Hamburg. Das Flaggschiff von Google hat ein Radar, erkennt Songs automatisch und ist blitzschnell. So viel Leistung kostet – Geld und mehr.
Alle Jahre wieder... kommt nicht nur das Christkind, sondern auch ein neues Flaggschiff-Smartphone. Das ist bei Apple so, bei Samsung und seit 2016 auch bei Google. Ende Oktober kam die vierte Auflage der Pixel-Modellreihe auf den Markt; naheliegenderweise heißen die Smartphones Pixel 4 und Pixel 4 XL.
Wie es sich für Vorzeigemodelle gehört, ist das Pixel 4 bis zum Rand mit Features vollgestopft. Warum es trotz exzellenter Kamera und blitzeschneller Bedienung keine Kaufempfehlung für das Google-Top-Smartphone gibt, erklären wir im großen Praxistest vom Abendblatt.
Was unterscheidet das Google Pixel 4 von anderen Smartphones?
Die bange Frage aller Hersteller – "Wie schaffe ich es, mein schwarzes Rechteck von all den anderen schwarzen Rechtecken unterscheidbar zu machen?" – beantwortet Google für das Pixel 4 auf eindreiviertel Arten: Erst einmal ist da die Software. Die aktuellste Android-Version läuft zuerst und lange Zeit fast ausschließlich auf den Pixel-Telefonen.
Dass sich die androide Konkurrenz schwer damit tut, Updates zeitnah an die Kunden weiterzugeben, hilft dem Konzern aus Mountain View immens: Zwar ist Android 10 bereits seit September verfügbar – doch es läuft nur auf Googles Pixel und einer Handvoll weiterer Smartphones. Dafür (und für die drei Jahre laufende Update-Garantie) gibt es 0,75 Alleinstellungspunkte.
Der zweite Punkt geht an die Kamera des Pixel 4 XL. Zwar beruht ein Gutteil der wirklich brillanten Performance der Smartphone-Kamera nicht auf Hard-, sondern erneut auf Software. Aber die Ergebnisse sprechen für sich und für den Benutzer ist es ziemlich egal, ob das Foto schöner gerechnet wurde oder nicht.
Zahlensalat zum Pixel 4 XL: schneller, schöner, mehr
Unser Testgerät, ein Pixel 4 XL mit 64 Gigabyte Speicher, kostet 899 Euro im Google Store (die Variante mit 128 Gigabyte kostet 999 Euro). Dafür bekommt man einen 6,3 Zoll großen OLED-Bildschirm, der mit 3040 x 1440 Pixeln (QHD+) auflöst. Die Wiederholungsrate gibt Google mit "bis zu 90 Hz" an. Im alltäglichen Gebrauch ist kein Flimmern oder Ruckeln zu bemerken, die Farben sind satt, die Helligkeit ist auch bei Sonnenschein mehr als ausreichend.
Die Pixeldichte ist beim Pixel 4 XL mit 537 ppi (Pixel pro Inch) sehr hoch: Beim direkten Konkurrenten aus Cupertino, dem iPhone 11 Pro Max, beträgt sie "nur" 458 ppi, das S10+ von Samsung kommt auf 526 ppi.
Der kleinere Bruder, das Pixel 4, hat einen 5,7 Zoll großen Bildschirm, der mit 2280 x 1080 Pixeln (FHD+) aufgelöst ist und auf 444 ppi kommt.
Schneller Prozessor – und eingeschränkte Farbauswahl
Im Innnern werkelt ein Snapdragon 855, der aktuell zweitschnellste Prozessor von Qualcomm. Unterstützt wird er von einem zusätzlichen Rechenkern mit dem hübschen Namen "Pixel Neural Core". Der laut Google auf Maschinenlernen ausgelegte Prozessor ist für Foto- und Videoqualität, Spracherkennung und ähnliche Aufgaben gedacht. 6 Gigabyte Arbeitsspeicher sorgen für flüssige Bedienung.
Äußerlich ist das Pixel 4 XL auf den ersten Blick kaum von anderen Smartphones zu unterscheiden. Das Kameraquadrat auf der Rückseite führt sogar hin und wieder zu Verwechslungen mit dem iPhone 11. Das kleinere Pixel 4 lässt sich mit der Variante "Oh so orange" noch farblich von der Masse abheben. Beim größeren Modell hat man die monochrome Wahl zwischen schwarz-schwarz und schwarz-weiß.
