Berlin. Veganer oder vegetarischer Fleischersatz wird in den Supermärkten immer gefragter. Die Branche wächst kräftig. Das sind die Gründe.
Die mit veganem oder vegetarischem Fleischersatz gefüllten Regale in Deutschlands Supermärkten werden länger. Die Produktion wächst schnell. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamts 97.900 Tonnen Fleischersatzprodukte hergestellt, knapp 17 Prozent mehr als im Vorjahr. Im Vergleich zu 2019 erhöhte sich die Produktion sogar um 62,2 Prozent, teilte das Statistische Bundesamt mit.
Und längst sind es nicht mehr nur die Hersteller in der Nische, die das Wachstum vorantreiben. Rügenwalder Mühle etwa, eine Traditionsfirma aus Niedersachsen, hat im Juli 2020 erstmals mehr Geld mit Fleischersatz umgesetzt als mit klassischer Wurst.
2021 ernährten sich laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zehn Prozent der deutschen Bevölkerung vegetarisch und zwei Prozent vegan – jeweils doppelt so viele wie noch im Jahr zuvor. Fleischlose Alternativen zu Salami oder Burger machen aber hierzulande noch immer weniger als ein Prozent des gesamten Marktes aus. Im Jahr 2021 betrug der Wert von in Deutschland produziertem Fleisch und Fleischerzeugnissen 35,6 Milliarden Euro – und damit rund das 80-fache des Wertes der Fleischersatzprodukte. Der Wert von Fleischersatzprodukten erhöhte sich im Jahr 2021 gegenüber dem Vorjahr um 22,2 % auf 458,2 Millionen Euro.
Anzahl der Vegetarier und Veganer wächst
Und doch ist etwas in Bewegung geraten. „Beinahe wöchentlich kommen neue Produkte auf den Markt“, sagt Carsten Gerhardt von der Unternehmensberatung Kearney. Sie geht davon aus, dass veganer Fleischersatz bis 2025 zehn Prozent des globalen Fleischmarktes erobert haben wird.
Ein Grund für den Erfolg von Veggie-Wurst und Co. dürften die mit dem Fleischkonsum verbundenen Diskussionen über Klima und Ethik sein. Immer mehr Menschen stellen ihre Ernährung um – zum Wohl von Tieren oder Umwelt. Laut dem Ernährungsreport 2021, den der Bund im Mai vorgelegt hat, geht der Verzehr von Fleisch und Wurst in Deutschland leicht zurück.
Der Anteil der Vegetarier und Veganer hat zugenommen – auf zehn beziehungsweise zwei Prozent. 40 Prozent der 18- bis 25-Jährigen bezeichnen sich als Flexitarier. Sie verzichten nicht auf Fleisch, reduzieren aber den Konsum. Fleischersatzprodukte, so der Ernährungsreport, sind vor allem bei Jüngeren und in Großstädten beliebt.
Lesen Sie auch: Smart Home: So spart man Energie dank vernetzter Geräte
Fleisch und Tierprodukte treiben Klimawandel an
Angesichts des Klimawandels komme eigentlich niemand darum herum, die eigene Ernährung zu überdenken, findet Melanie Speck, Hauptautorin eines „Zukunftsimpulses“ des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie. In dem Strategiepapier geht es um nachhaltige Ernährungssysteme und Konsummuster. Viel Fleisch und tierische Produkte zu essen, so Speck, wirke sich negativ aufs Klima aus.
Was negativ bedeutet, zeigen diverse Studien. Die weltweite Lebensmittelproduktion, so die Untersuchung eines internationalen Forscherteams um Atula Jain von der University of Illinois (USA), verursacht mehr als ein Drittel des Ausstoßes von Treibhausgasen. Die Herstellung tierischer Lebensmittel ist demnach für fast doppelt so viele Emissionen verantwortlich wie die Produktion pflanzlicher Lebensmittel.
