Bisher haftet den Pedelecs eher der Ruf als Rentner-Gefährt an. Daimler will in E-Bike Grace investieren: “Sieht cool aus und steckt alles drin.“
Biesenthal/Berlin. Ein schwerfälliges Fahrrad mit allerlei Kabelage am Rahmen, das in Betrieb zwar schnell vorwärts bringt, aber selten gut aussieht. Kein Wunder, dass das E-Bike bisher kaum junge Fans für sich gewinnen konnte. Tüftler in Biesenthal wollten dagegen etwas tun. Große Innovationen entstehen bekanntlich in Garagen, aber Michael Hecken schraubt auf den Grundmauern einer 800 Jahre alten Mühle: Der 39-Jährige hat ein E-Bike entworfen, das den Straßenverkehr revolutionieren soll. „Grace“ heißt das schneeweiße Elektromobil: Damit kann man normal in die Pedale treten und entspannt radeln. Oder am Gasgriff drehen und an der Ampel wohl jeden Auto- und Rollerfahrer hinter sich lassen – zumindest auf den ersten 100 Metern.
Vor gut einem Jahr kam der Anruf vom Automobilhersteller Daimler, nachdem man auf Heckens Bike aufmerksam geworden war. Die Stuttgarter wollen in den Fahrradmarkt einsteigen und holten sich Tüftler aus Biesenthal an die Seite. Noch im ersten Halbjahr 2012 will Daimler sein smart ebike auf den Markt bringen – und vom Erfindergeist des Brandenburgers profitieren. Eine Vorab-Version wird auf der Messe Eurobike (31. August bis 3. September) in Friedrichshafen am Bodensee präsentiert. „Wir haben bei smart seit Jahren Erfahrungen mit elektrischen Antrieben und den Mobilitätswünschen der Bewohner von Metropolen in der ganzen Welt gesammelt“, sagt smart-Chefin Annette Winkler.
„Die Uridee war ein Fahrzeug zu bauen, das cool aussieht und in dem alles drin steckt“, erläuter Unternehmer Hecken sein „Grace“-Fahrrad. Er zeigt auf seinem Laptop Grafiken über die rasante Entwicklung des E-Bike-Marktes. „Zukunft = e-mobility“ prangt da, im Hintergrund ein Moped-Schrottplatz in Asien. China verkauft laut Hecken jedes Jahr 25 Millionen E-Bikes, Deutschland kaum eine Drittelmillion. Zwar wachse der Markt, doch hauptsächlich würden E-Bikes nach wie vor von älteren Menschen über 60 gefahren, sagt Hecken.
Um auch jüngere Leute zu begeistern, beschäftigte sich der Betriebswissenschaftler zunächst viel mit Design. Und überlegte dann, wie die ganzen Akkus und Schalter, die bei anderen E-Bikes einfach irgendwo ans Fahrrad montiert werden, in Rahmen und Lenker versteckt werden können. „Wirklich gut aussehende E-Bikes gibt es nicht viele. Die Philosophie ist, voll integrierte Fahrzeuge zu bauen“, sagt Hecken. Damit kommt der gebürtige Rheinländer den Garagen in Silicon Valley sehr nahe: Apple-Smartphones sind so populär, weil alles in einem Gerät steckt: Computer, Telefon, Kamera und unzählige Apps - nichts muss extern angeschlossen werden.
Der Prozessor beim Grace-Rad ist ein Elektromotor, der das Gefährt praktisch lautlos auf bis zu 45 Stundenkilometer beschleunigt und auf
100 Kilometer umgerechnet 0,2 Liter Sprit verbraucht. Etwa 1000 City-Flitzer hat Hecken bislang verkauft, mittlerweile baut seine Firma die Bikes in Berlin.
Ob sich Elektro-Fahrräder in Deutschland tatsächlich massenhaft durchsetzen, wird sich zeigen. Nach einer Statistik des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) hat sich der Absatz auf niedrigem Niveau immerhin verdreifacht – nach 70 000 verkauften E-Bikes im Jahr
2007 auf rund 200 000 in 2010. Für 2018 wird ein E-Bike-Anteil an den deutschen Fahrradkäufen von 15 Prozent prognostiziert. Und in Europa fällt der Boom noch stärker aus: 2010 stieg der Anteil im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent auf rund 700 000 E-Bikes.
Stimmen, wonach es sich bei der Lobpreisung der jungen Sparte nur um „heiße Luft“ handele, weist Erfinder Hecken zurück. „Was haben die Leute anfangs beim Mobilfunk oder Internet gemeckert, dass es überflüssig sei und es niemand brauche“, sagt er. Dabei zeigt er auf seinem Laptop Bilder, die eigentlich noch keiner sehen darf: Prototypen eines E-Bikes, die sein Unternehmen für einen führenden deutschen Logistikkonzern entworfen hat. In ein paar Tagen beginnt in vier Großstädten die Testphase.