Warum das Pixel 4 eine "Stirn" hat – und keine "Notch"
Im Vergleich zum Vorjahresmodell, dem Pixel 3 XL, ist das Gehäuse um wenige Millimeter in Höhe und Breite geschrumpft. Es liegt gut in der Hand, keine scharfen Kanten stören, keine übermäßig glatten Oberflächen erhöhen das Sturzrisiko. Auffällig ist zudem, dass das Pixel 4 XL keine "Notch", eine Aussparung am oberen Ende des Bildschirms, mitbringt.
Während andere Hersteller versuchen, so viel Bildschirm wie nur möglich im Gehäuse unterzubringen, hat das Pixel 4 XL eine deutliche "Stirn". Hinter dieser verbirgt sich neben der Frontkamera eine ganze Armada von Sensoren. Das wirkt auf den ersten Blick etwas altbacken – und bringt ein paar ganz eigene Probleme mit sich.
Denn die Gesichtserkennung funktioniert zwar ziemlich gut (bei Brillenträgern stört sie sich manchmal daran, wenn man die Brille nicht trägt. Und im Internet ist zu lesen, dass Frauen, die mal Makeup und mal keines tragen, ebenfalls auf Probleme stießen), ist aber ein Schritt in die falsche Richtung. Doch dazu später mehr.
Was ist gut am Pixel 4? Auf jeden Fall die Kamera
Wie bereits erwähnt punktet das Pixel 4 XL mit seiner Kamera: Erstmals verbaut auch Google zwei Objektive auf der Rückseite: Neben der 12,2 Megapixel-Hauptkamera wohnt ein mit 16 Megapixeln auflösendes "Teleobjektiv". Zusammen mit der Softwaremagie und dem "Pixel Neural Core" kommen für Smartphone-Verhältnisse wirklich beeindruckende Bilder dabei heraus. Gerade der ganz unbescheiden "Nachtsicht" getaufte Modus für schlechte Lichtverhältnisse überzeugt auf ganzer Linie.
Doch auch bei normalem Tageslicht braucht sich die Kamera des Pixel 4 XL nicht hinter der Konkurrenz von Apple, Huawei und Samsung zu verstecken.
Hamburg bei Tag und Nacht – mit dem Google Pixel 4 XL
Alle Fotos wurden ohne Stativ im automatischen Modus gemacht – nachbearbeitet wurden sie nicht.
Dass die Kombination aus schnellem Prozessor, schnellem Display und schnellem Android zu einer insgesamt blitzschnellen Performance führt: selbstredend. Allerdings gibt es manchmal unerklärliche Schluckaufs, als ob das Pixel kurz rechts ranführe, bevor es zurück auf die Überholspur geht.
Android 10 hat schicke Features
Android 10 bringt eine Menge neuer Nützlichkeiten mit, darunter eine Funktion, mit der sämtliche abgespielten Medien in Echtzeit untertitelt werden. Auch die vorerst Pixel-exklusive Rekorder-App überzeugt bei der Echtzeit-Verschriftlichung. So lange nur eine Person spricht, wird aus dem gesprochenen ohne Umwege das geschriebene Wort. Für beide Funktionen gilt aber momentan noch eine Beschränkung: Sie funktionieren nur auf Englisch.
Das in der "Stirn" des Pixel verbaute Radar (ja, Radar) leistet gute Arbeit, wenn man sein Telefon gerade lieber nicht anfassen mag: Mit "Motion Sense" kann man den abgespielten Song wechseln, den Wecker oder einen Anruf stumm schalten. Einfach über dem Handy mit der Hand herumwedeln.
Welcher Song ist das, Google?
Die "Now Playing"-Anzeige ist ein weiteres hübsches Gimmick – und laut Google Datenschutz-mäßig unbedenklich: Läuft irgendwo Musik, zeigt das Pixel 4 Titel und Interpret an.
Dafür braucht das Telefon nicht einmal eine Internetverbindung, wie der Google-Sprecher erklärt: "Es stimmt einen Song-Fingerabdruck mit einer Datenbank ab, die sich auf dem Phone befindet. Diese Song-Fingerabdrücke werden nie an Google gesendet."
Was muss besser werden? Unter anderem die Akkulaufzeit
Wo ist der Zurück-Button? Weg ist er. Mit Android 10 ist er endgültig verschwunden, genau wie der Knopf zum Aufrufen der laufenden Apps. Das kostet einiges an Umgewöhnungszeit für alle, die gern schnell zwischen Apps und Ansichten wechseln – ist aber kein Beinbruch. Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier. Das sich inzwischen auch daran gewöhnt hat, dass die Smartphones der Oberklasse keinen Klinkenanschluss für Kopfhörer mehr haben.
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Der Akku ist mit 3700 mAh zwar relativ großzügig bemessen, doch die diversen Features, Extras, Sensoren und Gimmicks zehren an der Leistung: Selbst an einem durchschnittlichen Arbeitstag, an dem das Pixel 4 XL viel Zeit auf dem Schreibtisch verbringt und maximal zum Abrufen neuer Nachrichten benutzt wird, ist der Akku am Abend leer.
