Berlin. Das Fleischerhandwerk wandelt sich: Wursthersteller wie Rügenwalder Mühle erfinden sich neu – mit vegetarischen und veganen Produkten.
Veganer Schinken, fleischloses Schnitzel und Hack, Gemüseravioli in Tomatensauce, Veggie-Bratwürstchen oder tiefgekühlte Gemüsefrikadellen – wer sich heute vegetarisch oder vegan ernähren will, hat auch in Supermärkten eine große Auswahl. Fleischlose Kost wird immer populärer. Sie gibt es längst nicht mehr nur in Fachgeschäften und Bioläden. Es ist ein Trend, auf den die Fleischindustrie selbst längst aufgesprungen ist und als Trendsetter eine Rolle spielt.
Als einer der ersten Wursthersteller hat die Rügenwalder Mühle schon 2014 damit begonnen, fleischlose Wurstalternativen über Supermärkte zu verkaufen. Heute ist der Mittelständler einer der führenden Anbieter in dem Markt. Das Unternehmen hat in seinem Sortiment bereits mehr vegetarische Produkte (29 Artikel) als solche aus Fleisch (23) – und setzt auf beide Standbeine. Auch der Umsatzanteil mit vegetarischen Artikeln übertrifft seit 2021 erstmals den der Fleischartikel – Tendenz steigend, berichtet das Unternehmen.
Fleischer-Alternativen im Supermarkt: Wursthersteller folgen dem Trend
Auch andere Fleischhersteller sind dem Beispiel gefolgt. Etwa jeder zehnte Wursthersteller in Deutschland bietet fleischlose Ersatzvarianten an, berichtet der Geschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Wurst- Schinkenproduzenten (BVWS), Thomas Vogelsang. Die Rügenwalder Mühle geht schon einen Schritt weiter: Um noch mehr Kunden zu erreichen, stellt das Unternehmen immer mehr vegetarische Produkte auf rein vegane Zutaten um.
Obwohl die Angebote immer vielfältiger werden, sind fleischlose Ersatzprodukte jedoch weiter ein kleiner Nischenmarkt. Nach jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes hat sich die Produktion im Jahr 2020 um 39 Prozent auf 83.700 Tonnen und der Umsatz um 37 Prozent auf 374,9 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr erhöht. Ein direkter Vergleich zeigt jedoch den riesigen Unterschied: Mit Fleischprodukten wurde 2020 ein Umsatz von rund 39 Milliarden Euro erwirtschaftet – und damit das Hundertfache.
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Zwei von drei Verbrauchern haben Ersatzprodukte probiert
Die Chance auf Wachstum ist groß. Glaubt man Meinungsumfragen, sind immer mehr Menschen bereit, ihren Fleischkonsum zugunsten vegetarischer Ersatzprodukte zu reduzieren. Mehr als zwei Drittel (69 Prozent) haben bereits vegetarische oder vegane Ersatzprodukte gekauft, ergab eine aktuelle repräsentative Umfrage der Unternehmensberatung PwC.
Neun Prozent der Deutschen bezeichnen sich als Vegetarier, vier Prozent leben vegan – und damit auch ohne Tierprodukte wie Eier. Sieben Prozent stufen sich als Flexitarier mit gemäßigtem Fleischkonsum ein. Die Rügenwalder Mühle erwartet, dass angesichts des wachsenden Ernährungsbewusstseins die Zahl der Menschen, die sich flexitarisch, vegetarisch oder vegan ernähren, vor allem in der jüngeren Zielgruppe noch deutlich steigen wird.
Fleischkonsum sinkt – Deutschland in Europa Mittelfeld
Tatsächlich sinkt der Fleischkonsum seit Jahren auf mittlerweile 57,3 Kilogramm pro Kopf im Jahr 2020 – nach noch 58,1 Kilogramm im Jahr zuvor, berichtet der BVWS. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich im Mittelfeld: Am meisten Fleisch wird in Spanien mit 85 Kilo pro Kopf verzehrt, danach folgen Dänemark (82 Kilo) und Portugal (80 Kilo). Die Hälfte des Verzehrs entfällt auf Wurstwaren. Rückläufig ist in Deutschland vor allem der Genuss von Schweinefleisch, während jener von Rindfleisch und Geflügel stabil geblieben ist.
