Der Fernsehfilm „Der Rücktritt“, der am Dienstagabend bei Sat.1. zu sehen ist, zeigt das Scheitern des Ehepaars Wulff im Bundespräsidialamt. Kai Wiesinger und Anja Kling spielen die Hauptrollen
Es passiert selten, und genau darum handelt es sich um großes Fernsehen. Obwohl man dachte, bereits alles über den Rücktritt des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff zu wissen, gelesen und gehört zu haben, taucht hier eine neue, bislang unbekannte Seite der Geschichte auf. Das Doku-Drama „Der Rücktritt“ erlaubt einen Blick hinter die Kulissen der Macht und des Machtverlustes. Es geht um 68 Tage. So viel Zeit verging zwischen dem ersten Artikel in der „Bild“-Zeitung („Wirbel um Privatkredit – Hat Wulff das Parlament getäuscht?“) bis zur Erklärung des Rücktritts am 17. Februar 2012 im großen Saal von Schloss Bellevue. 68 Tage, die Wulff sein Ansehen und sein Amt kosteten. Mit jeder Szene sieht der Zuschauer, wie sich die Schlinge um den Hals des Mannes aus Niedersachsen enger zuzieht – wie er selbst am stärksten mitzieht. Wie wenig Wahrheit und Wahrnehmung miteinander zu tun haben können.
Zu verdanken haben wir dieses Fernsehereignis Nico Hofmann. Der Produzent und Vorsitzende der Ufa Fiction bewies in der Vergangenheit mit Filmen wie „Unsere Väter, unsere Mütter“, „Hindenburg“ und „Rommel“ mehrfach, wie großartig er Historie in Szene zu setzen vermag und dass Fernsehen im besten Fall gesellschaftliche Diskussionen auslöst. Hofmanns Talent ist gepaart mit einer Aufmerksamkeit für alles und für jeden. Seine Herangehensweise an sein jüngstes Filmprojekt ist sensibel und ehrlich; zwei Adjektive, die in der Affäre Wulff selten vorkommen. „Es ist ein Film über Moral. Moral in der Politik, in den Medien und in der persönlichen politischen Verantwortung“, sagt Hofmann.
Der Präsident und seine Frau werden gespielt von Kai Wiesinger und Anja Kling, und gerade die Szenen zwischen den Eheleuten sind es, die interessieren. Diese Innenansicht beruht nicht auf Fiktion, alles musste „hieb- und stichfest recherchiert sein“, sagt Hofmann, „um nicht vom Hause Wulff gestoppt werden zu können“. Sehr viele Anwälte waren an dem Projekt beteiligt. Nichts Neues für Hofmann, wohl aber ungewohnt für den Sender Sat.1. Er war der Einzige, der den Mut besaß, dieses Thema aufzunehmen. „Wir sind nervös, aber wir freuen uns darauf, dass an dem Abend der Spot auf uns gerichtet sein wird. Über diesen Film wird man reden“, glaubt Jochen Ketschau, Sat.1-Fiction-Chef. Einen Fall während eines laufenden Prozesses zu verfilmen ist für alle Beteiligte riskant.
Fast zeitgleich mit dem Urteilsspruch im Korruptionsprozess gegen den ehemaligen Bundespräsidenten wird „Der Rücktritt“ nun ausgestrahlt, und die Urteile der Zuschauer werden genauso gespalten sein, wie sie es in der Bevölkerung nach Wulffs Rücktritt oder schon nach der Aufhebung seiner Immunität waren. Das ist die Stärke dieses Films: Er liefert kein klassisches Schwarz-Weiß-Gemälde, sondern Ambivalenzen. „Ich habe nicht versucht, Christian Wulff zu bewerten, sondern sichtbar zu machen, was ihn bewegt“, sagt Hauptdarsteller Kai Wiesinger. „Beim Dreh war ich sehr von der Figur gefangen und dachte noch, alle sind gegen ihn. Aber jetzt, da ich den fertigen Film angeschaut habe, sehe ich es anders.“
Gerade Szenen, die Wulff im Umgang mit seinem langjährigen Sprecher Olaf Glaeseker (Holger Kunkel) zeigen, lassen eine gewisse Hybris und Unbelehrbarkeit erkennen. „Wo kämen wir hin, wenn ich mit jedem Journalisten selbst sprechen würde?“, antwortet Wulff beispielsweise seinem Berater, als der in puncto Privatkredit bei der Unternehmergattin Edith Geerkens auf absolute Transparenz gegenüber den Medien pocht. Oder später, nach Wulffs Drohanruf bei „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann, sagt Glaeseker: „Du musst dich entschuldigen. Jeder macht mal Fehler.“ Doch Wulff fragt irritiert: „Welcher Fehler?“ Fast tut es dem Zuschauer auch weh, wenn sich die Mitarbeiter von Schloss Bellevue nach und nach von ihrem Chef abwenden.
„First Lady habe ich mir anders vorgestellt“, sagt Bettina Wulff in „Der Rücktritt“ resigniert. Anja Kling wurde für ihre Rolle hübsch blondiert und durch Kontaktlinsen sogar mit der gleichen Augenfarbe (Braun) ausgestattet. Sie kann nachvollziehen, wieso das Paar zunächst so gerne im Rampenlicht stand. „Ich glaube, dass Glamour in der Politik in unserer Zeit dazugehört. Da sind die Paare der englischen und europäischen Königshäuser, die Obamas in den USA, und auch Deutschland hätte mit einem jungen Präsidentenpaar einen entsprechenden Platz einnehmen können.“ Hätte. Es kam anders.
„Der Rücktritt“, heute, 20.15 Uhr, Sat.1