In seinem Buch „Ganz oben, ganz unten“ beschreibt Ex-Bundespräsident Christian Wulff die Szene, wie er in Tränen ausbrach, als er kurz nach dem Rücktritt von den Rotlichtgerüchten über seine Frau Bettina erfuhr.
Es sollte keine Abrechnung werden, eher eine Einladung zur Debatte über das Verhältnis von Politik, Medien, Justiz und den Menschen, die wie er im Rampenlicht stehen. Wer dann Christian Wulffs Buch „Ganz oben, ganz unten“ liest, der findet dennoch eben jene Abrechnung. Aufgeschrieben wurde, was das Bild des zu Unrecht von furchtbaren Journalisten und ebenso furchtbaren Juristen aus dem Amt gejagten Ex-Bundespräsidenten untermauert.
Weggelassen wurde, was nicht in das Bild eines Komplotts gegen den damaligen Bundespräsidenten passte. Halbwahrheiten – diese spezielle Subjektivität gönnt sich Christian Wulff auch mehr als zwei Jahre nach seinem Rücktritt.
Pars pro toto: An zentraler Stelle, in der es um den Bruch des Politikers mit dem Axel Springer Verlag geht, der Wulff angeblich wegen dessen Haltung zum Islam aus dem Amt mobben wollte, zitiert der Ex-Präsident ausführlich einen Kommentar des Journalisten Hajo Schumacher. Dieser lobt Wulffs Krisenmanagement im Fall des damaligen Bundesbankvorstands und Zuwanderungskritikers Thilo Sarrazin. Dass Schumachers Text in der „Berliner Morgenpost“ und damit in einem Springer-Blatt erscheint, unterschlägt Wulff. Diese Information hätte ja auch nicht zu dem großen Komplott-Szenario gepasst, das er in „Ganz oben, ganz unten“ entwirft.
Im Zentrum seiner verschwörungstheoretischen Streitschrift steht neben einer umfangreichen Würdigung der eigenen Verdienste als Ministerpräsident von Niedersachsen sowie als Bundespräsident die Kritik an diversen Medien des Landes. Sie legen, vor allem durch eine unterstellte, aber nicht belegte Zusammenarbeit mit der Justiz, Hand an die Grundstrukturen der Demokratie, an die Gewaltenteilung.
Wulffs Schelte gilt neben Axel Springer mit seinen Marken „Bild“ und „Welt“ vor allem der „FAZ“, dem „Spiegel“ und dem ARD-Talkformat „Günther Jauch“.
Volle Breitseiten gibt es, wie zuvor angekündigt, auch gegen die niedersächsische Justiz, allen voran die Generalstaatsanwaltschaft in Celle und die Staatsanwaltschaft Hannover.
Garstige namentliche Erwähnungen finden aus der Politik der heutige Landtagspräsident in Hannover, Bernd Busemann, der laut Wulff die Entscheidung über die Aufhebung der Immunität des damaligen Präsidenten traf, sowie der frühere niedersächsische Ministerpräsident David McAllister. Lesen Sie hier auszugsweise zentrale Passagen des 256-seitigen Buches:
Christian Wulff über seine Ehre:
„Mein Freispruch hat die mediale Vorverurteilung nicht aufwiegen können. Die Wiederherstellung meiner Ehre im staatsbürgerlichen Sinn ersetzt nicht den Verlust meiner Ehre als öffentliche Person. Das Wulff-Bashing begann am Tag nach meiner Nominierung für das Amt des Bundespräsidenten.“
Über Schmutzkampagnen und Staatsanwaltschaften:
„Dass der Bundespräsident zwei Monate lang einer Schmutzkampagne ausgesetzt wird, deren Niederträchtigkeit heute wohl kaum noch jemand bestreitet, das hatte ich nicht für möglich gehalten. Ebenso wenig konnte ich mir vorstellen, dass eine Staatsanwaltschaft sich dem von den Medien erzeugten Druck beugt und aufgrund einer manipulierten Bild-Geschichte die Aufhebung meiner Immunität beantragt.“
Über mangelnde Unterstützung aus der Politik:
„Die politische Klasse verfiel – von Ausnahmen wie Peter Hintze abgesehen – am Ende meiner Amtszeit in ein allgemeines Schweigen zu meinem Fall. Aus Populismus oder aus Angst, selbst Opfer von Medien zu werden. (…) Spätestens wenn Medien die Unabhängigkeit der Justiz bedrohen – wie das bei mir ganz offenkundig der Fall war –, dann sollte sich ein Politiker, dem am Rechtsstaat gelegen ist, warnend zu Wort melden und einschreiten.“
Über die Rolle der niedersächsischen Landesregierung:
„Bernd Busemann (damals Justizminister in Niedersachsen, Red.) führte die Riege derer an, die eine scharfe Abgrenzung und eine härtere Gangart (gegen Wulff, Red.) verlangten. Fast jeden Dienstag hörte ich aus den Kabinettssitzungen, dass Busemann Stimmung machte nach dem Prinzip ‚Oh, oh, oh‘. Im Januar 2013 standen Wahlen an, und McAllister gab die Linie aus, sich nicht nur mit Solidaritätskundgebungen für mich zurückzuhalten, sondern auch auf Abstand zu achten.“
