ein Grund ist wahrscheinlich, dass Bewegung zu Entspannung beitragen kann.

Was alternativ bei Kopfschmerzen hilft

Ebenfalls wichtig sei, für genügend Schlaf, eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr und eine ausgewogene Ernährung ohne längere Hungerpausen zu sorgen, sagt May. Zudem sei bewiesen, dass Akupunktur, Biofeedback und Verhaltenstherapie eine Wirkung haben.

Zumindest für Migräne-Patienten gibt es einen Hoffnungsschimmer, dass sich ihre Beschwerden künftig stärker lindern oder sogar ganz beseitigen lassen. Arne May zufolge erproben etliche Forscher weltweit derzeit den Ansatz, CGRP-Antikörper gegen Migräne einzusetzen. Antikörper sind Abwehrmoleküle, die zu jedem Immunsystem gehören; sie zerstören Eindringlinge.

Allein im vergangenen Jahr seien vier Studien veröffentlicht worden, für die mehrere Hundert Patienten mit CGRP-Antikörpern behandelt wurden. Dabei habe sich gezeigt, dass die Hälfte der Patienten positiv auf die Behandlung anspreche. „Das eigentlich Verblüffende war aber, dass einige Patienten im Zuge der Behandlung gar keine Migräne-Attacken mehr erlitten“, sagt May. „Mit allen prophylaktischen Behandlungen bekommt man bisher bestenfalls eine Halbierung der Attacken hin – aber keine Reduzierung auf null.“

Die klinischen Studien im UKE laufen nun weiter, um festzustellen, ob sich die bisherigen Ergebnisse untermauern lassen. Noch ist der Wirkstoff nicht für die normale Migräne-Behandlung zugelassen. „Zum jetzigen Zeitpunkt darf man Ergebnisse nicht überbewerten“, sagt Arne May. „Aber sie sind definitiv vielversprechend.“

Kopfschmerzen: Wegweiser für Betroffene

www.schmerzlos-ev.de Die Vereinigung aktiver Schmerzpatienten ist ein Verein, der sich für die bessere Versorgung von Schmerzpatienten einsetzt, die Bevölkerung über die Vorbeugung und Behandlung von Schmerzen aufklären will und die Arbeit von Selbsthilfegruppen unterstützt. Sie fordert Schmerzpatienten dazu auf, zu Experten für die eigene Erkrankung zu werden und bietet dafür eine Fülle von Informationen an. Auf der Webseite gibt es auch eine Liste von Selbsthilfegruppen. Die Hamburger Selbsthilfegruppe trifft sich jeden 4. Mittwoch im Monat, 18 Uhr, in der Asklepios Klinik Nord, Tangstedter Landstr. 400, Hs. 3 2. OG.

www.deutsches-kinderschmerzzentrum.de Diese Einrichtung wurde gegründet, um Kindern mit chronischen Schmerzen das Leben zu erleichtern. Die Webseite bietet Informationen für Kinder und Jugendliche, die unter chronischen Schmerzen leiden sowie für ihre Eltern.

www.dsl-chronische-schmerzen.de Die Deutsche Seniorenliga informiert über die verschiedenen Schmerzarten und geht dabei auch besonders auf Beschwerden älterer Menschen ein. In den Berichten zur Schmerztherapie geht es nicht nur um Medikamente, sondern auch um nicht-medikamentöse Behandlungsverfahren wie Bewegung, Entspannung und Nervenstimulation,

www.dgss.org Die Deutsche Schmerzgesellschaft ist die größte medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft zum Thema Schmerz in Europa. Auf ihrer Webseite bietet sie auch eine ausführliche Patienteninformation zu Schmerzerkrankungen, Diagnostik und Therapie. Fachbegriffe aus diesem Bereich und die verschiedenen Möglichkeiten der Patientenversorgung werden verständlich erklärt,

www.schmerzliga.de Die Deutsche Schmerzliga, ein gemeinnütziger Verein, will die Lebensqualität von Menschen mit chronischen Schmerzen verbessern. Der Verein informiert über die Möglichkeiten der modernen Schmerz­­­therapie, gibt Tipps für Patienten und hilft bei der Suche nach einem Schmerztherapeuten. Außerdem bietet die Organisation ein Schmerztelefon an, das Montag, Mittwoch und Freitag, 9 – 11 Uhr, unter der Telefonnummer 06171/28 60-53 und am Montag, 18–20 Uhr unter 06201/604 94 15 zu erreichen ist.

www.internisten-im-netz.de Der Der Berufsverband Deutscher Internisten erklärt auf seiner Webseite ausführlich , welche verschiedenen Arten von Schmerz es gibt und was in solchen Fällen zu tun ist.

www.neuro-ned.tu-muenchen.de/dfns Der Deutsche Forschungsverbund Neuropathischer Schmerz informiert auf seiner Webseite darüber, wie Nervenschmerzen entstehen und wie sie behandelt werden.

www.krebsinformationsdienst.de/leben/schmerzen/schmerzen-index.php Das Deutsche Krebsforschungszentrum gibt auf seiner Webseite einen Überblick über die Schmerztherapie bei Krebspatienten und weitere Verfahren, die eine Behandlung unterstützen können.