Berlin. Ausgaben planen, Geld sparen, Verträge ordnen: Menschen mit ADHS tun sich damit schwerer. Eine Expertin liefert sechs Tipps für Betroffene.

Der Umgang mit Geld ist täglich für viele Menschen eine Herausforderung. Er erfordert eine gute Organisation, Planung und Selbstkontrolle. Für Menschen mit ADHS ist diese Aufgabe besonders kompliziert. Da ihr Alltag oft von Schwierigkeiten genau in diesen Bereichen geprägt ist, verlieren sie schneller den Überblick über ihre Finanzen und bauen Schulden auf.

„ADHS macht den Umgang mit Geld häufig sehr herausfordernd“, sagt Kirstin Wulf. Die Diplom-Politologin lebt selbst mit ADHS. Sie ist seit 2012 mit ihrer Berliner Initiative „bricklebrit“ bundesweit in der finanziellen Bildung tätig und konzipiert Programme für Menschen mit ADHS.

ADHS und Geld: Michaela gibt mehr aus, als sie eigentlich will

Vor welchen speziellen Problemen Erwachsene mit ADHS stehen, zeigt das Beispiel Michaela (Name geändert). Die 42-Jährige verdient sehr gut, gibt aber viel mehr Geld aus, als sie eigentlich will. „Ich vergesse oft wichtige Dinge wie fristgerechte Vertragskündigungen“, erzählte sie Kirstin Wulf. „Das ärgert mich. Regelmäßig meine Finanzen zu überwachen, fällt mir schwer.“ Obwohl sie alles richtig angehen möchte, verschiebt Michaela diese Aufgaben immer wieder. Besonders schlimm sei es, wenn sie beruflich viel zu tun habe.

Kirstin Wulf, die sich selbst „Über-Geld-Sprecherin“ nennt, weiß: „Überlastung ist oft der Grund für mangelnde Finanzorganisation, nicht grundsätzliche Unfähigkeit oder fehlendes Wissen.“

Für mehr Überblick im Finanzchaos hat Kirstin Wulf diese konkreten Tipps:

Mit ADHS bei Geld-Themen Zusammenarbeit suchen

Um die Finanzen gut zu meistern, kann es für Menschen mit ADHS sehr hilfreich sein, sich mit anderen zusammenzutun. „Die Bewältigung finanzieller Aufgaben fällt in Gruppen oft leichter und entlastet das Arbeitsgedächtnis“, erklärt Kirstin Wulf. Gemeinsame Gespräche über Finanzen fördern die geistige Verarbeitung und den Austausch konkreter Strategien, um endlich aktiv zu werden.

In digitalen Arbeitssitzungen mit Gleichgesinnten hat auch Michaela begonnen, die aufgeschobenen Aufgaben anzugehen. „Nichts entlastet das Gehirn mehr, als Aufgaben von der To-Do-Liste zu streichen,“ beobachtet Wulf immer wieder. Gezielte Unterstützung verringert die Anstrengungen, besonders in Phasen von Stress und Überforderung. Das Erledigen von Aufgaben werde dann für Menschen mit ADHS eher zum Erfolg – ein echter Energiebooster, sagt Kirstin Wulf.

Trotz ADHS Geduld mit sich selbst haben

Geduld mit sich selbst ist entscheidend im Umgang mit ADHS und finanziellen Herausforderungen, ein fortlaufendes Lebensprojekt. Schamgefühle spielen eine große Rolle, selbst für diejenigen, die noch nicht in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. „Obwohl wir die negative Wirkung kennen, sind sie schwer abzustellen“, sagt Kirstin Wulf.

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Dies beeinträchtigt die klare und lösungsorientierte Denkfähigkeit. Wer das Gegenteil behauptet, erhöht den Druck auf diejenigen, die damit zu kämpfen haben. Die Expertin: „ADHS erfordert Geduld mit sich selbst und das Finden nachhaltiger Wege, mit starken Emotionen umzugehen. Zu wissen, dass es anderen ähnlich geht, kann guttun.“

ADHS und Geldpläne: Gedanken schriftlich ordnen

Sich mit der Familie oder Freunden zusammenzusetzen und gemeinsam alle Gedanken zu notieren, die zum Thema Finanzen im Kopf herumschwirren, kann ebenfalls nützlich sein. „Dies unterstützt dabei, das Durcheinander zu ordnen und Prioritäten zu setzen“, so die Expertin.

