Statistik des niedersächsischen Innenministeriums verzeichnet Anstieg antisemitischer Straftaten in der Region.
Buchholz/Hannover. Eine steigende Zahl antisemitischer Straftaten gibt jüdischen Mitbürgern zunehmend Anlass, sich in der Region nicht willkommen zu fühlen. Die Dienststelle für Staatsschutz in der Polizeiinspektion Harburg registrierte zwischen Januar und Juni sechs der 78 explizit antijüdischen Delikte in Niedersachsen.
Der Landkreis Harburg belegt damit im Vergleich von 28 niedersächsischen Regionen den unrühmlichen dritten Rang. Im Zuständigkeitsbereich der in Buchholz ansässigen Polizeiinspektion hat sich damit die Fallzahl in diesem Bereich gegenüber dem ersten Halbjahr 2011, als hier zwei von landesweit 66 gegen Juden gerichtete Straftaten registriert wurden, verdreifacht.
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Die Fallzahlen für das erste Halbjahr gehen aus einer aktuellen Antwort des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann (CDU) auf eine Anfrage der Parlamentarierin Pia-Beate Zimmermann hervor. Die 55-Jährige aus Wolfsburg sitzt für die Partei Die Linke im Landtag und ist Mitglied im Ausschuss zur Kontrolle besonderer polizeilicher Datenerhebungen. Die innenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion betreut unter anderem die Wahlkreise Seevetal und Buchholz sowie Buxtehude und Stade.
Im Landkreis Harburg registrierte die Polizei seit Jahresbeginn 32 rechtsextremistische Straftaten. Mehr Fälle gab es nur in den Bereichen Nienburg/Schaumburg, Braunschweig, Osnabrück und im Großbereich Hannover. Bei der Gesamtzahl aller als rechtsextremistisch eingestuften Gewaltdelikte liegen die Städte und Gemeinden zwischen der Hamburger Stadtgrenze im Norden und dem Naturschutzgebiet Lüneburger Heide im Süden mit zwei Fällen niedersachsenweit im Mittelfeld.
Nur bei den als explizit fremdenfeindlich verzeichneten Straftaten liegt der Landkreis Harburg unter dem Landesdurchschnitt. Opfer und Geschädigte bei diesen Taten sind nicht nur Juden, sondern auch politische Gegner der Rechtsextremisten, Ausländer und Muslime sowie Obdachlose, Behinderte und Homosexuelle.
Auf bundesweit einheitliche Kriterien, wann eine Straftat als politisch motiviert gilt, einigten sich die Innenminister und -senatoren der Länder vor elf Jahren. Einen Teilbereich dieser Polit-Kriminalitätsstatistik bilden diejenigen Delikte, die Rechtsextremisten zugerechnet werden, weil sie auf nationalistische beziehungsweise rassistische Motive der Täter hinweisen oder gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung beziehungsweise die Völkerverständigung gerichtet sind. Im ersten Halbjahr 2012 erfasste die Polizei landesweit 751 rechtsextremistisch motivierte Straftaten. In rund zwei Drittel aller Fälle verwendeten die Tatverdächtigen unerlaubte Propaganda in der Öffentlichkeit oder trugen Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, wie zum Beispiel das Hakenkreuz. Daneben verzeichnet die Statistik 82 Anzeigen wegen Volksverhetzung und 61 wegen Sachbeschädigung. In 53 Fällen schlug der Hass auf Fremde in Gewalt um. In der Regel blieb es bei Körperverletzungen, von denen in drei Fällen auch Vollstreckungsbeamte betroffen waren.
+++ Tostedt zeigt Flagge gegen rechte Szene +++
Im vorigen Jahr registrierten die Kripo-Ermittler sogar eine versuchte Tötung. Unter den 74 Opfer von Gewaltdelikten mit rechtsextremistischem Hintergrund im ersten Halbjahr 2012 waren 64 Männer. Auch unter den 94 ermittelten Tatverdächtigen waren nur sechs Frauen.
Welche konkreten Fälle sich hinter den nach Hannover gemeldeten Zahlen für die Region im Einzelnen verbergen, wollte der Sprecher der Polizeiinspektion Harburg, Jan Krüger, auf Anfrage des Hamburger Abendblatts nicht sagen. Der Niedersächsische Verfassungsschutz listet in seinem aktuellen Bericht aber die Gruppen Nationaler Widerstand Tostedt, AN Tostedt und Gladiator Germania als Organisationen der regionalen Neonazis auf. "Kristallisationsfigur der Szene ist der überregional vernetzte Neonazi Stefan Silar, dessen Geschäft 'Streetwear Tostedt' eine Anlaufstelle für die örtlichen rechtsextremistischen Aktivisten bildet", heißt es in dem Bericht.
"Der Landkreis Harburg gehört nach wie vor zu den Problemregionen in Niedersachsen", sagt Linken-Abgeordnete Pia-Beate Zimmermann. Der Verfassungsschutz berichtet zwar, dass sich die Freie Kameradschaft Buchholz 2011 aufgelöst habe. "Es besteht aber weiterhin eine aktive und gut vernetzte Neonazi-Szene", so Zimmermann. "Das belegen die seit Jahren auf hohem Niveau stabilen Zahlen der Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund." Sie fordert mehr Aufklärungsarbeit insbesondere für junge Menschen.