Die Beiträge werden gesenkt, aber die Arbeitsministerin Ursula von der Leyen muss ihr Konzept gegen Altersarmut wohl begraben.
Hamburg/Berlin. Die Rentenkasse läuft vor lauter Reserven über, der Beitrag wird von 19,6 auf 18,9 Prozent gesenkt, Arbeitnehmer und Unternehmen können entlastet werden - und doch steht Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vor den schwierigsten Tagen ihrer Amtszeit. Das Modell einer Zuschussrente für Bedürftige, das sie entwickelt hat, steht vor dem Aus. Sie hatte ihr Amt an ihre Lösung im Streit um drohende Altersarmut geknüpft: "Sie können mich an den Worten messen. Bis Ende Oktober müssen, das erwarte ich, die positiven Entscheidungen zur Zuschussrente getroffen sein. Dafür stehe ich auch, dafür stehe ich gerade. Das ist auch mein Ehrgeiz als Ministerin."
Das hatte von der Leyen im August gesagt. Jetzt soll sie nach verschiedenen Berichten ihre Idee aufgegeben haben. Auch wenn ihr Ministerium dementierte - die Union soll sich darüber einig sein, dass die Rente nach Mindesteinkommen mit neuen Regeln wieder belebt wird. Das heißt, dass die Rentenansprüche aufgewertet werden, wenn man 30, 35 oder mehr Versicherungsjahre hat, aber zwischenzeitlich arbeitslos war oder als Geringverdiener arbeitete. Das genaue Modell wird derzeit noch diskutiert.
Fest steht nur: Die Rentenbeiträge sinken. Wie der Bundestag gestern mit den Stimmen von Union und FDP beschloss, zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber von 2013 an zusammen 18,9 statt heute 19,6 Prozent vom Gehalt in die Rentenversicherung. Durchschnittsverdiener nach den Maßstäben der Rentenversicherung (etwa 32.000 Euro im Jahr) haben künftig monatlich etwa 9,50 Euro mehr im Portemonnaie.
So gering waren die Beiträge zuletzt 1995 (18,6 Prozent). Der Höchststand war von 1997 bis 1999: 20,3 Prozent. Sinken die Reserven auf 0,2 Monatsausgaben der Rentenversicherung, muss der Beitrag wieder angehoben werden. Wann das geschieht, ist umstritten. Die Vermutung geht dahin, dass es bei gleichbleibender Konjunktur in sechs, sieben Jahren so weit ist.
Für den Deutschen Gewerkschaftsbund sagte Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach, die Beitragssenkung sei eine "schwere Hypothek für die jungen Generationen". Die Bundesregierung werde damit nicht dem Anspruch gerecht, Altersarmut zu bekämpfen. "Die Beitragssenkung von heute wird so zur Rentenkürzung von morgen."
Der SPD-Arbeitsmarktexperte Anton Schaaf sagte, die Beitragssenkung bedeute für Niedrigverdiener nur zwei, drei oder vier Euro mehr im Monat. Der Grünen-Abgeordnete Wolfgang Strengmann-Kuhn sagte, notwendig seien langfristig konstante Beitragssätze und keine kurzfristige Senkung. Der CDU-Rentenexperte Peter Weiß sagte, das geltende Recht lasse zur Beitragssenkung keine andere Entscheidung zu. Er sagte, dass gemäß der Rentenformel mit der Senkung des Beitrags auch ein Anstieg der Renten verbunden sei.
Um die Rentenbeiträge wird seit Jahrzehnten heftig gerungen - ähnlich wie um die Rentenerhöhungen. Die Abgaben werden gleichberechtigt von Arbeitnehmern und Unternehmen bezahlt. Lohnerhöhungen sind also auch immer in der Rentenkasse spürbar, die sich schneller füllt. Umgekehrt profitieren auch die Rentner von niedrigen Beiträgen. Denn dadurch steigen die Löhne. Und mit etwas Verzögerung können dann auch die Renten erhöht werden.
Die Arbeitgeber begrüßen die Beitragssenkung. Seit Jahren beklagen ihre Verbände, dass in Deutschland die Lohnzusatzkosten im internationalen Vergleich zu hoch sind. Derzeit liegen sie bei 40,05 Prozent vom Monatsbruttoverdienst (ohne Unfallversicherung). Davon gehen 19,6 Prozent in die Renten-, 15,5 Prozent in die Kranken-, 3,0 Prozent in die Arbeitslosen- und 1,95 Prozent in die Pflegeversicherung.
Der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und der Konjunktur haben die hohen Beiträge aber zuletzt offenbar nicht geschadet. Dennoch gibt es Grenzen, die politisch gezogen wurden, um die Beiträge nicht ausufern zu lassen. Schon Norbert Blüm (CDU) ließ als Arbeitsminister eine Beitragsobergrenze von 24 Prozent für die Rente festschreiben. Unter Walter Riester (SPD) wurde ein Limit von 22 Prozent bis zum Jahr 2030 beschlossen.
Der Grund lag darin, dass immer weniger Arbeitnehmer in Zukunft immer mehr Rentner finanzieren müssen. Auch die Rente mit 67 ist letztlich dieser demografischen Entwicklung geschuldet. Mit dieser Grenze wurde auch das stabile Rentenniveau aufgegeben. Nun dürfen die Renten von gut 50 auf 43 Prozent der Durchschnittslöhne sinken. "Dadurch wird die Rentenversicherung perspektivisch zu einer Basisversorgung, die mit staatlich subventionierten privaten (Riester-)Renten und/oder Betriebsrenten ergänzt werden muss, wenn man im Alter in etwa den Lebensstandard aufrechterhalten will", schrieb Renten-Papst Bert Rürup im Abendblatt. Allerdings sollen die möglichen Ausfälle bei der gesetzlichen Rente durch private Vorsorge kompensiert werden. Deshalb werden Riester- und Betriebsrenten steuerlich gefördert.
Und tatsächlich zeigen die Statistiken: Bereits in den vergangenen Jahren ist der Anteil der privaten Renten am Gesamteinkommen der Rentnerhaushalte angestiegen. Rürup rechnete vor, dass im Jahr 2000 bei einem durchschnittlichen Zwei-Personen-Rentnerhaushalt "etwa 85 Prozent des Alterseinkommens auf Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und 15 Prozent auf die private Vorsorge oder Betriebsrenten" entfielen. Dieses Verhältnis werde sich in 30 Jahren auf etwa 60 zu 40 Prozent verschieben.
Der frühere Wirtschaftsweise warnte gleichzeitig: "Heute benötigt ein Durchschnittsverdiener etwa 27 Beitragsjahre, um einen Anspruch aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe der Grundsicherung im Alter zu erwerben: derzeit etwa 680 Euro im Monat. Auf der Basis des geltenden Rechts werden im Jahr 2030 dazu mehr als 32 Jahre erforderlich sein."
Das war der Auslöser für die Konzepte zu einer neuen "Versicherung" gegen Altersarmut. Die Zuschussrente von Arbeitsministerin von der Leyen lehnten FDP, Arbeitgeber und Opposition ab. Die Belastungen für den Haushalt oder die Rentenkasse seien zu groß, das Prinzip ungerecht - so die gängige Kritik. Was aus dem Vorschlag der Ministerin nun in ein neues Konzept übernommen wird, ist fraglich.