Im „heute journal“ geraten SPD-Chef Sigmar Gabriel und ZDF-Moderatorin Marietta Slomka aneinander. Nach dem heftigen Wortgefecht haben beide Seiten ihren Auftritt verteidigt.
Berlin/Hofheim. Sigmar Gabriel kämpft. Erst mit der Union um einen Koalitionsvertrag mit sozialdemokratischem Anstrich. Dann an der Basis um die Zustimmung der 475.000 SPD-Mitglieder zur Großen Koalition. Und am Ende des langen Tages auch noch mit Marietta Slomka. „Lassen Sie uns den Quatsch beenden“, schleudert er der Moderatorin des ZDF-„heute journal“ am Donnerstagabend entgegen, als sie immer wieder von verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Mitgliedervotum spricht. Er nennt das „Blödsinn“. Ob es künftig nicht zwei Klassen von Wählern gebe, wenn das SPD-Beispiel Schule mache, fragte die Moderatorin. Einerseits die einfachen Wahlberechtigten, die über die Zusammensetzung des Bundestags entscheiden. Und daneben die paar Hunderttausend Parteimitglieder, die darüber befinden, welche Koalition künftig regieren soll.
Gabriel reagierte zunächst ein wenig amüsiert, spöttisch, und verwies darauf, dass man ja schon heute zwei Klassen von Wählern habe, wenn man dieser Argumentation folge: den normalen Wähler einerseits und die Parteivorstände beziehungsweise Parteitagsdelegierten andererseits. Auch die hätten in der Vergangenheit darüber entschieden, welche Koalition die Regierung bilde. Da seien ein paar Hunderttausend Parteimitglieder doch die deutlich demokratischere Alternative.
Slomka ließ diesen Gedankengang erst gar nicht an sich heran und setzte stattdessen nach. Es gebe ernsthafte Stimmen, die die Verfassungsmäßigkeit des SPD-Verfahrens in Zweifel zögen. Gabriel danach immer genervter. Es entwickelt sich folgender Dialog in äußerst gereizter Atmosphäre:
Marietta Slomka: „Haben Sie sich solche verfassungsrechtlichen Gedanken gemacht?“
Sigmar Gabriel: „Nee, weil es ja auch Blödsinn ist.“
Slomka: „Das ist doch jetzt interessant. Das heißt doch, dass man, wenn man in eine Partei eintritt, ein besserer Wähler ist.“
Gabriel: „Seien Sie mir nicht böse, Frau Slomka, ich kann diese Argumente nicht wirklich ernst nehmen. (…) Es ist keine bessere Demokratie in einer Partei, wenn immer nur der Vorstand entscheidet.“
Slomka: „Ich dachte, dass in Deutschland alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und nur das Wahlvolk entscheidet.“
Gabriel: „Ja, aber was macht denn dann die CDU? In der CDU entscheiden auch nicht die Wähler, sondern der Parteivorstand der CDU. Und der Parteivorstand der CSU. Das sind viel weniger Menschen als jetzt in der SPD entscheiden. Tun Sie mir einen Gefallen, und lassen Sie uns den Quatsch beenden.“
Slomka: „Herr Gabriel, dieser Quatsch wird von sehr ernst zu nehmenden Verfassungsrechtlern debattiert. Und dem kann man sich doch auch mal stellen.“
Gabriel: „Das mach ich doch gerade.“
Slomka: „Ja, Sie sagen, das ist Quatsch. Eine besondere Form der Argumentation.“
Gabriel: „Frau Slomka, es wird nicht besser, wenn wir uns gegenseitig so behandeln. (…) Es ist nicht das erste Mal, dass Sie im Interview mit Sozialdemokraten nichts anderes versuchen, als uns das Wort im Mund umzudrehen.“
Slomka: „Herr Gabriel, Sie werden mir jetzt nicht unterstellen … Man muss das nicht so sehen, aber man kann doch darüber diskutieren.“
Gabriel: „Ja, aber das würde bedeuten, dass eine kleine Gruppe in einer Partei, ein Vorstand, entscheiden darf. Und eine große Gruppe in einer Partei darf nicht entscheiden. Das ist eine komische Argumentation. Und deswegen find ich die Quatsch. Wir müssen in der Frage ja nicht einer Meinung sein.“
Slomka: „Überhaupt nicht. Es geht ja auch nicht um meine Meinung. Ich trage ja auch Meinungen von anderen an Sie heran.“
Beiden TV-Profis entgleiten in diesen Momenten phasenweise die Gesichtszüge. Dann ist dieser bemerkenswerte, an Loriot selig erinnernde Dialog doch noch zu Ende. Einen Tag später hat Gabriel seinen Auftritt verteidigt. „Man muss doch auch mal Emotionen zeigen“, sagte er in einer Aufzeichnung für das RTL-Magazin „sonntags.live“. „Wir sind ja keine kalten Fische, und manche Journalisten glauben, wir Politiker seien so zum Watschenmann da.“ Der bei der Bundestagswahl unterlegene SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück nahm Gabriel in Schutz: „Ich kann mich an ein Interview im Wahlkampf mit Frau Slomka erinnern, das mir äußerste Disziplin und Höflichkeit abverlangt hat“, sagte er der „Bild“-Zeitung. Unterstützung bekam Gabriel auch von CSU-Chef Horst Seehofer. Der hat sich in einem Brief an ZDF-Intendant Thomas Bellut über den Sender beschwert. Er sitzt im Verwaltungsrat des Mainzer Senders. Seehofer sagte, die Art der Fragen Slomkas sei typisch für das Öffentlich-Rechtliche. Gabriel sollte nach seiner Meinung wie ein Schulbub vorgeführt werden.