Kirstin Wulf, Initiative
Kirstin Wulf von der Berliner Initiative „bricklebrit“ unterstützt Menschen mit ADHS bei finanzieller Bildung. © privat | Michael Miethe

Das schriftliche Festhalten von Gedanken schafft Klarheit und hilft dabei, konkrete Ziele zu identifizieren. Außerdem entlastet eine schriftliche Übersicht der finanziellen Aufgaben das Gehirn, reduziert Stress und Angstgefühle und erleichtert das Nachverfolgen von Fortschritten.

Geringere Aufmerksamkeit mit ADHS: Aufgaben in kleine Schritte zerlegen

Bei großen finanziellen Herausforderungen, wie etwa der Bewältigung von Schulden, ist es hilfreich, den Sanierungsplan in viele kleine Schritte zu unterteilen. Diese ermöglichen es, sich jeweils nur auf eine Mini-Aufgabe zu konzentrieren, die in kurzer Zeit erledigt werden kann.

Diese Herangehensweise passt besser zur typischen Aufmerksamkeitsspanne von Menschen mit ADHS. Außerdem stellt jede abgeschlossene kleine Aufgabe ein Erfolgserlebnis dar. Häufige kleine Erfolge sorgen für ein positives Gefühl und motivieren dazu, weiterzumachen. Dies kann das Selbstvertrauen stärken und den Antrieb erhöhen, auch größere Aufgaben zu bewältigen.

Kauf sinnvoll? Sich selbst beobachten

Ein wertvoller Schritt ist es, sich der eigenen unguten Gewohnheiten im Umgang mit Geld bewusst zu werden. „Das bedeutet, sein eigenes Verhalten eine Weile zu reflektieren“, sagt die Beraterin. „Beispiel: Wenn ich spontan etwas kaufen möchte, kann die Selbstbeobachtung helfen.“ Sie erinnert idealerweise an das Budget und hilft zu prüfen, ob der Kauf sinnvoll ist. „Wer lernt, sich selbst in solchen Situationen zu beobachten, behält eher den Überblick über finanzielle Ziele und vermeidet unüberlegte Ausgaben.“

To-Do-Listen fürs Geld: Klare Strukturen schaffen

Upset young woman frustrated with financial problems
ADHS kann das Gefühl verstärken, mit Gelddingen und Ordnung überfordert zu sein. © Getty Images | LordHenriVoton

Ein aufgeräumter Schreibtisch ist der erste Schritt für klare Strukturen. „Viele unterschätzen, wie wirkungsvoll es ist, Rechnungen nach Fälligkeit zu sortieren und farbige Mappen für wichtige Dokumente zu nutzen“, erklärt Kirstin Wulf. Ein ordentlicher Arbeitsplatz dient dazu, den Überblick zu behalten und mentale Belastung zu minimieren. Tägliche To-Do-Listen erleichtern die Planung, während Kalender und Apps an wichtige Termine erinnern können.

Studie: Menschen mit ADHS mehr Probleme beim Umgang mit Geld

Wie groß die Herausforderungen für Erwachsene mit ADHS sind, beleuchtete auch eine 2023 veröffentlichte Studie der Universität Groningen. Die Personen mit ADHS wussten oft nicht genau, wie viel sie verdienen und verfügten weniger häufig über einen Notfallfonds für unerwartete Ausgaben. Sie hatten zudem Schwierigkeiten, den Eingang von Rechnungen zu erkennen und den Überblick über ihre finanzielle Situation zu behalten.

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Etwa 27 Prozent der ADHS-Teilnehmer hatten in den letzten fünf Jahren sogar mit rechtlichen Maßnahmen aufgrund von Schulden zu kämpfen. Das Einkommensniveau hatte dabei – ähnlich wie im Beispiel Michaela – in der Studie keine Auswirkung auf die finanzielle Kompetenz bei Erwachsenen mit ADHS. Unabhängig vom Verdienst hatten die Teilnehmer Schwierigkeiten in den genannten Bereichen.

Die Studie zeigt deutlich, wie wichtig ein besseres Bewusstsein für diese Herausforderungen und gezielte Beratung für Erwachsene mit ADHS sind, um kritische finanzielle Probleme zu vermeiden.