Längere Akkulaufzeit? Geht, aber nicht gut
Wer vor dem Zubettgehen noch auf dem Smartphone herumdrückt, Hörbücher oder Musik zum Einschlafen hört, wird angesichts des bedenklich niedrigen Akkustands dazu verleitet, das Pixel über Nacht aufzuladen – wider besseres Wissen, denn das belastet die Batterie unnötig.
Wer darauf hofft, dass Google per Software-Update nachsteuert, was den Stromverbrauch angeht, wird enttäuscht: Ein solches ist nicht geplant. Dafür gibt es eine eigene Hilfeseite, auf der erklärt wird, wie man den Akkuverbrauch optimiert: Dort finden sich so "überraschende" Hinweise wie "Sie können den Akku schonen, indem Sie die Helligkeit Ihres Displays senken" oder "Funktionen mit hohem Akkuverbrauch deaktivieren". Nun gut: Wenn man alles ausschaltet, was das Pixel 4 ausmacht, kommt man bestimmt auch länger hin als einen knappen Tag.
Das größte Problem des Pixel 4 ist die Gesichtserkennung
Noch schwerer als der große Stromhunger wiegt aber der Verzicht auf einen Fingerabdruck-Sensor bei beiden Pixel-4-Modellen: Wer nicht in die gefühlte Steinzeit eines zwar sicheren, aber umständlichen Codes zurückkehren möchte, muss sich mit der Gesichtserkennung anfreunden. Und gibt damit die Verantwortung über sein Smartphone buchstäblich aus der Hand. Gesperrt oder entsperrt, das entscheidet nun das Gerät. Sobald es das Gesicht seines Besitzers erkennt, öffnet es Tür und Tor.
Dass das Pixel 4 XL sich dabei nicht darum schert, ob die Augen offen oder geschlossen sind, öffnet einer ganzen Reihe Szenarien Tür und Tor: vom schlafenden Lebensabschnittspartner oder Elternteil, dessen Handy flugs entsperrt wird bis zur Polizei- oder Zollkontrolle, bei der die Weigerung, das Handy zu entsperren, ausgehebelt wird – Google sei Dank.
Ungewollt entsperrt? Google verspricht Update
Das Problem mit den geschlossenen Augen will man übrigens per Update beheben, "in den kommenden Monaten", wie es von Google heißt. Bis dahin kann man sich mit dem so genannten "Lockdown"-Modus notdürftig behelfen: Er erweitert das Menü des Ein/Aus-Knopfes um die Option "Sperren". Dann verlangt das Pixel 4 beim nächsten Entsperr-Versuch den Zahlencode. Das entsprechende Untermenü findet man so:
- Einstellungen -> Display -> Erweitert -> Sperrbildschirmanzeige -> Optionen zum Sperren anzeigen
Das Fazit zum Google Pixel 4: Kaufen oder nicht?
Die kurze Antwort: Lieber nicht.
Die längere Antwort: Als überzeugter Android-Nutzer sehnt man sich danach, das Pixel 4 XL gern zu haben. Doch so richtig will der Funke nicht überspringen. Es ist schnell, es hat eine Kamera, die tolle Bilder macht, es ist (und bleibt) auf dem aktuellen Softwarestand. Doch es ist auch eine Diva: Will man alles mitnehmen, was das Smartphone zu bieten hat, saugt sich der Akku in Windeseile leer. Und die Gesichtserkennung als einzige zeitgemäße Entsperrmethode hinterlässt einen äußerst faden Beigeschmack.
Außerdem fasst sich das Pixel 4 XL zwar gut an und sieht im Rahmen der Smartphone-Möglichkeiten gut an – doch die "Stirn" über dem Display, die stört.
Android ohne Zusatz-Schnickschnack, einen schnellen Prozessor und eine für Smartphone-Verhältnisse herausragende Kamera bekommt man auch von anderen Herstellern, oft für ähnlich viel, zum Teil aber auch für weniger Geld. Die naheliegendste Konkurrenz kommt tatsächlich aus dem eigenen Haus: Das Pixel 3a XL ist zwar etwas langsamer, hat nur eine Kamera auf der Rückseite und sieht nicht ganz so schick aus. Dafür kostet es nur die Hälfte des Pixel 4 XL – und hat einen Fingerabdruck-Sensor.
Das getestete Google Pixel 4 XL wurde dem Hamburger Abendblatt vom Hersteller zur Verfügung gestellt. Es wurde nach Ende des Tests zurückgegeben.