Über das „Komplott“ der Medien:
„Im Juni 2010 hatten Spiegel und FAZ vier Wochen lang alles unternommen, um meine Wahl zu verhindern. Im Oktober 2010 hatten FAZ und Bild in auffallender Übereinstimmung aus allen Rohren gefeuert, um meine ‚Islam-Rede‘ zum Tag der Deutschen Einheit als nicht mehrheitsfähig zu diskreditieren. Beide Male war ich schwer lädiert, kam aber wieder auf die Beine. Jetzt schlugen sie erstmals zu dritt zu. (…) Die raffinierte mediale Inszenierung meiner Mailbox-Nachricht in Form von Andeutungen durch Dritte ließ die Bild-Zeitung Anfang Januar als Speerspitze des deutschen Journalismus erscheinen. (…) Vielen Journalisten ging es nicht um Aufklärung dieses oder jenes Sachverhalts, es ging ihnen darum, mich vorzuführen, mich schwitzen zu sehen, mich lächerlich zu machen. Ich fühlte mich wie beim Dosenwerfen auf dem Jahrmarkt.“
Über den Tag des Rücktritts:
„Am Nachmittag dieses 17. Februar fuhren meine Frau und ich mit unseren Kindern Linus und Leander nach Großburgwedel, in jene ‚hundelendigliche Gegend‘ (Voltaire), in die meine Kritiker aus FAZ und Welt und Spiegel mich seit meiner Nominierung im Jahr 2010 zurückwünschten. Als die Bild-Zeitung anderthalb Jahre später auf diese Linie einschwenkte – aus Gründen, die offenbar in meiner Haltung zum Islam und im persönlichen Ehrgeiz ihres Chefredakteurs zu suchen waren –, geriet ich mehr als in Bedrängnis. 598 Tage hatte ich alles gegeben. 67 Tage hatte ich gegen alle öffentlich erhobenen Vorwürfe standgehalten. Dann war es vorbei.“
Über sein früheres Verhältnis zu „Bild“:
„Natürlich ist es deutlich angenehmer, wenn wohlwollend berichtet wird. Von einer aktiven Zusammenarbeit, gar einer Geschäftsbeziehung kann aber keine Rede sein: Ich habe meine Karriere nicht mit der Bild-Zeitung gemacht. (…) Bettina und ich kamen in der Tat gut weg. Das hing vor allem damit zusammen, dass Bettina sicher im Auftreten war und das Blitzlicht nicht scheute.“
Über Selbstzweifel:
„Aber je mehr Widerstand mir entgegenschlug, desto mehr beschlich mich das Gefühl, mit genereller Feindseligkeit konfrontiert zu sein. Entsprechend unsicher bewegte ich mich, entsprechend unsicher wirkte ich in manchen Reden. Die massive Kritik an mir hat vorhandene Selbstzweifel verstärkt.“
Über Rotlichtgerüchte um Bettina Wulff:
„Ein prominenter Journalist (…) sprach an einem Samstagmittag Ende November 2011 an einer Tankstelle einen Mitarbeiter des Bundestagspräsidenten an. Ob der Bundestagspräsident denn eigentlich wisse, dass der Bundespräsident mit einer ehemaligen Prostituierten verheiratet und daher von Zuhälter- und Rockerkreisen erpressbar sei. Als ich kurz nach meinem Rücktritt von dieser Infamie erfuhr, habe ich zum ersten Mal geweint.“
Über Angela Merkel:
„Nur auf eine Person konnte ich mich jetzt noch verlassen, die Bundeskanzlerin.“
Über Schnorrer-Vorwürfe:
„Unsere Regeln gingen so weit, dass wir die Brötchen, die wir während der Kabinettssitzungen aßen, aus eigener Tasche bezahlten. (…) Jedes Geschenk über zehn Euro musste abgegeben werden.“
Über einen Mallorca-Urlaub:
„Mit meinem Mallorca-Urlaub im Juli 2010 trug ich aber zweifellos dazu bei, Spekulationen über unzulässige Verbindungen zu schüren. (…) Mir wäre eine Menge Ärger erspart geblieben, wenn ich im Sommer 2010 einen Moment nachgedacht hätte.“
Über alte Fehler:
„Heute werfe ich mir vor, dass ich zu hart war gegen Gerhard Glogowski (den früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten, Red.). (…) Es ging um private Urlaubsreisen und die Ausrichtung von Glogowskis Hochzeit. Das war alles sehr unangenehm für ihn. (...) Auch in einem anderen Fall, in dem ich mich als Oppositionspolitiker zu weit aus dem Fenster gelehnt habe, würde ich heute zurückhaltender agieren, ich meine die Kritik an Johannes Rau. (…) Da habe ich ein bisschen wichtig getan und die Bibel nicht ausreichend bedacht: Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet.“