Vor allem besonders engagierte Menschen fühlen sich eher ausgebrannt. Doch wie wird man gelassener? Ein Therapeut gibt Tipps. Teil 2.

Wer ihn vermeiden will, darf gar nicht erst aufstehen: Stress gehört zu jedem Leben dazu. Das hat durchaus sein Gutes: „Wenn man in positiver Weise gefordert wird und Stress als Herausforderung begreift, kann das ein sehr wichtiger Antrieb sein“, sagt Prof. Stephan Ahrens, Direktor des Fachzen­trums für Stressmedizin und Psychotherapie in Hamburg. „Wo wären wir ohne Herausforderungen?“

Von der Herausforderung ist der Weg allerdings nicht weit zur Überforderung. „Stress wird dann negativ, wenn er die Ressourcen eines Menschen zu stark beansprucht. Das Risiko, in diese Richtung zu rutschen, ist gewachsen“, sagt Ahrens, der seit fast 30 Jahren als Psychiater und Therapeut arbeitet. „Die Arbeitsbelastung ist größer als früher“, so sein Eindruck. „In etlichen Unternehmen müssen heute weniger Mitarbeiter mehr Aufgaben übernehmen; zugleich ist die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes gewachsen.“

Durch den höheren wirtschaft­lichen Druck habe zudem der Wettbewerb in den Firmen zugenommen, deshalb werde das Miteinander schwieriger, hat Ahrens von etlichen seiner Patienten erfahren: „Es gibt offenbar eine Tendenz, nicht mehr kollegial miteinander umzugehen, sondern eher zu versuchen, dem anderen Schaden zuzufügen, um selber Vorteile zu haben.“

Wie stark Stress Menschen zu schaffen macht, hänge unter anderem von der Persönlichkeit ab. „Es gibt einige Merkmale, die für ein Burn-out prädestinieren“, sagt Ahrens: „Dazu zählen etwa Perfektionismus und Narzissmus – also das Bedürfnis, regelmäßig von anderen Anerkennung oder Bewunderung zu bekommen, für die man etwas tun muss.“

Wohlbefinden nicht von Anerkennung im Beruf abhängig machen

Zwar sei Anerkennung im Beruf wichtig, aber man dürfe sein Wohlbefinden nicht allein davon abhängig machen, sagt Ahrens: „Es gibt ja auch ein privates Umfeld, Familie, Freunde, von denen wir Wertschätzung bekommen können – im Übrigen nicht nur oder gar nicht für unsere Leistungen, sondern weil man uns als Mensch mag.“

Woran erkennt man ein Ungleichgewicht? Wie zeigt sich, dass der Stress ein Maß erreicht, das zur Gefahr werden kann? „Ein Hinweis ist, dass man nicht mehr in der Lage ist, private und berufliche Zeit voneinander abzugrenzen“, sagt Ahrens. „Wer zum Beispiel immer auf dem Handy erreichbar ist, hat keinen privaten Raum, kann sich nicht wirklich erholen.“

Ein weiterer Warnhinweis ist dem Mediziner zufolge, dass man sehr viel mehr Kraft aufbringen muss für Aufgaben, die einem noch vor einem halben Jahr erheblich leichter gefallen sind. Sehr deutlich zeige sich Überlastung auch darin, dass man sich nach drei Wochen Urlaub genauso erschöpft fühle wie vorher, sagt Ahrens. „Dann ist ganz klar: Der Akku lädt sich nicht mehr von alleine auf.“

Für den Körper kann das verschiedene Folgen haben. Einige Menschen bekommen Kopfschmerzen, andere Magen- oder Hautprobleme. Viele haben Schlafstörungen, schwitzen nachts, können sich tagsüber schlechter konzentrieren. „Zunächst sind das nur funktionelle Störungen, die verschwinden, wenn man den negativen Stress beseitigt“, sagt Ahrens. Die Beschwerden können aber auch chronisch werden. „Es gibt Organe wie das Innenohr, die nach dem Schwellenprinzip funktionieren: Ist erst einmal eine gewisse Belastungsgrenze überschritten, lassen sich die Schäden nicht mehr rückgängig machen.“

Dann kann etwa ein chronischer Tinnitus entstehen. Die Betroffenen können zwar lernen, mit dem dauerhaften Fiepen, Rauschen oder Summen umzugehen, es nahezu auszublenden – ganz verschwinden wird es in der Regel aber nicht mehr.

Wenn der Körper Warnsignale sendet, sollten Menschen handeln

Spätestens, wenn der Stress so groß wird, dass der Körper Warnsignale sendet, sollten Menschen handeln, sagt Ahrens. Dabei sei zunächst oft keine Hilfe von Fachleuten nötig. „Man kann sich ja selbst fragen, welche Teile meiner Persönlichkeit sind es, die dazu führen, dass ich mich überbelaste? Muss ich mich etwa weniger abhängig machen von der Bewunderung anderer?“

Wer unter einer besonders hohen Arbeitsbelastung leide, könne versuchen, seine Einstellung zur Arbeit zu verändern, also etwa weniger perfektionistisch zu sein, sagt Ahrens. In vielen Unternehmen sei es auch möglich, eine Überlastungsanzeige auszufüllen, in der man angibt, durch welche Aufgaben und Prozesse man sich stark belastet fühlt.

Wenn keine Überlastungsanzeige möglich ist und man Vorgesetzte direkt ansprechen müsste, sollte man es von der Firmenphilosophie und dem Betriebsklima abhängig machen, ob dies ein sinnvoller Weg ist. „Es gibt einige Firmen, in denen man erledigt ist, wenn man über zu viel Stress klagt“, sagt Ahrens. Bevor man die Belastungen dann zu lange ertrage, sollte man versuchen, einen neuen Job zu finden. „Viele andere Unternehmen hingegen nehmen solche Hinweise ernst und bemühen sich sehr um ihre Mitarbeiter“, hat der Therapeut erfahren.

Wenn stark Gestresste der Lage selber nicht mehr Herr werden und auch Freunde nicht mehr helfen können, sollten die Betroffenen zum Hausarzt gehen und sich an einen Psychotherapeuten überweisen lassen, rät Ahrens. Hat der Therapeut die Ursachen ausgemacht, wird er mit dem Patienten darauf hinarbeiten, dass dieser seine Einstellung und sein Verhalten in bestimmten Punkten ändert. „Erfreulicherweise kommen viele Betroffene heute früher zu mir – das erleichtert die Therapie häufig“, sagt Ahrens.

Er hat für die Betroffenen eine tröstende Botschaft: „Es sind meist nicht die schlechten, sondern die guten, engagierten, leistungsorientierten und gewissenhaften Mitarbeiter, die gefährdet sind, ein Burn-out zu erleiden“, sagt Ahrens. „Wenn es einem zu viel wird, braucht man sich dafür nicht zu schämen. Vielmehr sollte man sich sagen: „Ich bin gut und wichtig – aber ich muss lernen, besser auf mich zu achten.“

Wie sagte der österreichische Schriftsteller Ernst Ferstel: „Ständig gehetzte Zeitgenossen vermitteln den Eindruck, dass sie ihr Leben unbedingt in Rekordzeit hinter sich bringen wollen.“ Erstrebenswert ist das wohl kaum.