Der prominenteste FDP-Mann aus Niedersachsen führt die Liberalen mit Rekordergebnis in den Landtag. Wird die Parteirevolte nun abgeblasen?
Berlin. Der erste Weg von Philipp Rösler führte am Sonntag in die Kirche. Zum katholischen Gottesdienst. Der zweite ins Wahllokal, eine Grundschule in seinem Wohnort Isernhagen bei Hannover, zur Stimmabgabe für die FDP. Auch den Wahlabend hätte Rösler gern in der niedersächsischen Landeshauptstadt verbracht, mit den Parteifreunden in der Bar Celona.
Das ging aber nicht, denn er musste nachmittags nach Berlin fahren, ins Thomas-Dehler-Haus. Denn in dem schicken Backsteingebäude, der Zentrale der Bundespartei, hatte sich die gesamte Führungsspitze der Liberalen versammelt. Offiziell, um den Wiedereinzug in Niedersachsens Landtag zu feiern. Inoffiziell, um über Röslers Zukunft zu beraten.
Der Vorsitzende hatte angekündigt, Präsidium und Vorstand in diesen Beratungen einen Vorschlag für die personelle Aufstellung der FDP für die Bundestagswahl im September zu machen. Dabei schwebt ihm ein Team vor, in dem er seine Aufgaben als Parteichef, Wirtschaftsminister und Vizekanzler behält. Andere könnten mit eher symbolischen Titeln aufgewertet werden. So könnte der Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle zum Spitzenkandidaten ausgerufen werden.
Das Wahlergebnis in Niedersachsen ist dabei ein gutes Argument für Röslers Vorschlag. Denn gemessen an der Kommunalwahl 2011, bei der die FDP nur 3,4 Prozent holte, hat sich die Partei deutlich verbessert. Sie hat sogar das hervorragende Ergebnis bei der Landtagswahl 2008 (8,2 Prozent) übertroffen - trotz aller Störfeuer aus der Bundespartei während des Wahlkampfes. Die Landeschefs Wolfgang Kubicki und Christian Lindner, die zuletzt in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen jeweils über acht Prozent geholt hatten, waren dafür als Heilsbringer gefeiert worden. Nun hat offenbar auch Rösler geliefert.
Denn bei allem Respekt vor dem Spitzenkandidaten Stefan Birkner: Rösler ist der prominenteste Freidemokrat in dem Bundesland, er hat allein in den vergangenen zwei Wochen über50 Wahlkampfauftritte absolviert und damit gezeigt: Die FDP kann mit ihm an der Spitze gute Ergebnisse holen. Warum also sollte er von irgendeinem Posten zurücktreten?
Weil die Liberalen in den Umfragen auf Bundesebene dauerhaft unter der Fünf-Prozent-Marke liegen, sagen seine Gegner. So mancher Kollege des FDP-Vorsitzenden hatte deshalb bereits im Vorfeld deutlich gemacht, dass das Wahlergebnis aus Niedersachsen keine Rolle spiele. Das Präsidiumsmitglied Dirk Niebel zum Beispiel will sich nicht mit Debatten über Prozentzahlen aufhalten. Er hält eine personelle Neuausrichtung der Liberalen für zwingend notwendig, um bei der Bundestagswahl erfolgreich sein zu können. Hermann Otto Solms und Wolfgang Gerhardt sehen das ähnlich. Für sie ist klar: Rösler muss abgelöst werden, als Vorsitzender, Fachminister und Vizekanzler.
Das Vorstandsmitglied Wolfgang Kubicki dagegen stärkte dem Vorsitzenden noch am Sonnabend den Rücken. Er gehe davon aus, dass Rösler das Wochenende politisch überleben werde, sagte Kubicki. Nun ist "politisch überleben" ein recht unbestimmtes Bekenntnis. Und es ist wohl auch eher der Tatsache geschuldet, dass sich Kubicki in die bisherigen Gespräche über das künftige Team nicht ausreichend einbezogen fühlte. Fraktionschef Brüderle hatte sich am Freitag nämlich bereits öffentlich positioniert: Gemeinsam mit Lindner, dem Landeschef aus Nordrhein-Westfalen, hatte er für einen vorgezogenen Parteitag plädiert. Die Behauptung Brüderles, ihm gehe es dabei nur um ein schnelles Ende der Personaldebatte, halten viele in der Partei für vorgeschoben. Kubicki und andere Liberale verstanden das eher so, dass dieses Duo die Parteispitze übernehmen will. Dagegen hätte Kubicki wohl nichts, nur will er auch wissen, welcher Posten ihm dabei zugedacht ist.
