Viele Autos verbrauchen 40 Prozent mehr als angegeben. Warum die Kluft zwischen Labor- und Realwerten immer größer wird.
Machen wir uns doch nichts vor: Auch wenn das Geld bei vielen inzwischen wieder etwas lockerer sitzt und sich die Preise an der Zapfsäule seit Monaten im seichten Sinkflug befinden, sind wir doch immer noch von dieser „Geiz ist geil“-Mentalität beseelt. Und so überrascht es nicht, wenn potenzielle Autokäufer nur zu gern den Werbe-Versprechen erliegen, die einem die Hersteller gerade in punkto Verbrauchswerte auftischen. Wer soll bei einem Durchschnittsverbrauch von 3,8 Liter auf 100 Kilometer schon Nein sagen können?
Doch wer sich erst einmal einen solchen Spritsparer vor die Haustür gestellt hat, versucht eigentlichgrundsätzlich vergeblich, die versprochenen Werte zu erreichen. Kein Wunder: Denn die stammen aus dem Labor. Dort wird 20 Minuten lang nach dem „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ (NEFZ) auf dem Rollenprüfstand ohne Gegenwind, bei angenehmen sommerlichen Temperaturen von gut 30 Grad und mit sanftem Gasfuß getestet. Sämtliche Energieverbraucher (Licht, Klimaanlage, Soundsystem) sind ausgeschaltet, Leichtlauf-Räder statt Original-Bereifung sind erlaubt.
In Phase 1 (die 36,8, Prozent des Gesamt-Verbrauchswertes ausmacht) wird das Auto kalt gestartet, bewegt sich simultan im Stop-and-go-Verkehr vier Kilometer lang durch eine fiktive Innenstadt mit maximal Tempo 50. Dann geht’s in Phase 2 (63,2 Prozent) für sieben Kilometer auf die Autobahn: Höchstgeschwindigkeit 120. Am Ende steht der Durchschnittswert – der eben nicht aus dem Reich der Realität auf deutschen oder europäischen Straßen stammt. Aber werben darf man damit. Das ist legal.
Staat und Autofahrer zahlen die Zeche
Illegal ist natürlich die VW-Praxis in Sachen Software-Einsatz zur Drosselung der Emissionswerte auf dem Prüfstand. Doch nicht ganz sauber ist es auch, den Kunden mit Fantasiewerten bezüglich der Verbrauchswerte hinters Licht zu führen. Denn die müssen dafür zahlen: Nach Angaben des International Council on Clean Transportion (ICCT) sind dies aktuell rund 450 Euro pro Jahr und Auto an Energiekosten, die mehr bezahlt werden, als von den Herstellern versprochen. Zudem stellten die Experten fest, dass allein dem deutschen Staat etwa 240 Millionen Euro entgehen, weil die teilweise CO2-basierte Kfz-Steuer aufgrund der Verbrauchswerte zu niedrig angesetzt wurde.
Die unabhängige Forschungsorganisation verglich für die Untersuchung die realen Verbrauchswerte von rund 540.000 Autos mit den theoretischen aus dem Labor. Pro Zulassungsjahr kommen etwa 45.000 Fahrzeuge zusammen. Außerdem flossen Daten deutscher und britischer Autofachzeitschriften sowie der weltweit größten Fuhrpark-Managementgesellschaft in die Auswertung ein.
Die breite Datenbasis schließt aus, dass einzelne Fahrer, die besonders sparsam oder verschwenderisch mit nervösem Gasfuß unterwegs sind, das Gesamtergebnis verzerren. So betrug laut ICCT vor zwei Jahren die Abweichung zwischen Labor und Straße bei Firmenwagen 45 Prozent nach oben – Abteilung: Die Spritkosten zahlt ohnehin der Chef. Bei Privat-Pkw waren es immerhin noch 31 Prozent.
