Berlin. Spielen die Ohren nicht mehr mit, leiden Gesundheit und sogar Sozialleben. HNO-Ärzte und Akustiker können mit moderner Technik helfen.

Früher war der Plausch mit Freunden und Kollegen eine Wonne. Heute gerät fast jedes Gespräch zur Quizshow. Welches Wort sagte mein Gegenüber gerade? Traum, Schaum oder Baum etwa klingen fast identisch für Menschen, bei denen sich eine beginnende oder ausgeprägte Schwerhörigkeit breitmacht.

Dann muss das Hirn blitzschnell aus dem Zusammenhang schließen, welches Wort im Satz eben Sinn ergibt. „Das kostet viel geistige Kapazität, die man lieber für andere Dinge nutzen sollte“, sagt Jan Löhler. Er ist Hals-Nasen-Ohren-Facharzt und Direktor des wissenschaftlichen Instituts für angewandte HNO-Heilkunde des Deutschen Berufsverbandes der HNO-Ärzte.

Wer Hilfe bei Schwerhörigkeit ablehnt, riskiert Depressionen

Statt Hilfe zu suchen, so berichtet der Mediziner aus Schleswig-Holstein, geben sich Betroffene nicht selten dem vermeintlichen Schicksal hin – was gefährlich werden kann. „Menschen, die schlecht hören, sind nicht mehr so motiviert für Familienfeiern, sich mit Freunden zu treffen oder ins Theater zu gehen“, sagt Löhler. „Die Betroffenen ziehen sich aus Scham zurück, man vereinsamt sozial. Das kann Depressionen fördern.“

Etwa fünfeinhalb Millionen Menschen in Deutschland haben eine erkannte Schwerhörigkeit, schätzt die Bundesinnung der Hörakustiker (biha). Demnach zählt Schwerhörigkeit zu den zehn häufigsten gesundheitlichen Pro­blemen. Um ein Vielfaches höher liegt die Dunkelziffer jener Menschen, die Hörprobleme im Alltag einfach hinnehmen. Experten gehen von etwa jedem fünften Erwachsenen aus.

„16 bis 27 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland sind so schwerhörend, dass sie wahrscheinlich ein Hörgerät oder eine andere Therapie brauchen“, schätzt HNO-Arzt Löhler. Er fordert daher wie andere HNO-Ärzte einen verpflichtenden Hörtest für alle ab 50 Jahren.

HNO-Arzt oder Hörakustiker sollte die erste Anlaufstelle sein

Meist merken Betroffene, dass sie vor allem in akustisch schwierigen Situationen Probleme haben, alles zu verstehen, sagt Löhler. Zum Beispiel bei einer Familienfeier, einem Gespräch mit Hintergrundlärm, aber auch in großen, hallenden Räumen wie Theatern, Kinos oder Kirchen.

„Wenn man sich in solchen Situationen stärker anstrengen muss als früher, dann sollte man unbedingt mal einen Test machen und sich ohrenärztlich untersuchen lassen“, sagt Löhler. Erste Anlaufstelle für den kostenlosen Test ist der örtliche HNO-Arzt oder ein Hörakustiker. Denn nicht alle Hausärzte bieten auch Hörtests an.

So läuft die Untersuchung beim Arzt

Der HNO-Mediziner klärt zunächst ab, in welcher Situation sich der Patient befindet: Seit wann treten die Beschwerden auf? In welchen Situationen besonders? Gibt es ein Ohrgeräusch wie Tinnitus? Treten zusätzlich Schwindel, Druckgefühl oder Schmerzen auf?

Anschließend werden Innenohr und Trommelfell untersucht und verschiedene Hörtests gemacht. Denn Schwerhörigkeit ist erst mal nur ein Symptom. Der Arzt muss ausschließen können, dass etwa Entzündungen oder ein Tumor die Ursache der Beschwerden sind.

In den meisten Fällen aber ist Schwerhörigkeit eine Folge der altersbedingten Abnutzung. Sie tritt bei Männern und Frauen ab dem 50. Lebensjahr vermehrt auf.

Beschwerden können manchmal auch mit Medikamenten behandelt werden

Betroffenen fällt es als Erstes schwerer, die höheren Töne wahrzunehmen, etwa Konsonanten am Wortanfang. Das liegt am Innenohr, das schneckenartig aufgebaut ist und wie eine aufgewickelte Klaviatur funktioniert, erklärt HNO-Arzt Löhler.

Die Sinneshärchen darin wandeln den Schall in elektrische Impulse um. Der Bereich ganz vorn am Steigbügel, wo die höheren Töne wahrgenommen werden, wird am schnellsten abgenutzt. Lassen sich die Hörbeschwerden nicht durch Medikamente oder eine Operation beheben, wird der HNO-Arzt ein Hörsystem verordnen, wie Hörgeräte heute genannt werden.

Der Patient kann anschließend einen Hörakustiker seiner Wahl aufsuchen. Rund 6700 Fachbetriebe gibt es bundesweit. „Ein Hörgerät ist für manche immer noch wie kurz vor dem Rollator – das hat für sie keinen Sex-Appeal. Doch das ist grundfalsch“, so Löhler.

Krankenkasse bezahlt „sehr gute Mittelklasse“

Diese Vorurteile will auch Marianne Frickel entkräften. Sie ist Präsidentin der Bundesinnung der Hörakustiker. Ein guter Hörakustiker, so Frickel, berate den Patienten in Ruhe, ohne ihn zu überfordern und probiere Hörsysteme mehrerer Bauformen, Hersteller und Preisklassen aus, entsprechend dem persönlichen Hörprofil, den Erwartungen und Alltagsbedürfnissen – „darunter immer mindestens eines ohne Zuzahlung“.

Heutige Kassenmodelle seien ebenfalls „sehr gute Mittelklasse“ und seien „die Hightech-Geräte von vor fünf oder sieben Jahren“, sagt Löhler.

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Smartphone kann sich mit moderne Hörgeräten koppeln

Gegen Aufpreis zwischen 50 und über 1000 Euro können sich Patienten zwischen moderneren Geräten entscheiden, die mehr Komfort, ein schöneres Design oder technische Funktionen bieten.

Aktuelle Hörgeräte lassen sich per Bluetooth-Funkverbindung mit dem Smartphone, Fernseher oder Radio koppeln. So kann man in guter Qualität telefonieren, Musik hören oder Gespräche übersetzen lassen. Störgeräusche filtern sie besser heraus. Jeder zweite Patient entscheidet sich für ein Hörgerät mit Aufzahlung, hat 2019 eine biha-Erhebung ermittelt

In aller Regel braucht es mehrere Sitzungen, bis Hörakustiker und Patient das Wunschmodell optimal eingestellt haben. Ist das passende Hörsystem gefunden, sind regelmäßige Kontrollen und Nachjustierungen beim HNO-Arzt oder Hörakustiker dennoch unerlässlich. Nach sechs Jahren hat man Anspruch auf ein neuen Gerät. Bis dahin dürften hochmoderne Hörgeräte noch einiges mehr können als heute.