Bei einer kognitiven Verhaltenstherapie lernen Betroffene, ihre Aufmerksamkeit umzulenken.
Was mache ich bloß, wenn es nicht mehr weggeht? Wenn das Fiepen, Pfeifen oder Brummen im Ohr bleibt? Betroffene verspüren nicht selten Panik, wenn sich ein Tinnitus festsetzt. Ohrgeräusche können sich in den Vordergrund drängen und zermürben, weil nie mehr wirklich Ruhe herrscht. Hilflos ausgeliefert ist man dem Tinnitus aber nicht: „Mit der richtigen Behandlung lässt sich der Leidensdruck lindern“, sagt Mai Seikel, leitende Psychologin am Tinnituszentrum Eppendorf, das zum Fachzentrum für Stressmedizin und Psychotherapie gehört.
Stress scheint bei der Entstehung von Tinnitus häufig eine Rolle zu spielen. Gleichwohl schickt die Therapeutin ihre Patienten zunächst zu einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Denn Tinnitus kann auch durch Lärm verursacht werden, durch Verspannungen der Halswirbelsäulen- oder Kiefergelenksmuskulatur, Erkrankungen des Hörsystems wie Mittelohrentzündung und selten durch einen gutartigen Tumor.
Wie Tinnitus entsteht, ist unklar. Die meisten Fachleute gehen davon aus, dass bei den meisten Betroffenen die Ohrgeräusche durch eine Störung oder Schädigung der Haarzellen im Innenohr hervorgerufen werden kann. „Ein Tinnitus ist immer ein Zeichen für eine Veränderung im hörverarbeitenden System“, sagt Mai Seikel. „Diese nicht unbedingt krankhafte Veränderung ist leider nicht immer medizinisch fassbar, was die Patienten oft frustriert. Sie wünschen sich eine handfeste Erklärung für ihr Ohrgeräusch.“
Die Geräusche, die Tinnitus-Patienten hören, existieren außerhalb ihres Kopfes nicht. Eine Theorie ist, dass sie vom Gehirn als Ausgleich erzeugt werden, weil durch die Störung oder Schädigung der Hörbahn der Schall nicht mehr richtig weitergeleitet wird und auf bestimmten Frequenzen im Gehirn kein Ton mehr ankommt.
Bei der Therapie gilt es, zwischen einem akuten und einem chronischen Tinnitus zu unterscheiden. Bei einem akuten Tinnitus, der einige Wochen andauern kann, ausgelöst etwa durch einen Hörsturz oder extreme Lärmbelastung, kann eine Behandlung mit Cortison wirksam sein.
Der Nutzen von durchblutungsfördernden Mitteln wie Ginkgo-Präparaten hingegen ist schon beim akuten Tinnitus zweifelhaft; mittel- und langfristig brächten die Mittel definitiv keine Linderung, heißt es in der Leitlinie für die Behandlung von chronischem Tinnitus, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie entstanden ist. Zur Wirksamkeit von Nahrungsergänzungsmitteln und Antioxidanzien gebe es „keine berücksichtigungsfähigen“ Studien.
Sind Kieferprobleme die Ursache für Tinnitus, kann eine physiotherapeutische Behandlung helfen.
Ist Stress der Auslöser, kommt eine kognitive Verhaltenstherapie infrage, wie sie Mai Seikel und ihre Kolleginnen anbieten. „Bei uns lernen die Patienten, ihre Aufmerksamkeit umzulenken, um mit dem Tinnitus zurechtzukommen“, sagt Seikel. Außerdem vermittele sie Entspannungstechniken. Bei Tinnitus-Patienten mit einer starken Hörminderung komme zusätzlich eine Hörtherapie infrage, bei der das Richtungshören trainiert und die Gewöhnung an ein Hörgerät unterstützt werden können.
Für nicht ausreichend wissenschaftlich erforscht hält Seikel die Smartphone-App „Tinnitracks“. Mit diesem Programm soll Tinnitus durch ein spezielles Hörtraining mit abgewandelter Musik behandelt werden. Bedenken hat auch der von einigen als „Tinnitus-Papst“ bezeichnete Professor Gerhard Hesse aus Bad Arolsen, Sprecher des fachlichen Beirats der Deutschen Tinnitus-Liga: Er rät „abzuwarten, bis belastbare Studien, die die Wirksamkeit beweisen, mit ausreichender Teilnehmerzahl vorliegen und veröffentlicht wurden“.