Zwar hat die Autoindustrie vor wenigen Monaten erst wieder einen Erfolg vermeldet. Danach wurde der von der EU geforderte CO2-Grenzwert von im Schnitt 130 Gramm pro Kilometer schon 2013 nach unten durchbrochen. Weil der Kohlendioxidausstoß direkt mit dem Kraftstoffverbrauch zusammenhängt, klingt das tatsächlich im ersten Gang nach einer guten Nachricht. Doch das ist Augenwischerei im großen Stil. Denn der reale Spritkonsum ist auf der anderen Seite der Medaille seit 2001 nur marginal gesunken. Die Kluft zwischen Labor- und Realwerten wird von Jahr zu Jahr größer. Waren es 2001 nur acht Prozent Unterschied, sind es in diesem Jahr bereits 38 Prozent. Der ICCT hat dafür drei Gründe erkannt. Zum einen mache sich neue Technik wie etwa die Start-Stopp-Automatik im NEFZ deutlicher bemerkbar als auf der Straße. Zudem nutze die Autoindustrie die Schwächen des NEFZ – unzureichende und unpräzise Testvorgaben – stärker aus. Zum anderen hätten sich die Gewohnheiten der Autofahrer stark verändert: Heute werde viel häufiger mit Klimaanlage gefahren – der Test aber läuft ohne die frische Brise, die natürlich mit Benzin oder Diesel befeuert wird.
Doch Konsequenzen müssen die Hersteller trotz ihrer Tricks in Sachen Verbrauch in der EU nicht fürchten, schließlich ist ja alles legal. Anders in den USA. Wer dort beschönigt, soll kräftig zahlen. So musste der südkoreanische Autobauer Hyundai kürzlich wegen falscher Verbrauchsangaben – aufgedeckt durch die US-Umweltbehörde EPA – 100 Millionen Dollar Strafe berappen. 1,2 Millionen Fahrzeuge aus den Modelljahren 2012 und 2013 von Hyundai und Kia waren betroffen und mit falschen Werten unterwegs.
Nicht nur deshalb soll es ab 2017 anders werden: Die EU will den neuen Prüfzyklus WLTC und ein neues Messverfahren WLTP einführen. Ziel ist es ist, mit den Testwerten wieder auf ein realistisches Maß zurückzukehren. Wie die genauen Details aussehen, steht noch nicht fest. Aber diesmal sollen auch Tests „in freier Wildbahn“ stattfinden – also auf der Straße. Das Pro-blem dabei: Es müssen für alle Testfahrten identische Rahmenbedingungen herrschen. Die Luftfeuchtigkeit, die Windgeschwindigkeit und natürlich die Temperaturen müssen für jeden Testlauf identisch sein. Ein schwieriges Unterfangen.
„Eine Umstellung auf den WLTP würde dem Kundenverbrauch vermutlich etwas näher kommen, weil die Anteile Stadt, Landstraße und Autobahn anders gewichtet sind und höhere Geschwindigkeiten gefahren werden“, heißt es seitens der Hersteller. Doch noch vor Einführung des Weltzyklus macht sich Ernüchterung breit. Die ehrgeizigen Ziele werden damit vermutlich nicht erreicht werden.
„Der neue Weltzyklus ist dynamischer“, sagt man zwar beim ADAC, wo schon lange Neuwagen auch nach dem künftig gültigen Testverfahren untersucht werden: „Doch unsere Tests zeigen, dass er die Verbrauchswerte nicht realistischer macht.“ Überraschend sei das gewesen. Immerhin wird im neuen Zyklus schneller beschleunigt und mit 131 km/h auch ein höheres Tempo gefahren.
Derweil bleibt dem Otto-Normal-Autofahrer deshalb nur ein Verfahren, um wirklich genau herauszufinden,
wie viel sein Auto denn wirklich „schluckt“: Volltanken bis zum Rand, Luftblasen durch Wippen des Fahrzeugs „herauslocken“. Nach der Verbrauchsfahrt den Vorgang wiederholen, dann die getankte Menge durch die gefahrenen Kilometer teilen und das Ganze mit 100 multiplizieren. So gehen Sie auf Nummer Sicher. Oder trauen Sie noch ihrem Bordcomputer? Vielleicht hat der ja auch eine eingebaute Software...