Berlin. Moderne Hörgeräte erleichtern den Alltag, können viel und fallen kaum auf. Was beim Hörtest und Arzt passiert und was die Kasse zahlt.
Wenn sie ihn zum dritten Mal bittet, den Fernseher endlich leiser zu stellen, und sie jeden zweiten Satz laut wiederholen muss, kann das für Ehen zur Zerreißprobe werden. Und wenn in Restaurants oder Bars die Hintergrundgeräusche dazu führen, dass man Gesprächen nur noch hochkonzentriert folgen kann – oder aus Scham nur so tut, als würde man alles verstehen –, dann ist es Zeit zu handeln. Probleme mit dem Hören können auf Dauer Beziehungen belasten und Betroffene schlimmstenfalls sozial isolieren.
Doch viele scheuen den Gang zum Arzt oder zum kostenlosen Hörtest. Betroffene verorten Hörprobleme etwa nur bei Menschen höheren Alters, zu denen sie noch nicht gehören wollen. Sie setzen es gleich mit Schwäche. Oder dem Gefühl, Außenseiter zu sein in einer vermeintlich jungen und fitten Gesellschaft.
Doch der Schein trügt: Etwa jeder siebte Erwachsene in Deutschland hört schlecht, in der Altersgruppe ab 65 ist es sogar jeder oder jede Zweite, wie der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte schreibt. Je nach Ursache können bereits junge Menschen betroffen sein.
Stimmverstärker, Übersetzer, App-Anbindung: Was moderne Hörgeräte können
Ein weiterer Grund, sich mit Hörproblemen abzufinden, könnte die falsche Vorstellung von klobigen Hörgeräten sein, die für andere sofort sichtbar hinter dem Ohr hervorragen. Dabei haben moderne Hörgeräte nur noch wenig damit zu tun – im Gegenteil. „Moderne, vom Hörakustiker angepasste Hörsysteme sind faszinierende Hightech-Wunder, die Beachtliches leisten können“, sagt der Vizepräsident der Bundesinnung der Hörakustiker (biha), Hans-Jürgen Bührer, unserer Redaktion.
Die kleinen, akku- oder batteriebetriebenen Computer am Ohr können unterschiedliche Alltagsgeräusche exakt erkennen, störende unterdrücken und Sprache gezielt verstärken. „Damit bringen sie bei vielen die Lebensqualität wieder zurück“, sagt Bührer.
Höherwertige Modelle punkten dabei mit praktischen Zusatzfunktionen: Sie dienen etwa als Freisprecheinrichtung im Auto, als Live-Übersetzer bei Gesprächen im Urlaub und Beruf oder können wie ein Fitnesstracker-Armband Gesundheitswerte aufzeichnen. Selbst im günstigeren Bereich besitzen die meisten schon eine Bluetooth-Funktion und lassen sich dadurch kabellos mit dem heimischen Fernseher oder dem Handy verbinden. Feineinstellungen an den Hörsystemen können Träger dann über eine App auf dem Smartphone vornehmen.
Etwa neun von zehn Kundinnen und Kunden entscheiden sich für ein Hörsystem, bei dem das Gehäuse dezent hinter dem Ohr sitzt, sagt Bührer. Wer möchte, kann dabei meist aus mehreren Farben und Designs wählen. „Moderne Hörgeräte werden daher zum multifunktionalen Kommunikationssystem und werden auch ein Stück weit als Lifestyle-Innovation wahrgenommen“, berichtet der Hörakustiker aus dem Raum Freiburg.
Hörgerät: Was die Krankenkasse übernimmt – und was nicht
Die Hersteller wollen das Hörgerät vom angestaubten Ruf als Hilfsmittel für Betagte befreien und die Geräte alltagstauglicher machen. So könnten auch Skeptiker ihre Scheu ablegen – und sich endlich untersuchen lassen. „Früherkennung ist sehr wichtig für den Therapieerfolg“, betont der Berufsverband der HNO-Ärzte.
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Die Experten der Verbraucherzentrale beispielsweise sprechen von vier einfachen Schritten zum passenden Hörgerät.
