Berlin. Rindswurst im Schweinedarm, Aromen statt Früchte: Verbraucherschützer kritisieren falsche Werbeversprechen. Wie das Portal Lebensmittel.de hilft.

Auf der Saftflasche prangt eine prächtige Wassermelone. Auf den ersten Blick scheint das Getränk einen großen Anteil Melone zu enthalten. Doch weit gefehlt: In Wirklichkeit besteht der Saft nur zu zehn Prozent aus Wassermelone, dafür aber zu 85 Prozent aus Apfelsaft, wie aus der Zutatenliste auf der Rückseite des Produkts hervorgeht. Eine Verbraucherin fühlte sich durch den Unterschied zwischen Werbung und Inhalt in die Irre geführt und meldete dies der Verbraucherzentrale.

Der Hinweis der Kundin ist eine von mehr als 12.000 Verbraucherbeschwerden, die in den vergangenen zehn Jahren auf dem Portal lebensmittelklarheit.de über irreführende Informationen zu Lebensmitteln eingegangen sind, zieht der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) Bilanz, der das Portal betreibt.

Am meisten empört die Verbraucherinnen und Verbraucher, wenn mehr hochwertige Zutaten in Produkten versprochen werden, als sie enthalten, wenn überzogene Gesundheitsversprechen gemacht werden oder Regionalität vorgegaukelt wird.

Verbraucherzentralen mahnen Hersteller wegen Werbeaussagen ab

Insgesamt 220-mal haben der vzbv und die Verbraucherzentralen aufgrund einer Beschwerde über Produkte deren Hersteller abgemahnt und in 40 Fällen auch verklagt. Oftmals bekamen sie recht. Die Erfolgsquote liegt bei über 70 Prozent.

„Rund ein Drittel der Anbieter verbessert die Kennzeichnung aber bereits, wenn die Beschwerde bei lebensmittelklarheit.de eingeht“, berichtet die Koordinatorin des Projekts, Stephanie Wetzel. Pro Monat gehen rund 40 neue Meldungen ein.

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Ein Hauptärgernis bei vielen kritisierten Produkten ist die Werbung mit Zutaten, die nur in geringfügigen Mengen enthalten sind, kritisiert vzbv-Vorstand Klaus Müller und nennt ein weiteres Beispiel: Auf der Schauseite eines Dessertbechers sind Haselnüsse abgebildet.

Beim Blick auf die Zutatenliste zeigt sich aber, dass nur ein Prozent Haselnussmark in dem Produkt enthalten ist. „Hier stimmen die Verhältnisse nicht“, bemängelt Müller. „Die Anbieter sollten sich in der Bewerbung zurückhalten, wenn sie die ausgelöste Verbrauchererwartung nicht sicher einlösen.“

Lebensmittel sollen angeblich gegen Corona schützen

Noch dreister wird es bei Produkten, die einen gesundheitlichen Mehrwert versprechen. Besonders beliebt derzeit: angebliche Superfoods oder Power-Mittel zum Schutz vor Corona. So wirbt ein Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln mit einem Foto des Coronavirus und den Versprechen „So bleiben Sie stark“ und „Das Extra-Schutzschild für Ihr Immunsystem“. Weitere Werbetexte vermitteln den Eindruck, als ob die enthaltenen Vitamine und Kräuterextrakte gegen Covid-19 vorbeugen würden.

Doch auch Werbeaussagen müssen stimmen und gesundheitsbezogene Angaben nach der Health-Claims-Verordnung zugelassen sein. Das Unternehmen wurde von den Verbraucherschützern abgemahnt und hat zugesichert, bestimmte Werbeaussagen nicht mehr zu verwenden. Ähnliches gilt für Hersteller, die Kräutertees als Schlank- und Fitmacher oder als Konzentrationsstärker beworben haben.

Regionale Lebensmittel kommen manchmal aus ganz Deutschland

Zahlreiche Beschwerden gibt es auch zu Produkten, die angeblich aus der Region stammen. Ein Marketing-Hinweis, mit dem sich Produkte oft teurer verkaufen lassen. So wirbt ein Hersteller mit „deutschem Geflügel von regionalen Höfen“. Tatsächlich stammt das Fleisch jedoch nicht unbedingt aus der Region, in dem der Verbraucher lebt und einkauft, sondern aus ganz Deutschland.

Ein niedersächsischer Anbieter wirbt mit dem Spruch „Aus Solidarität! Mit dem Kauf unterstützen Sie unsere Landwirte!“ Tatsächlich stammen die Eier jedoch aus den Niederlanden. Verbraucher müssen dann oft erst im Kleingedruckten suchen, um eventuell zu erfahren, woher die Rohstoffe tatsächlich stammen. Oft enthielten Produkte aber auch nur synthetische Aromen statt echte Früchte oder Gemüse.

Rindswurst darf sogar in Schweinedarm verpackt werden

Besonders ärgerlich sei es, dass beispielsweise Rindswurst in Schweinedärmen verkauft werden darf. Hier fühlen sich gerade Gläubige verschaukelt, die den Konsum von Schweinefleisch meiden. Das Gleiche gilt für Roggenbrötchen, die sich schon ab 51 Prozent Roggenanteil so nennen dürfen, der Rest darf zum Beispiel Weizenmehl sein. Beide Kennzeichnungen sind legal und durch die Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuchs gedeckt.

Und dennoch kritisieren die Verbraucherschützer diese Praxis, da sie für Verbraucher kaum nachvollziehbar ist, wie Umfragen des Projekts Lebensmittelklarheit ergaben. In vielen Fällen stellten die Leitsätze keine nachvollziehbare Kennzeichnung sicher. Die Leitsätze des Lebensmittelbuchs sollten eigentlich die Käufer vor Irreführung schützen. Dazu sollten auch die Verbrauchererwartungen stärker gewichtet werden.

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Lebensmittel haben auch „ohne Zuckerzusatz“ oft hohen Zuckergehalt

Für den vzbv-Chef steht fest: „Wir brauchen bessere Kennzeichnungsregeln, die für mehr Klarheit und Wahrheit auf Lebensmitteletiketten und in der Werbung sorgen.“ Besonders kritisch seien Werbeaufschriften wie „Ohne Zuckerzusatz“ auf Lebensmitteln, die trotzdem einen hohen Gesamtzuckeranteil haben. „Ungesunde Ernährung ist schlecht für den Einzelnen und verursacht Milliardenkosten für die Allgemeinheit“, meint Müller.

Umso wichtiger sei es, dass es die Politik Verbrauchern leicht mache, sich gesund und ausgewogen zu ernähren. „Dazu gehört eine klare Kennzeichnung der Lebensmittel, die nichts beschönigen darf.“

Die Politik müsse dies mit entsprechenden Kennzeichnungsvorschriften EU-weit noch besser regeln. Hilfreich sei auch die neue Lebensmittelkennzeichnung Nutri-Score, die eine ausgewogene Ernährung fördere. „Der Nutri-Score muss deshalb europaweit verbindlich eingeführt werden.“

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