Am 9. November 1989 fiel die Mauer. Dieses Ereignis bereitete der Wiedervereinigung Deutschlands den Weg. Wir feiern diese deutsche Einheit, für die...

Am 9. November 1989 fiel die Mauer. Dieses Ereignis bereitete der Wiedervereinigung Deutschlands den Weg. Wir feiern diese deutsche Einheit, für die Christdemokraten sich in der langen Zeit des geteilten Deutschlands stets eingesetzt haben.

Als andere sie längst aufgegeben hatten, waren wir Christdemokraten davon überzeugt, dass der Wille nach Demokratie und Freiheit der Bürgerinnen und Bürger in der damaligen DDR stärker sein werde als die Kraft derer, die glaubten, sie könnten das marode System des Sozialismus aufrechterhalten.

Die Deutsche Einheit konnte wiederhergestellt werden durch eine friedliche Revolution, die angetrieben war von einer starken Freiheitsbewegung. Vor allem Christen gingen mit ihren Kerzen auf die Straßen und demonstrierten friedlich für die Freiheit. Mit allem hatten die DDR-Funktionäre gerechnet, nicht aber mit der Kraft der Kerzen und der damit verbundenen Mobilisierung von Millionen Menschen. Diese mutigen Bürgerinnen und Bürger wussten, was sie wollten und sie riskierten viel - nach den blutigen Ereignissen auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking. Wir alle haben die überwältigenden Bilder von friedlich demonstrierenden Menschen noch im Gedächtnis. Sie sind Teil des kulturellen Gedächtnisses unseres Volkes.

Die CDU ist die Partei der deutschen Einheit. Die Wiedervereinigung ist eine historische Leistung, die geprägt war von der Tatkraft und dem internationalen Ansehen des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. In den 20 Jahren seither hat Angela Merkel die Politik in Deutschland maßgeblich mitgeprägt.

Nun erklärt ein früherer Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Werner Münch, auf die Frage: "War es ein Fehler, dass eine Frau Vorsitzende der westlich-karolingischen CDU geworden ist, die eine DDR-Sozialisation hinter sich hat?" wie folgt: "Ich will diplomatisch antworten: Meiner Meinung nach wäre es besser gewesen, die CDU hätte damit noch ein paar Jahre gewartet. Demokratie in politischen Führungsämtern - die lernt man so schnell nicht. Lernprozesse sind schon die Grundlage für politische Führungsfunktionen."

Das ist ein Schlag ins Gesicht von 16 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Ländern!

Hat Herr Münch vergessen, welche ungewöhnlichen Veränderungen die Menschen in den neuen Ländern in ihrem persönlichen Leben zu bewältigen hatten? Hat er vergessen, in welche Gefahr sich all jene brachten, die für diese deutsche Einheit in der damaligen DDR eingetreten sind? Ist ihm verborgen geblieben, mit welcher Gradlinigkeit und Überzeugungskraft Angela Merkel ihren politischen Weg in den 20 Jahren seither gegangen ist?

Warum wird auch nach 20 Jahren deutscher Einheit, für die die CDU immer stand, der Eindruck erweckt, die Bürgerinnen und Bürger in der DDR seien weniger demokratiefähig als diejenigen in den alten Ländern?

Die CDU war und ist nie die Partei des Westens und der Katholiken gewesen. Die Gleichsetzung von gutem CDU-Mitglied mit Westen und praktizierendem Katholizismus war immer falsch und wird durch Wiederholung nicht richtig. Die CDU ist wie keine andere Partei die Volkspartei, die sich an Menschen in allen Gruppen der Gesellschaft und in allen Teilen Deutschlands wendet. Und das mit großem Erfolg. Keine Partei hat die Prozesse zur inneren Einheit Deutschlands auf allen politischen Ebenen so stark geprägt wie die CDU.

Die Wahl von Angela Merkel zur Parteivorsitzenden und Bundeskanzlerin ist das konsequente Einstehen für diese deutsche Einheit und das Ergebnis der Standfestigkeit, Führungsstärke und Glaubwürdigkeit von Angela Merkel. Sie hat die CDU zu vielen Wahlerfolgen geführt. Sie hat den Modernisierungsprozess in der CDU befördert, der Voraussetzung für künftige Wahlerfolge ist.

Glauben wir immer noch, praktizierende Katholiken aus dem Rheinland oder aus dem Süden Deutschlands seien gegenüber nord- und ostdeutschen Protestanten die besseren Christdemokraten?

Das hervorstechende Merkmal von Christdemokraten ist nicht der Konservatismus. Unsere Wurzeln liegen in der christlich-sozialen, der liberalen und der konservativen Tradition. Und auch christlich-sozial ist nicht gleichzusetzen mit "Katholik" aus dem Westen. Unsere Suche nach mehr Stammwählern sollte uns nicht blind machen für neues Bürgertum und jene Liberalität, die die Vielfalt in einem demokratischen Gemeinwesen achtet. Davon ist übrigens auch der Geist unseres Grundgesetzes geprägt, dessen 60-jähriges Bestehen wir ebenfalls in diesem Jahr feiern.

Die Antwort von Werner Münch ist eine Beleidigung für die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern und eine Beleidigung für die CDU.


Annette Schavan ist stellvertretende Vorsitzende der CDU Deutschlands und Bundesministerin für Bildung und Forschung.