Doch Kubicki hatte im Hamburger Abendblatt Wochen vor der Wahl gewarnt, dass die Rösler-Kritiker sich noch umschauen werden. So beendete er am Wahlabend die Diskussion um einen vorgezogenen Bundesparteitag im Handstreich. "Ein neuer Bundesvorstand wird wie geplant im Mai gewählt", sagte Kubicki. Und über Rösler meinte er lapidar: "Wenn er wieder antritt, wovon ich ausgehe, werde ich ihn unterstützen", so Kubicki im ZDF. "Ich wünsche mir, dass die Debatte um meinen Parteivorsitzenden etwas mehr an Ruhe gewinnt." Die FDP habe zuletzt bei Wahlen in drei Ländern gezeigt, dass sie gute Ergebnisse erzielen kann. Das sei auch ein gutes Signal für die Bundestagswahl im Herbst.
Für FDP-Generalsekretär Patrick Döring, einen Rösler-Vertrauten, war das Rekordergebnis in Niedersachsen natürlich ein "großer Vertrauensbeweis" für Parteichef Rösler. "Ein Erfolg in Niedersachsen ist auch ein Erfolg für Philipp Rösler." Nach dem Rekordergebnis bei der Bundestagswahl 2009 (14,6 Prozent) hatte die FDP zumeist erheblich an Stimmen eingebüßt. In Umfragen lag sie bundesweit zwischenzeitlich zwischen zwei und fünf Prozent. Seit März 2011 verließen die Liberalen zwangsweise die Landtage von Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und im Saarland. In Baden-Württemberg büßte die FDP die Regierungsbeteiligung ein.
Die persönlichen Umfragewerte für den Parteivorsitzenden Rösler lagen zumeist am Ende der Skala für alle prominenten Politiker Deutschlands - noch hinter Außenminister Guido Westerwelle. Nun ist das Ergebnis in Niedersachsen sogar historisch: 1947 und 1963 hatte die FDP mit 8,8 Prozent in dem Bundesland ihr bislang bestes Ergebnis erreicht.
Möglicherweise wird nun der Aufstand gegen Rösler ganz abgeblasen. Dafür spricht die unerwartete Rückendeckung, die der Parteichef am Freitag von Hans-Dietrich Genscher erhielt. Der Ehrenvorsitzende, eigentlich kein Anhänger Röslers, hatte sich beim Wahlkampf in der Fußgängerzone von Hannover nicht nur überzeugt gezeigt, dass die FDP den Wiedereinzug in den Landtag schaffen würde. Er rechne auch damit, dass Rösler dadurch neuen Rückenwind erhalte: "Niedersachsen ist auch Rösler, ein Wahlerfolg in Niedersachsen für die FDP ist vor allem ein Erfolg für Rösler", sagte Genscher.
Überhaupt teile er die Kritik an dem Parteichef nicht: "Er ist ein guter Mann." Der Altliberale hatte schon immer ein gutes Gespür für kurzfristige Stimmungswechsel.
Unbelastet von den Ränkespielen in der Bundespartei konnte die FDP in Niedersachsen ihren Wiedereinzug in den Landtag feiern. Der 39-jährige Stefan Birkner, der erst seit Januar 2012 der schwarz-gelben Landesregierung als Umweltminister angehört, hat sich darauf beschränkt, die Erfolge in der Regierungsarbeit darzustellen.
Dabei profitierte der promovierte Jurist von der guten Zusammenarbeit mit Ministerpräsident David McAllister (CDU), der die Zweitstimmenkampagne der FDP zwar nicht offen, aber doch unterschwellig goutierte und damit beförderte. Die von Niebel oder Brüderle entfesselte Personaldebatte über Rösler empfand Birkner als parteischädigend und suchte sie im Zaum zu halten. Gut möglich aber, dass er die Störfeuer an diesem Montag im Präsidium und im Bundesvorstand der FDP deutlich zur Sprache bringt.
Das wäre ganz im Sinne Röslers, der ansonsten vor allem auf einen geordneten Verlauf der Debatte in den Gremien hofft - so wie es auf einem Schild in seinem Wahllokal zu lesen war. Dort hatten die Isernhagener Grundschüler Regeln für Gespräche festgelegt. Die lauten: "1. Vor dem Sprechen melden. 2. Wir hören zu. 3. Wir rufen nicht dazwischen. 4. Wir machen keinen Quatsch."