Die Politik will einen zweiten Anlauf im Verbotsverfahren wagen und glaubt sich gut gerüstet. Doch Hürden sind hoch, und Skepsis ist groß.
Berlin. Der Zug in Richtung eines erneuten Verbotsverfahrens gegen die NPD ist in voller Fahrt. Und immer mehr springen auf. Zuletzt einer der bisher größten Skeptiker: Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) ließ sich von einem Rechtsgutachten überzeugen, das für ein Verbotsverfahren "hinreichende Erfolgsaussichten" sieht. Damit gibt es kaum noch ein Bundesland, das einem Gang vor das Bundesverfassungsgericht nicht zustimmt. Am Mittwoch beraten zunächst die Innenminister von Bund und Ländern über eine Klage in Karlsruhe. Donnerstag wollen die Ministerpräsidenten darüber entscheiden.
Das Risiko des eingeschlagenen Weges ist jedoch groß: Scheitert der Verbotsantrag, könnte sich die derzeit im Niedergang befindliche rechtsextreme Partei wieder aufrappeln. Doch vor allem sind die Zweifel an einem erfolgreichen Verbotsverfahren noch immer nicht ausgeräumt. Die Hürden für ein Verbot sind hoch: Zunächst muss die Verfassungsfeindlichkeit der NPD nachgewiesen werden. Grundlage dafür bietet eine Materialsammlung der Verfassungsschutzämter. Darin werden auf mehr als 1000 Seiten Abscheulichkeiten von Parteimitgliedern beschrieben, die den Werten des Grundgesetzes widersprechen. Heikel wird es jedoch bei der Frage, ob die Partei gegen den Rechtsstaat mit einer "aggressivkämpferischen" Haltung angeht.
Der Vizepräsident des Sozialgerichts Karlsruhe, Franz Wilhelm Dollinger, kommt in seiner Prüfung für das Land Niedersachsen zwar zu dem Schluss, dass die NPD diese "aggressiv-kämpferische" Haltung gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung "nach Aktenlage hinreichend wahrscheinlich" einnehme. Allerdings sieht der Richter bei NPD-Mitgliedern unterschiedliche Ausprägungen der Gewaltbejahung. Letztendlich werde erst die Beweiserhebung der mündlichen Verhandlung diese Frage klären.
Der größte Stolperstein könnte jedoch der Einsatz von V-Leuten sein. Daran scheiterte bereits das erste Verbotsverfahren 2003. Damals kam heraus, dass die Führungsebene der NPD zum Teil aus V-Leuten bestand und die Nähe zum Staat damit zu groß war. Die heutigen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (Hessen, CDU) und Annegret Kramp-Karrenbauer (Saarland, CDU) standen damals den Innenressorts vor. Das macht sie skeptisch. Doch die heutigen Innenminister glauben, aus den Fehlern gelernt zu haben: Im Frühjahr schalteten sie V-Leute in der Partei ab. Allerdings bleibt unklar, welchen Einfluss diese auf die Informationen in der Materialsammlung hatten.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) forderte deshalb bis zum 15. November eine Zusicherung der Landesinnenminister, dass das neue Material sauber ist. Manche Ressortchefs wollten diese Erklärung jedoch nicht abgeben. Sie verweisen auf die Zuständigkeit der Sicherheitsbehörden. Doch sie sind auch unsicher, ob nicht doch V-Leute am Entstehen von Parteimaterial beteiligt waren.
Gefährlich für einen Verbotsantrag könnte zudem sein, dass die Verfassungswidrigkeit durch mindestens sechs der acht Richter festgestellt werden muss. Schließlich könnte ein Verbot durch das Bundesverfassungsgericht noch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gekippt werden. Der stellt sich bislang nur dann gegen Parteien, wenn diese Terrorismus unterstützen oder eine Machtoption in ihrem Land hatten. Beides trifft auf die NPD nicht zu.
Den Weg nach Karlsruhe können nun Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung einschlagen. Die Regierung um Friedrich und Justizminister Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zeigt sich noch skeptisch. In einem vertraulichen Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Prüfung der Erfolgsaussichten haben Friedrich und Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) das Risiko zusammengefasst: Sie schrieben an den Vorsitzenden der Innenministerkonferenz, Mecklenburg-Vorpommerns Ressortchef Lorenz Caffier (CDU), dass in Abwägung der "prozessualen Risiken" der Ausgang des Verfahrens als "offen" genannt werden müsse. "Ob im Hinblick auf diesen Befund ein Antrag" gestellt werde, "ist daher auch eine Frage der politischen Abwägung".
Der Bundesrat scheint hingegen entschlossen. Das Saarland hat bereits signalisiert, dass es umschwenken wird und den Versuch unterstützen will. Damit bleibt nur Hessen als Skeptiker. Größter Befürworter ist weiterhin Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Die Stimmung im Bundestag ist verhalten - auch deshalb, weil man bald in Zugzwang geraten könnte. Volker Beck, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen, hat "große Zweifel, ob der nach rechts eher dilettantisch agierende Verfassungsschutz in der Lage ist, eine von V-Leuten freie und den hohen Hürden des EGMR und Verfassungsgerichts genügende Beweissammlung zu erstellen". Das sei keine "Wünsch-dir-was-Veranstaltung". Kühler Kopf, klare Beweislage und besonnene juristische Prüfung statt leichtfertige, ausschließlich politisch motivierte Entscheidungen" seien gefragt.
Ähnlich argumentiert die Parlamentsvizepräsidentin Petra Pau (Linke): "Ein erneutes NPD-Verbotsverfahren muss durch belastbare Fakten getragen werden und nicht nur vom politischen Willen der Kläger." Stefan Ruppert, rechtspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, ist nach wie vor ein Gegner des Verbotsverfahrens. Ihm sei unklar, ob die Hürden genommen werden können. Zugriff auf die Materialsammlung hätten die Abgeordneten nicht.
Am Ende bleibt also die Frage, was ein Verbot überhaupt bewirken würde. Derzeit befindet sich eine neue Plattform im Aufbau. Etliche NPD-Mitglieder sind zu der im Sommer gegründeten Partei Die Rechte abgewandert. Laut Verfassungsschützern könnte die neue Rechtsaußenpartei im Falle eines Verbots der NPD mit weiterem Zulauf rechnen.