Hamburg. Mit dem idealen Abendessen kommen viele Regeln und Verbote. Eine Ernährungsexpertin klärt auf, was Sie abends wirklich essen sollten.

Oft heißt es, das Frühstück sei die wichtigste Mahlzeit des Tages. Doch im Alltag schenken jedoch viele dem Abendessen die meiste Aufmerksamkeit: Es soll gesund sein und sättigen – aber nicht zu sehr, denn ein voller Magen beeinträchtigt schließlich den Schlaf. Wer sein Gewicht halten oder abnehmen möchte, behält auch die Kalorien im Blick. Und dann soll das Abendessen ja auch noch nicht zu spät eingenommen werden.

Um die letzte Mahlzeit des Tages kreisen viele Regeln. Nicht alle davon stimmen, sagt die Ernährungsexpertin Carolin Kotke: Viele dieser Annahmen kann man wieder vergessen. Was Sie abends essen sollten, welche beiden Nährstoffe dabei besonders wichtig sind und in welchen Fällen sogar Nudeln erlaubt sind.

Unsere Expertin

Carolin Kotke ist ganzheitliche Ernährungsberaterin mit der Spezialisierung auf eine basische und Nährstoff-optimierte Ernährung. Auf ihren Social-Media-Kanälen klärt sie rund um einen gesunden und achtsamen Lebensstil auf. 2022 hat sie den Spiegel-Bestseller „Eat well, feel better: Die neue Säure-Basen-Formel“ sowie 2024 ihr Buch „Eat colourful, feel better“ veröffentlicht. 

Ab wieviel Uhr sollte man abends nicht mehr essen?

Die Körperfunktionen unterliegen einem circadianen Rhythmus – einer inneren Uhr, die sich auf einen 24-Stunden-Takt eingestellt hat. Der lateinische Begriff „circadian“ bedeutet übersetzt „ungefähr ein Tag“. Evolutionsbedingt hat sich unsere innere Uhr demnach an den Wechsel von Tag und Nacht angepasst. Erkennbar ist das etwa an unserem Schlaf-Wach-Rhythmus: Wenn es draußen dunkel wird, schüttet der Körper das Schlafhormon Melatonin aus. Wir werden müde, der Körper schaltet in den Ruhemodus.

Das betrifft auch die Verdauung: Magen und Darm arbeiten in den Abend- und Nachtstunden langsamer. Eine üppige Mahlzeit am späten Abend kann daher Schlafprobleme verursachen, erklärt Kotke: „Insbesondere fett- und proteinreiche Mahlzeiten erfordern eine längere Verdauungszeit. Wenn man kurz vor dem Schlafengehen isst, kann dies die Verdauung stören und zu unruhigem Schlaf führen.“

In der Nacht sei der Körper vor allem mit der Regeneration beschäftigt, für die Verdauung bleibt weniger Zeit. Darum rät die Ernährungsexpertin, das Abendessen möglichst früh einzuplanen: „Ich empfehle, etwa zwei bis drei Stunden vor dem Zubettgehen nichts Schweres oder Großes mehr zu essen“, sagt sie. „Durch diese Zeitspanne erhält der Körper genügend Zeit, um die letzte Mahlzeit zu verdauen und sich auf die nächtlichen Regenerationsprozesse vorzubereiten.“

Kann spätes Abendessen die Gewichtszunahme fördern?

Wer spät isst, neigt zudem eher zur Gewichtszunahme. Studien deuten darauf hin, dass Übergewicht nicht nur von der täglichen Kalorienmenge abhängt – auch der Zeitpunkt spielt eine Rolle. Denn der circadiane Rhythmus nimmt auch einen entscheidenden Einfluss auf Gewichtsveränderungen. Genau wie die Verdauung fährt auch der Stoffwechsel zu einer fortgeschrittenen Tageszeit herunter.

