Jesu Hinrichtung war für alle Beteiligten ein Schock. Was könnten die Jünger, die Mutter und der Richter empfunden haben? Misha Leuschen hat sich in die Gedankenwelt dieser Menschen versetzt. Für Christen ist Ostern ein entscheidendes Datum - der Beweis, dass Gott seinen Sohn und dieGläubigen nicht verlassen hat.
Ohne Ostern kein Weihnachten! Auch wenn die meisten Menschen hierzulande gefühlsmäßig Weihnachten für das wichtigste christliche Fest halten, so ist doch - theologisch und liturgisch gesehen - Ostern das entscheidende Datum. Denn warum sollten wir die Geburt eines Menschen feiern, dessen Leben in der Krippe im Stall begann und am Kreuz auf Golgotha endete, wenn nicht dahinter Ostern - die Auferstehung - stünde?
"Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube sinnlos", so schreibt der Apostel Paulus in seinem Brief an die Christengemeinde in Korinth (1 Kor 15, 14 und 17). Von Ostern hängt also alles andere ab. Was aber feiern wir an Ostern? Umfragen belegen, dass viele Deutsche es nicht wissen.
Als Jesus vermutlich an einem Freitag, dem 7. April des Jahres 30 unserer Zeitrechnung, von den Römern vor den Stadtmauern Jerusalems hingerichtet wird, da glauben (fast) alle: Mit dem ist's vorbei! Seine jüdischen Gegner können auf die Bibel verweisen: "Ein Gehenkter ist ein von Gott Verfluchter" (Dtn 21,35).
Mit seinem schmählichen Tod am Kreuz scheint die Person und Sache Jesu erledigt: seine Verkündigung widerlegt, seine Machttaten entkräftet. Als Lügenprophet und Gotteslästerer entlarvt, ist er von Gott und Menschen verlassen. Auch für die Anhänger Jesu sieht es so aus. Als drei Tage danach zwei der Jünger Jesu von Jerusalem nach einem Dorf namens Emmaus unterwegs sind, da bewegen sie genau diese Zweifel und Fragen: Ist Jesus gescheitert? Hat er umsonst gelebt? Und haben wir uns getäuscht in ihm?
Karfreitag lässt keinen Zweifel: Gott hat sich von Jesus abgewandt. Der Gott, dessen befreiende Nähe Jesus durch Wort und Tat erfahrbar machte, dieser Gott bleibt fern. Ein wortloses, gottloses Sterben! So schlägt die einzigartige Gottesgemeinschaft, in der Jesus sich wusste, am Kreuz in einzigartige Gottesverlassenheit um. Ohne Gott ist Jesus am Ende - und zusammen mit seiner Person auch seine Sache.
Doch dann geschieht das gänzlich Unerwartete, das aus dem Ende einen Anfang macht. Ostern heißt das Ereignis, das von den Jüngern Jesu als das schlechthin Entscheidende angesehen wird: Die beglückende Erfahrung, dass dieser Jesus, der "unter die Gottlosen gerechnet" (Mk 15,28) und "zur Sünde gemacht" (2 Kor 5,21) worden ist, von Gott nicht im Tode belassen, sondern ins Leben erweckt und dadurch in seinem gesamten vorherigen Reden und Handeln bestätigt wird. Und so verkünden die Jünger vor allem Volk: "Den Urheber des Lebens habt ihr getötet, Gott aber hat ihn von den Toten auferweckt: dafür sind wir Zeugen!" (Apg 3, 13,15).
Wie soll man sich das vorstellen? Am besten gar nicht! Auch die Bibel liefert ja keine Schilderung der Auferstehung, sondern nur eine Beschreibung des leeren Grabes: Rollstein zur Seite gewälzt, Leinentücher zusammengefaltet, Leichnam weg.
Und es gibt die Frage von zwei Männern (Engeln?) in leuchtenden Gewändern: "Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?" Mit anderen Worten: "Ihr schaut in die falsche Richtung! Ihr fragt nach Jesus vergangenheitsfixiert. Dreht euch um, orientiert euch neu, blickt nach vorne - dann werdet ihr den lebendigen Jesus in eurem Leben entdecken - so wie Maria Magdalena es tut" (Joh 20, 14).
Die Frage des leeren Grabes ist nicht entscheidend. Das leere Grab als solches ist ein Faktum, das unterschiedliche Deutungen erlaubt: Jesus war nur scheintot, die Jünger haben den Leichnam geklaut (Mt 27, 62-66), der Gärtner hat ihn umgebettet (Joh 20,15). Das leere Grab ist ein Hinweis: "Er ist nicht hier; denn er ist auferstanden" (Mt 28,6).
Auferstehung - das bedeutet also nicht die Wiederbelebung einer Leiche. Eine solche Vorstellung wäre ja nur die Verlängerung des Status quo. Auferstehung dagegen meint einen Durchbruch in eine andere Wirklichkeit: die Wirklichkeit Gottes, die unsere Wirklichkeit transzendiert. Auferstehung ist ein Geschehen jenseits von Raum und Zeit - und dennoch aussagbar nur in unseren irdischen Bildern. Ostern bedeutet: Gott hat sich mit Jesus identifiziert, so wie Jesus sich mit Gott identifizierte. Gott stellt sich hinter Jesus, so wie Jesus sich auf die Seite Gottes stellte. Ostern ist Gottes Antwort auf Jesu Karfreitag. Damit ist offenbar geworden, dass nicht der Hass, die Sünde und der Tod in dieser Welt das letzte Wort behalten, sondern die Liebe und das Leben. Das gilt nicht nur für Jesus, sondern für alle, die an ihn glauben. Darum verkündet die österliche Gemeinde, dass in Jesu Person die allgemeine Auferweckung der Toten begonnen habe: der Aufstand Gottes gegen Sünde und Tod.
Dieser Aufstand Gottes hat schon begonnen. Er beginnt täglich im Hier und Jetzt: Wenn wir aufstehen gegen alles, was den Menschen klein und kaputt macht, was ihn am Leben hindert. Ostern zu feiern bedeutet, die Gräber hinter uns zu lassen, uns von der Bewegung Jesu mitreißen zu lassen, vom Tod zum Leben hinüberzugehen. Ostern bedeutet, das Leben zu feiern!
\* Der Autor ist Referent für biblisch-theologische Bildung im Erzbistum Hamburg.