Die Schleuse ist veraltet. Geld aus Berlin soll für Alternative zum Schiffshebewerk Scharnebeck sorgen und auch dem Hamburger Hafen helfen.
Berlin. Wer mit dem Schiff aus Hamburg kommt und die Elbe kurz hinter Geesthacht Richtung Süden verlässt, stößt nach gut acht Kilometern auf ein gigantisches Hindernis aus Stahl und Beton. Das Schiffshebewerk bei Scharnebeck ist so etwas wie ein riesiger Fahrstuhl, in den die Schiffe hineinfahren, 38 Meter hoch- oder heruntergehievt werden und dann wieder herausfahren. Eine Viertelstunde dauert das Procedere, mit dem die Schiffe den Höhenunterschied auf dem Elbe-Seitenkanal überwinden.
500 000 Menschen besichtigen den Schiffsfahrstuhl jedes Jahr. Doch was für sie eine Attraktion ist, kostet die Binnenschiffer immer mehr Geld und Nerven. Von den beiden Hebekammern war die östliche zuletzt fast zwei Jahre lang wegen einer Grundüberholung gesperrt - und auch der Westtrog des 1974 erbauten Hebewerks fiel immer wieder aus. Die Folge: lange Staus. Im Frühjahr mussten rund 40 Schiffe tagelang ausharren, bis sie durch das Hebewerk weiterfahren konnten. "Die langen Wartezeiten hat den Binnenschiffern kein Mensch bezahlt", klagt Wolfgang Duffner, Geschäftsführer der Niedersächsischen Verfrachtungsgesellschaft in Hannover. Seine Befürchtung: Wenn ab 2014 auch die westliche Hebekammer grundüberholt wird, blühen den Binnenschiffern ähnliche Szenen. "Wir brauchen deshalb eine ganz neue Schleuse", ist er überzeugt.
Mit dem Wunsch nach einem Neubau ist Duffner nicht allein. Denn auch wenn dem Schiffshebewerk Scharnebeck im Allgemeinen nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie etwa einem Hauptstadtflughafen oder der Elbvertiefung zukommt, geht es um weit mehr als nur eine lästige Baustelle irgendwo in der niedersächsischen Provinz. Es geht vor allem auch um die Leistungsfähigkeit des Hamburger Hafens, von wo aus viele Güter über den Elbe-Seitenkanal abtransportiert werden - und damit um die Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik als Exportnation.
"Eine neue Schleuse wäre für den Hamburger Hafen wichtig, aber auch für ganz Norddeutschland. Wenn es darum geht, Güter vom Hafen hin- und wieder wegzutransportieren, sind Straße und Schiene bereits mehr als ausgelastet. Wenn der Verkehr nicht völlig kollabieren soll, müssen wir auf die Wasserstraßen setzen", sagte SPD-Haushaltsexperte Johannes Kahrs dem Abendblatt.
Knackpunkt sind dabei nicht nur die hohen Ausfallzeiten der alten Schleuse, sondern auch deren Größe. "Die Tröge sind mit ihren 100 Metern für moderne Binnenschiffe zu kurz", so Duffner. Diese seien heute bis zu 135 Meter lang. Sogenannte Schubverbände, bei denen mehrere Schiffe hintereinander gekoppelt sind, sogar bis zu 185 Meter. "Die moderne Binnenschifffahrt ist vom Hinterlandverkehr des Hamburger Hafens abgeschnitten", lautet seine Bilanz. Fatal ist das auch für den Hamburger Senat: Erst im September hatte Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) betont, der Binnenschiffsanteil sei vor allem im Containerbereich stark ausbaufähig. Ziel des Senats sei, den Anteil von zwei auf fünf Prozent zu steigern. Man sei "dringend auf eine zuverlässige Schiffbarkeit entlang der Mittel- und Oberelbe und des Elbe-Seitenkanals angewiesen".
In diesen Tagen schauen deshalb wieder alle nach Berlin. Pläne für ein neues, 200 Meter langes und 63 Meter hohes Bauwerk in Scharnebeck existieren bereits. Kostenpunkt: 240 Millionen Euro. Im Frühjahr hatte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) zwar klargemacht, dass das Geld dafür fehlt. Jetzt aber gibt es begründete Hoffnung, dass sich das noch ändern könnte. Wie schon 2011 fordert Ramsauer auch in diesem Jahr zusätzliche Gelder aus dem Bundesetat. "Wir haben eine dramatische Unterfinanzierung bei allen Verkehrsträgern", sagte er dem "Weser-Kurier". In die anstehenden Haushaltsverhandlungen wolle er mit der Forderung nach einer zusätzlichen Milliarde Euro gehen.
"Wir hoffen auch in diesem Jahr auf eine Extra-Milliarde für die Infrastruktur in Deutschland", sagt auch Kahrs. Bis zum 8. November, wenn die wichtige Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses des Bundestages stattfindet, wird nun in Berlin geworben und verhandelt: Wenn die Milliarde kommt - wer bekommt was und wie viel?
Dass Scharnebeck trotz der ersten Absage doch bedacht werden könnte, liegt dabei möglicherweise auch an der Landtagswahl in Niedersachsen am 20. Januar 2013. "David McAllister dürfte im Kanzleramt gerade den einen oder anderen Wunsch freihaben. Wir bauen deshalb darauf, dass die Landtagswahl in Niedersachen einen positiven Effekt auf die Entscheidung haben könnte", bestätigt Kahrs mit Blick auf den derzeitigen CDU-Ministerpräsidenten des Landes.
Weiterer Druck kommt von Autobauer Volkswagen aus Wolfsburg, an dem das Land Niedersachsen einen 20-Prozent-Anteil hält. Man habe "an der Nutzung des Elbe-Seitenkanals und der damit verbundenen vollen Funktion des Schiffshebewerkes Scharnebeck großes Interesse", so Hans-Christian Maaß, Leiter der Berliner VW-Repräsentanz. "Es ist unsere Absicht, verstärkt den Hinterlandverkehr des Hamburger Hafens mit dem Binnenschiff zu nutzen und den Containertransport nach Wolfsburg über den Elbe-Seitenkanal deutlich auszubauen." Ein Ausbau des Schiffshebewerks Scharnebeck sei "sehr sinnvoll".