Der Körper verbrennt Kalorien abends anders als tagsüber, weil der Stoffwechsel langsamer wird und die Regeneration im Vordergrund steht“, so Kotke. Wenn späte Mahlzeiten zur Gewohnheit werden, kann das durchaus Auswirkungen auf das Gewicht haben. Das belegten Forscher der Northwestern University in Tierversuchen: Sie setzten nachtaktive Mäuse über sechs Wochen auf eine fettreiche Diät gesetzt. Die Mäuse, die ihre Mahlzeiten tagsüber erhielten – also entgegen ihrem natürlichen circadianen Rhythmus – nahmen dabei mehr zu.

Forscher der Universität Lübeck fanden eine mögliche Ursache dafür, warum die Kalorienaufnahme am Abend wortwörtlich stärker ins Gewicht fällt als tagsüber. In ihrer Studie zeigte sich, dass der Körper nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit am Abend mehr Insulin ausschüttet und der Blutzuckerspiegel stärker ansteigt. Da Insulin die Fettverbrennung blockiert und starke Blutzuckerschwankungen Heißhunger auslösen können, wirkt sich spätes Essen oft ungünstiger auf das Gewicht aus.

Gut zu wissen

Schlechter Schlaf aufgrund von zu späten oder üppigen Mahlzeiten kann einen Teufelskreis anstoßen. Einer Studie der Universität Berkeley erhöht Schlafmangel Heißhunger auf kalorienreiche Lebensmittel, vor allem solche mit hohem Salz- und Zuckergehalt (‚Junkfood‘). Ursächlich dafür könnten veränderte biochemische Prozesse im Gehirn sein. Bereits nach einer einzigen schlaflosen Nacht steige die Wahrscheinlichkeit, dass man zu Pizza oder Donuts greife, resümieren die Studienautoren.

Was sollte man abends nicht essen, um besser zu schlafen?

Besonders Lebensmittel mit hohem Zuckergehalt katapultieren den Blutzuckerspiegel nach oben. Ebenso schnell sinkt er wieder ab. Das kann nicht nur Auswirkungen auf das Gewicht haben.

„Die Energiehochs und -tiefs können den Schlaf beeinträchtigen“, sagt Kotke. Zuckerreiche Lebensmittel, wie die Snacks vorm Fernseher, gilt es am Abend also zu meiden. Auch von schweren, fettreichen Speisen und großen Mengen an Fleisch rät Kotke ab. Sie stellen Magen und Darm spät am Abend vor eine Herausforderung und erschweren die Verdauung.

Eine Frau schneidet Gemüse auf einem Holzbrett
Mit Gemüse fürs Abendessen kann man nichts falsch machen: Es liefert viele Nährstoffe und hält dank Ballaststoffen satt. © iStock | Lyndon Stratford

Ebenso sollten die Getränke abends mit Bedacht gewählt werden, rät Kotke. Ob Kaffee, grüner Tee oder Energiedrinks – alles, was Koffein enthalte, könne aufgrund der stimulierenden Wirkung den Schlafzyklus stören. Dasselbe gilt für das Glas Rotwein oder das Feierabendbier zum Abendessen: Alkohol wirke mitunter zunächst beruhigend, „er kann aber dazu führen, dass die Tiefschlafphase und die REM-Phase (Traumschlaf) verkürzt werden. Dadurch fühlt man sich am nächsten Tag müder und weniger erholt.“

Nudeln erlaubt: Diese Lebensmittel sollte man abends essen

Manche Lebensmittel sind zwar schwerer verdaulich und eignen sich so weniger fürs Abendessen. Von Essensverboten hält Kotke dennoch wenig: „Ich möchte den Mythos beseitigen, dass man gewisse Dinge abends nicht mehr essen sollte“, sagt die Ernährungsexpertin. „Gerade Rohkost und Kohlenhydrate werden oft verteufelt.“

