Ihr kleiner Chor tritt mit maximal zehn Sängerinnen auf. Doch wenn sie gemeinsam ihre Lieder anstimmen, klingt der Gesang kraftvoll und versetzt jeden Kirchraum in eine festliche Stimmung. Die Frauen des Kirchenchors Schola Hildegardis pflegen ein ganz besonderes Repertoire: Sie singen die liturgischen Lieder der bekanntesten deutschen Mystikerin des Mittelalters: Hildegard von Bingen (1098- 1179). "Zum Wesen der Lieder Hildegard von Bingens gehören große Tonumfänge und ungewöhnliche Wendungen", sagt Ruth Heckmann (39), Gründerin und Leiterin der Schola.
Die Choristen singen einstimmig und ohne instrumentale Begleitung. Der einstimmige Gesang ist besonders anspruchsvoll. "Im Gegensatz zu einem mehrstimmigen Chor hat man nie Pause, man muss seinen Atem gut organisieren und aufpassen, dass man stimmlich zusammenbleibt", sagt Sängerin Eva Dimoff (45). Das fordert die Stimme und die Konzentration, "macht aber auch unglaublich viel Spaß", findet Eva Dimoff, die wie alle Mitsängerinnen bereits langjährige Chorerfahrung hat.
Die Schola entstand 1995 an der Hamburger Domkirche St. Marien auf Inititative des Kirchenmusikdirektors Eberhard Lauer. Die Damenschola sollte die lateinische Liturgie im Gottesdienst mitgestalten. Ursprünglich sangen die Frauen gregorianische Gesänge. "Die typische Kirchenmusik des Mittelalters entstand zwischen dem 4. und 8. Jahrhundert in Rom und wurde nach dem Reformator der Kirchenmusik Papst Gregor I. benannt", sagt Ruth Heckmann. Die hauptberufliche Schulmusikerin arbeitet als Lehrerin für Musik und Geschichte. Als ausgebildete C-Kirchenmusikerin leitet sie den Chor nebenberuflich. Vor etwa acht Jahren erweiterte sie das Repertoire der Schola mit den Liedern Hildegards.
Die Äbtissin hat zahlreiche Werke zu verschiedenen Bereichen wie Religion, Medizin, Ethik und auch zur Musik verfasst. Etwa 80 Gesänge sind von ihr überliefert. "Ihre Melodien sind für Frauenstimmen komponiert, ihre Texte beinhalten Lobgesänge auf die Schöpfung, ein großer Teil ist der Verehrung Marias gewidmet, aber auch Heilige, Apostel, Engel und der Heilige Geist werden besungen", erklärt Ruth Heckmann. Weil sie eine so vielseitige und beeindruckende Frau war, gab sich der Chor ihr zu Ehren den Namen.
Inzwischen tritt die Schola in verschiedenen Kirchen auf, darunter im Kleinen Michel (St. Ansgar), wo sie auch probt. Zum Advent konzertiert die Schola in der Hauptkirche St. Petri. "Wir sind ein Projektchor und kommen nur zum Proben zusammen, wenn eine Aufführung ansteht", sagt Ruth Heckmann. Das ist etwa viermal im Jahr der Fall.
Obwohl die Schola als katholischer Chor begann, gehören ihr auch Protestantinnen an. "Letztlich ist die Konfession egal, nur ganz ohne Glaube wird es schwer, sich auf die Lieder einzulassen. Denn von ihrem Selbstverständnis her sind sie klingende Gebete", sagt Ruth Heckmann. Für sie ist die Musik ein emotionaler Zugang zu ihrem Glauben. Eva Dimoff sieht in dem Singen geistlicher Lieder eine Pflege ihrer Beziehung zu Gott. "Ohne den Gesang hätte ich vielleicht gar nichts mehr mit der Kirche zu tun", sagt die Angestellte einer Fluggesellschaft.
Ebenso wichtig ist das besondere Chorerlebnis. "Wir sind eine Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, produzieren etwas und erleben den Erfolg gemeinsam", sagt Eva Dimoff. Für Ruth Heckmann trägt die mittelalterliche Kirchenmusik mit den lateinischen Texten meditative Züge. Sie kann sich darin versenken und findet: "Die Musik trägt ein bisschen weg vom Alltag."
Nächster Auftritt: Musik im Gottesdienst, 8.6., 11.30 Uhr, Kleiner Michel, Michaelisstr. 5