Trotz Stellenstreichungen bietet Hamburgs Kirchenmusik ein hohes Niveau, viele ausgezeichnete Chöre, und selbst Gospel- und Jazzliebhaber kommen im Gottesdienst auf ihre Kosten.
"Hamburg ist die Welthauptstadt der Kirchenmusik". Zack! Volltreffer ins Schwarze. Mit diesem Satz hat Dieter Frahm einen schlagzeilenträchtigen Slogan formuliert - und ordentlich für Diskussionsstoff gesorgt. Er stammt aus dem Jahr 1989, als Frahm gerade sein Amt als nordelbischer Landeskirchenmusikdirektor angetreten hatte und eins seiner ersten Interviews gab: "Hamburg hatte damals so viele hauptamtliche Kirchenmusiker wie keine andere deutsche Stadt. Und in anderen Ländern gibt es ohnehin viel weniger. Auch wenn sich die Stellenzahl heute deutlich reduziert hat, sehe ich keinen Anlass, diese Äußerung zurückzunehmen!"
Die statistischen Erhebungen von Frahm aus dem Jahr 2005 sprechen eine noch immer beeindruckende Sprache: Im Sprengel Hamburg gab es zu diesem Zeitpunkt 77 hauptamtliche (evangelische) Kirchenmusiker und 244 Chöre, die in 2000 Gottesdiensten und 1600 Konzerten gesungen haben.
Doch die herausragende Stellung zeigt sich nicht allein in der Quantität, sondern auch in der Qualität. Viele Kantoreien und Kammerchöre - insbesondere an den Hauptkirchen - singen auf exzellentem Niveau und können ihre Oratoriums-Aufführungen mit international bekannten Solisten besetzen. Zudem ist Hamburg seit der Blütezeit im 17. Jahrhundert eine echte Orgelmetropole: Die prächtige Schnitger-Orgel in St. Jacobi zählt ebenso zu ihren besonderen Schätzen wie die 2006 wiedereingeweihte Beckerath-Orgel in St. Petri.
Ein weiteres Charakteristikum der Hamburger Kirchenmusik ist ihre große stilistische Bandbreite, die weit über das klassische Repertoire hinausgeht: Christoph Schoener etwa hat am Michel bereits zum wiederholten Male Rihms erst im Jahr 2000 entstandenes Stück "Deus Passus" aufgeführt; sein Kollege Rudolf Kelber erweckt an St. Jacobi gerne mal vergessene Werke der Barockzeit zu neuem Leben. Und Claus Bantzer von St. Johannis (Harvestehude) hat schon Klassik, Jazz und andere Künste miteinander verwoben, als es das Wort Crossover noch gar nicht gab - und dürfte der einzige Kantor sein, der mit einem Bundesfilmpreis für Filmmusik ausgezeichnet wurde.
Das Erscheinungsbild der Kirchenmusik hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend gewandelt. Denn die "alte" Musik wird immer mehr durch neue Gesangsformen ergänzt. So erlebt etwa der Gospel einen bis heute nicht abreißenden Boom in Deutschland, und Hamburgs Chöre mischen kräftig mit - wie etwa die "Swinging Colors" aus der Emmaus-Gemeinde in Lurup, die bei der Altonale 2004 den "NDR Chorwettbewerb" gewonnen haben.
Ebenso breit wie das Repertoire ist auch die demografische und soziale Struktur der Menschen gestreut, die von Kirchenmusik profitieren. Kinderchöre - die für junge Menschen häufig den ersten Kontakt mit Kirche und Gottesdienst darstellen - spielen dabei eine ebenso wichtige Rolle wie die zahlreichen Seniorenchöre. Sie erfüllen neben der künstlerischen eine wichtige soziale Funktion: Im Chor zu singen und einen regelmäßigen Probentermin zu haben, an dem man Gleichgesinnte trifft, bedeutet für viele Sänger, eine familienähnliche Nestwärme aufzusuchen.
Keine Frage, Kirchenmusik spielt eine ganz wichtige Rolle - nicht zuletzt im theologischen Sinne. Und das ist nun auch in das neue Gesetz der Nordelbischen Landeskirche eingeschrieben, das seit 1. Januar gilt. "Da gibt es eine Präambel, die mit dem Satz beginnt: ,Kirchenmusik ist Verkündigung des Evangeliums und Lob Gottes in seiner Schöpfung mit den Mitteln der Musik.' Es war uns ganz wichtig, das so deutlich zu sagen", sagt Dieter Frahm. Er selbst geht nun in Pension und übergibt sein Amt im Juni an seinen Nachfolger, den Niendorfer Kantor Hans-Jürgen Wulf.
Über eine so fest institutionalisierte Interessenvertretung wie seine protestantischen Kollegen verfügt Eberhard Lauer - Kirchenmusikdirektor und Kantor in der Domgemeinde St. Marien in St. Georg - nicht. Im Vergleich mit dem äußerst schmalen Kirchenmusikbudget der Katholiken herrschen in Nordelbien noch immer geradezu paradiesische Verhältnisse. So hat das Erzbistum nur fünf hauptamtliche Kirchenmusiker, zwei davon in Hamburg. Dabei ist der Bedarf mindestens ebenso groß wie bei den evangelischen Kantoren, sagt Lauer: "Wir haben ja noch mehr Gottesdienste, nicht nur am Sonntag, sondern auch in der Woche." Abgesehen von der Quantität und den konfessionellen Unterschieden seien die inhaltlichen Anforderungen an den Kirchenmusiker aber vergleichbar.
Auch die große Bedeutung der Musik sieht Lauer - der als renommierter Organist international konzertiert - ganz ähnlich: "Die Musik berührt Schichten im Menschen, die das Wort alleine nicht erreichen kann, sie kann da eine meditative und kontemplative Rolle einnehmen. Davon abgesehen, führt Musik Menschen zusammen, die durch den Gesang zu einer Gemeinschaft werden und das Gemeindeleben entscheidend mitprägen." Eberhard Lauer wünscht sich für Hamburg insgesamt mehr als nur zwei feste Stellen.
Frahm hingegen sorgt sich um das Niveau der künftigen Musiker: "Der neue Vertrag für Kirchenmusiker macht mir große Sorgen. Neulich hatten wir in Kaltenkirchen einen tollen Bewerber - aber er hätte 500 Euro weniger verdient als auf seiner Stelle in Düsseldorf, weil seine Vordienstzeiten nicht angerechnet wurden. Das geht natürlich nicht."