Für die weit verbreitete Annahme, rohes Gemüse sei besonders am Abend weniger bekömmlich, hat die Wissenschaft tatsächlich noch keine Belege geliefert. Gerade bei Rohkost und Salat sei es Ernährungscoach Kotke zufolge aber wichtig, sich Zeit fürs Kauen zu nehmen. Denn der Verdauungsprozess beginnt bereits im Mund: „An dem Satz ‚Gut gekaut, ist halb verdaut‘ ist wahrlich etwa dran und wir können unseren Körper aktiv bei seiner Arbeit unterstützen.“

Wer abends zu Kohlenhydraten greift, müsse zudem kein schlechtes Gewissen haben – solange es sich dabei um komplexe Kohlenhydrate handelt. Dazu gehören Vollkornnudeln, Quinoa oder Hülsenfrüchte wie Linsen und Bohnen: „Sie versorgen den Körper mit Nährstoffen, halten den Blutzuckerspiegel stabil und sättigen länger“, sagt Kotke.

Komplexe Kohlenhydrate bestehen aus langen Ketten von ‚guten‘ Zuckermolekülen. Sie liefern Nährstoffe, darunter jede Menge Ballaststoffe. Diese quellen im Magen auf und wirken als Sattmacher. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt Erwachsenen, täglich mindestens 30 Gramm Ballaststoffe zu sich zu nehmen. Neben Vollkornprodukten und Hülsenfrüchten sind auch manche Obst- und Gemüsearten und Nüsse reich an Ballaststoffen.

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Folge 33: Warum Nüsse wie Medikamente wirken

Dr. Matthias Riedl - So geht gesunde Ernährung

Ist Obst am Abend erlaubt?

Zu den Ernährungsmythen gehört auch, dass Obst am Abend Verdauungsbeschwerden verursachen kann. Tatsächlich können besonders Obstsorten mit hohem Säuregehalt, wie Orangen, Grapefruits oder Ananas, Sodbrennen in der Nacht fördern. Eine Obstsorte kann Carolin Kotke aber für einen erholsamen Schlaf empfehlen.

Bananen versorgen den Körper mit Magnesium und Tryptophan: „Magnesium spielt beispielsweise eine wichtige Rolle bei der Entspannung der Muskeln und der Regulierung des Schlafzyklus‘“, erklärt die Expertin. „Tryptophan hingegen ist eine essenzielle Aminosäure, die der Körper benötigt, um Serotonin und Melatonin zu produzieren – Hormone, die für den Schlafzyklus wichtig sind.“ Auch Nüsse, Kerne und Samen enthalten die beiden Stoffe und eignen sich gut als später Snack. Kürbis- und Cashewkerne zählen zu den Lebensmitteln mit dem höchsten Magnesiumgehalt. Alle Arten von Nüssen und Samen liefern darüber hinaus Proteine und gesunde Fette, allen voran Omega-3-Fettsäuren.

Komplexe Kohlenhydrate, gesunde Fette, gute Proteine aus Fisch oder magerem Fleisch, sowie eine Vielzahl an Gemüse – so lautet Kotke zufolge das Rezept für ein gesundes Abendessen. Daraus können schmackhafte Gerichte entstehen. Die Expertin empfiehlt etwa Currys, Ofengemüse oder Lachs mit Quinoa, Süßkartoffeln und gedünstetem Gemüse.

Quellen

Arble, D. M.: Circadian Timing of Food Intake Contributes to Weight Gain, in: The Obesity Society, Sep. 2012, Vol. 17(11): 2100-2102.

Chamorro, R. [u.a.]: Meal Timing and Macronutrient Composition Modulate Human Metabolism and Reward-Related Drive to Eat, in: Nutrients, Jan. 2012, Vol. 14 (3).

Laermans, J. [u.a.]: Chronobesity: role of the circadian system in the obesity epidemic, in: Obesity Reviews, Feb. 2016, Vol. 17 (2).: 108-125.

Ballaststoffe, in: dge.de (Deutsche Gesellschaft für Ernährung)