Für manche mag Gabriel dünnhäutig gewirkt haben bei seinem Wortduell mit Slomka. Es ist aber auch ein menschlicher Moment nach harten Tagen. Dienstagmorgen hat er um 1.00 Uhr die CDU-Zentrale mit den Worten „Wir sind geschafft“ verlassen. Sieben Stunden später sitzen schon wieder die SPD-Verhandler zusammen. Am Mittwochmorgen, nach fast 22 Stunden Koalitionsfinale, geht Gabriel nicht ins Bett, sondern lässt sich um 6 Uhr die 280 Kilometer nach Goslar fahren und frühstückt dort mit seiner Frau, die Geburtstag hat. Dann fährt er zurück nach Berlin, wo um kurz vor zwölf der Koalitionsvertrag vorläufig unterzeichnet wird. Es folgen eine Vorstandssitzung, zwei Telefonschalten mit 300 SPD-Funktionären und abends noch die Fraktionssitzung. Donnerstag dann geht es nach Hessen, um auf einer Regionalkonferenz in Hofheim für eine Zustimmung der Basis zu werben.
32 SPD-Basiskonferenzen will die Führung bis 9. Dezember absolvieren, denn vom 6. bis 12. Dezember dürfen die Mitglieder per Briefwahl über den Vertrag abstimmen. In Hofheim listet Gabriel die Erfolge auf: 8,50 Euro Mindestlohn, Rente mit 63 Jahren bei 45 Versicherungsjahren, weniger Zeit- und Leiharbeit, Mietpreisbremse. Man habe fast alle Forderungen der Gewerkschaften „einschließlich der Kommafehler“ in den Vertrag übernommen, sagt er. Gerade am Mindestlohn entzündet sich die Debatte.
Wenn man das Kleingedruckte im Vertrag liest, soll er in vollem Umfang erst 2017 kommen. So sei er „ein leeres Versprechen“, kritisiert eine ehemalige Bankkauffrau und Betriebsrätin in Hofheim. Ein Genosse ereifert sich, er wolle „das Verbrechen nicht mittragen“, den Mindestlohn auch nur ein Jahr zu verzögern.
Je länger der Abend aber dauert, desto mehr hat Gabriel die Genossen auf seiner Seite. Die Befürworter gewinnen leicht die Oberhand. Gabriel sagt am Ende: „Ich bin sicher: Die SPD wird zustimmen.“ Seine Argumentation zu den schlechten Erfahrungen mit der letzten Großen Koalition: „Wir kommen dann in Schwierigkeiten, wenn wir selber Blödsinn machen.“ Dann folgt das Interview mit dem ZDF.
Bedenken gegen eine Verfassungsmäßigkeit der SPD-Mitgliederbefragung hatte vor allem der Leipziger Staatsrechts-Professor Christoph Degenhart geäußert. Er halte die Befragung der Mitglieder zwar nicht für direkt verfassungswidrig. „Ich habe aber verfassungsrechtliche Bedenken. Mir geht das Ganze zu sehr in Richtung eines imperativen Mandats – es widerspricht der Intention der Verfassung.“ Auch wenn die Befragung für die Abgeordneten nicht formell verbindlich ist, komme das Ergebnis einer Weisung nahe. Das könnte einen Konflikt zum Grundsatz des freien Mandats nach Artikel 38 des Grundgesetzes bedeuten.
Andere Professoren widersprechen. Johannes Dietlein von der Universität Düsseldorf betont, es gehe nicht um eine rechtliche Bindung, „sondern um eine politische Entscheidung, das Votum der Mitglieder zu berücksichtigen“. Der Düsseldorfer Parteienrechtsexperte Martin Morlok hält die Debatte gar für „absurd“. „Der Abgeordnete ist frei. Er ist auch frei, von wem er sich beeinflussen lassen will.“ Es entspreche der Logik der Parteiendemokratie, dass die Abgeordneten von den Parteien aufgestellt werden und sich an ihrer Partei orientieren. „Es muss eine enge Verbindung zwischen Partei und Abgeordnetem geben, sonst bräuchte man keine Parteien zu wählen.“ Üblicherweise billige ein Parteitag eine Koalition. „Warum soll es unzulässig sein, wenn man stattdessen direkt die Basis fragt?“