Die Gründe für die individuellen Essgewohnheiten sind unterschiedlich. „Für Anhänger einer vegetarischen oder veganen Diät steht beispielsweise das Tierwohl an erster Stelle, gefolgt von Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekten“, sagt Christian Wulff, Leiter des Geschäftsbereichs Handel und Konsumgüter bei PwC Deutschland. Ein positiver Einfluss auf die eigene Gesundheit rangiere erst an dritter Stelle.
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Fleisch- und Wurstersatzprodukte erste Wahl bei Alternativen
Angesichts der wachsenden Bedeutung eines gesunden Lebensstils und des Klimawandels schätzt die Unternehmensberatung das Marktvolumen von vegetarischen und veganen Ersatzprodukten im Jahr 2021 insgesamt auf rund zwei Milliarden Euro. „Bis 2030 erwarten wir ein Wachstum des deutschen Marktes auf rund zehn Milliarden Euro“, prognostiziert Wulff.
Unter den gut zwei Dritteln der Bundesbürger, die bereits vegetarische oder vegane Ersatzprodukte gekauft haben, berichtet Wulff, seien Fleisch- und Wurstersatzprodukte (76 Prozent) und alternative Milch- und Molkereiprodukte (72 Prozent) besonders gefragt. Bei Rügenwalder sind die vegetarischen Würstchen im Becher, das vegetarische Cordon bleu und Hack die beliebtesten Fleischersatzprodukte.
Hersteller setzen auf verschiedene Zutaten als Fleischersatz
Viele der fleischlosen Alternativen kommen dem Geschmackserlebnis von echtem Fleisch sehr nah. In der Regel verwenden die Hersteller Soja, Tofu, Weizen, Erbsen, Sonnenblumenkerne, Bambusfasern, Eier oder Rapsöl als Fleischersatz. Bei Aufstrichen kommen auch Bohnen, Linsen oder Pilze zum Einsatz. Statt Speck wird Rapsöl mit viel Omega-3-Fettsäuren eingesetzt.
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Fleischersatzprodukte wie vegetarische Wurst sprechen vor allem Flexitarier an, die gern ihren Fleischkonsum reduzieren wollen. „Sie suchen nach einem Produkt, das wie Fleisch schmeckt oder aussieht, nur ohne Fleisch“, sagt der BVWS-Chef Vogelsang. „Vegetarier und Veganer setzen dagegen meistens von vornherein auf reine Gemüsegerichte.“ Auch Vogelsang geht davon aus, dass in dem Bereich noch Wachstumspotenzial steckt.
Vegetarische und Vegane Alternativen oft teurer als Fleisch
Für Verbraucher sind die fleischlosen Varianten allerdings oft noch eine teils teure Alternative. Nicht selten kosten vegetarische Produkte mehr als echtes Fleisch oder Wurst, wie eine Studie der Umweltstiftung WWF ergeben hat. So kostete im Frühjahr 2021 ein Kilo Schweinefleisch im Schnitt 6,36 Euro, während die Verbraucher für Tofuwurst oder Sojaburger 13,79 Euro je Kilo hinlegen mussten.
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Verbandschef Vogelsang führt mögliche Preisunterschiede darauf zurück, dass hinter den vegetarischen Varianten „ein hoher Forschungsaufwand und technische Pionierarbeit“ steckten, die sich die Hersteller bezahlen ließen. Mit den Inhaltsstoffen selbst sind die Preisdifferenzen nach Einschätzung von Lebensmittelexperten nicht zu begründen.
Die Ausbildung im Fleischerhandwerk ist bislang noch nicht offiziell an die neuen Erfordernisse der Veggie-Produkte angepasst worden. Oft werde mit den gleichen Maschinen gearbeitet. Auch Fleischer lernen schnell den Umgang mit pflanzlichen Proteinen als Ersatzstoff, berichtet Vogelsang: „Die Produktionsverfahren ähneln sich.“