In Deutschland, so die Umweltstiftung WWF, verursacht die Ernährung jedes Jahr fast 210 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente – das sind mehr als die Emissionen des Verkehrssektors 2018. Die Äquivalente sind eine Maßeinheit, die die Klimawirkung unterschiedlicher Treibhausgase vereinheitlichen.
Fleischersatz senkt Klimaemissionen
Darüber hinaus ist die Fleischproduktion verantwortlich für einen enormen Flächenverbrauch. Einer WWF-Studie zufolge wird allein für den Bedarf an Nahrungsmitteln in Deutschland eine landwirtschaftliche Fläche von 16,6 Millionen Hektar vor Ort und in anderen Regionen der Welt benötigt. Der mit Abstand größte Teil davon geht mit 75 Prozent auf das Konto der Produktion tierischer Lebensmittel inklusive Futteranbau.
Eine Umstellung der Ernährung, weg von tierischen Produkten hin zum Konsum von mehr pflanzlichen Lebensmitteln, hätte nach Einschätzung von Umweltbundesamt (UBA) und WWF starke Klimaeffekte: Würden alle Verbraucher in Deutschland den Fleischkonsum auf 470 Gramm pro Woche reduzieren, könnten jährlich 56 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente eingespart werden.
Für die Produktion von einem Kilogramm Fleischersatz auf Sojabasis wird laut UBA ein Vielfaches weniger an Klimagasen produziert als für Fleisch. 2,8 Kilogramm pro Kilo statt 4,1 Kilogramm für Schweinefleisch, 4,3 für Geflügel oder 30,5 für Rindfleisch.
Lesen Sie auch: Innovative Heizungen: Woher die Wärme der Zukunft komm
Fleischkonsum reduzieren ist effektiv
Nach Angaben der Behörde ist die Klimabilanz pflanzlicher Ersatzprodukte im Vergleich zu konventionell erzeugtem Fleisch auch deshalb besser, weil Weizen oder Soja auf direktem Weg der menschlichen Ernährung dienen können. Werden Pflanzen erst als Tierfutter genutzt, würden deutlich mehr pflanzliche Kalorien, Ackerflächen, Wasser und Energie benötigt, bis die Kalorien beim Menschen ankämen.
Weniger Fleisch statt Verzicht – für den WWF und das Wuppertal Institut ein gangbarer Weg. „59 Kilogramm Fleisch pro Kopf und Jahr in Deutschland, das ist ungesund für Mensch und Planet. Wir brauchen eine Ernährungswende“, sagt Tilo Suckow, WWF-Projektmanager für Klimaschutz. „Es geht nicht darum, jede oder jeden zum Veganer zu machen, es geht um maßvollen Konsum – Sonntagsbraten statt Werktagsschnitzel“, so Suckow.
Aus Sicht von Melanie Speck bedeute nachhaltige Ernährung meist eine Rückbesinnung auf das, was früher normal gewesen sei: wenig verarbeitete Produkte kaufen, weniger Fleisch essen und den Speiseplan durchdenken, um Verschwendung zu vermeiden.
Ein wissenschaftlicher Ernährungsplan
Die sogenannte Eat-Lancet-Kommission, bestehend aus 37 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 16 Nationen, hat 2019 einen Speiseplan vorgestellt, der die Gesundheit des Menschen und des Planeten gleichermaßen schützen soll. Ausgehend von einem durchschnittlichen Energiebedarf von 2500 Kilokalorien pro Person enthält der empfohlene Speiseplan täglich durchschnittlich:
- 232 Gramm Vollkorngetreide,
- 300 Gramm Gemüse,
- 200 Gramm Obst,
- 50 Gramm Nüsse,
- 31 Gramm zugesetzter Zucker,
- 40 Gramm ungesättigte Fettsäuren und
- 250 Gramm Milchprodukte,
- aber nur 14 Gramm Rind, Lamm oder Schwein,
- 29 Gramm Geflügel,
- 13 Gramm Eier und
- 28 Gramm Fisch.