Zunächst ist es sinnvoll, sich bei der eigenen Krankenkasse zu erkundigen, welche Leistungen rund ums Hörgerät die Kasse übernimmt. Unterschiede zwischen den Kassen gibt es dabei kaum: Grundsätzlich übernimmt die gesetzliche Krankenkasse die Kosten (bis auf je zehn Euro Eigenanteil), wenn der HNO-Arzt oder die -Ärztin eine Hörhilfe verordnet.
Aufzahlung für mehr Komfort
Gezahlt wird aber, ähnlich wie bei Brillen, nur das medizinisch notwendige Kassenmodell. Pro Hörgerät liegt die Zahlung in der Regel bei höchstens 685 Euro plus eine Pauschale für individuell gefertigte Ohrstücke (33,50 Euro) und für Reparaturarbeiten (rund 125 Euro). In Fällen extremer Schwerhörigkeit kann die Pauschale auf rund 840 Euro steigen.
Wer sich für höherwertige Hörsysteme mit Komfortfunktionen entscheidet, muss die Mehrkosten selbst tragen. Aber: „Besser hören und verstehen ist keine Frage des Preises“, betont Bührer. „Man bekommt auch im aufzahlungsfreien Bereich moderne, qualitativ hochwertige Hörsysteme für eine Teilhabe in allen Alltagssituationen.“
Tipp: Wer eine Beratung beim Hörakustiker in Anspruch nimmt, kann sich dort eine „Versicherteninformation zur Hörgeräteversorgung“ aushändigen lassen. In dieser finden Versicherte alle wichtigen Informationen zu Zuzahlungen leicht dargestellt.
Erstanpassung beim Hörakustiker
Wichtigster Schritt ist dann der Besuch bei einer HNO-Ärztin oder einem -Arzt. Dieser kann im Gespräch und mithilfe verschiedener Tests herausfinden, wie genau sich der Hörverlust äußert und was mögliche Gründe sind. Ist das Gehör nur geringfügig beeinträchtigt oder schwer? Ist das dauerhaft der Fall (chronisch) oder nur vorübergehend (akut)? Ist es eine typische Alterserscheinung oder vielleicht beruflich durch Lärm bedingt? Plagt ein Tinnitus?
Getestet wird zum Beispiel, wie gut gesprochene Worte aus Lautsprecher und Kopfhörer gehört werden, welche Tonlagen besonders betroffen sind und wie Störgeräusche im Hintergrund das Hören beeinflussen. Davon abhängig kann der Arzt ein Hörgerät verordnen, das zur Situation des Betroffenen passt.
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Schritt 3 ist dann die Erstanpassung beim Hörakustiker der Wahl. Der Fachbetrieb passt die verordneten Hörgeräte zusammen mit den Patienten schrittweise auf deren Bedürfnisse an. „Die Feinabstimmung und Gewöhnung nimmt immer mehrere Sitzungen in Anspruch“, erklärt Hörakustiker Bührer.
Hörsystem zum Testen mit nach Hause
Die Verbraucherzentrale rät, sich in Ruhe zu Grundmodellen beraten zu lassen, die von der Kasse übernommen werden, sowie zu solchen, die Komfortfunktionen besitzen und einen Aufpreis kosten – und weist darauf hin: „Achten Sie darauf, dass Ihnen kein teureres Gerät angedreht wird als das, was Sie möchten.“ Modelle mit drahtloser Verbindung zum Handy kann es schon schon ab rund 200 Euro Aufzahlung geben, sagt Bührer.
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Das ausgesuchte Modell kann in aller Ruhe im Alltag getestet werden. Zum Hörakustiker geht es so oft, bis alles passt und das neue Gerät einen hörbaren Vorteil im Alltag bewirkt. Danach folgt meist einmal im Jahr ein Hörtest, bei dem die Geräte nachjustiert werden können. Denn auch Ohren altern.
Kopfhörer speziell für Schwerhörige getestet
Die Stiftung Warentest hat spezielle Kopfhörer mit Hörverstärkung für leichte Schwerhörigkeit getestet („test“-Heft 03/2022). Diese sogenannten Hearables kombinieren Funktionen von drahtlosen Bluetooth-Kopfhörern und Hörgerät. Zwei von drei Modellen konnten überzeugen: Die Modelle BeHear Access und BeHear Now, beide von Hersteller Alango Technologies, erhielten die Note „gut“ (2,4). Meinung der Tester: „Wer sich noch nicht bereit für ein Hörgerät fühlt, für den könnten Hearables eine Lösung sein.“