Es geht ihm um gleiche Augenhöhe zwischen Ost und West. Schwerins Regierungschef Erwin Sellering erwartet daher mehr Respekt für die Ostdeutschen. Es dürfe nicht nur zählen, was aus dem Westen komme, sagt der SPD-Politiker.
Schwerin. Hamburger Abendblatt: Vor 20 Jahren fanden die letzten Kommunalwahlen in der DDR statt. Was verbinden Sie mit diesem Datum, Herr Sellering?
Erwin Sellering: Es ist richtig, dass wir uns kritisch mit der DDR auseinandersetzen. Es waren keine freien Wahlen. Und die Ergebnisse der Kommunalwahl wurden massiv gefälscht. Ich kenne niemand Ernstzunehmenden, der sagt, er will diesen Staat wiederhaben. Man sollte nur nicht so tun, als ob es nicht das kleinste bisschen Gutes in der DDR gegeben hätte. Als Ministerpräsident eines ostdeutschen Landes bewegt mich bei dieser Debatte vor allem eines....
Abendblatt: ....das wäre?
Sellering: Es geht mir um gleiche Augenhöhe zwischen Ost und West heute. 20 Jahre danach darf im Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten nicht nur das zählen, was aus dem Westen kommt. Natürlich ist ein Staat, in dem es Willkür und Verfolgung gab, diskreditiert. Aber es hat Millionen von Menschen gegeben, die innerhalb des Systems das Beste versucht und geleistet haben. Dabei sind in vielen Bereichen gute Sachen herausgekommen, die man nicht einfach wegwerfen darf.
Abendblatt: Sie haben es abgelehnt, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen. Ein Fauxpas? Oder ein Wahlkampftrick?
Sellering: Weder noch. Ich habe mich, als ich in einem Interview danach gefragt wurde, dagegen verwahrt, die DDR als den totalen Unrechtsstaat zu verdammen, in dem es nicht das kleinste bisschen Gutes gab. Dazu stehe ich. Wir können nicht so tun, als sei ein idealer Staat auf einen total verdammenswerten getroffen. Die Bundesrepublik hatte ihre Schwächen und die DDR hatte ihre Stärken.
Abendblatt: An welche Stärken denken Sie?
Sellering: An das gute Angebot an Kinderbetreuungsplätzen, an das System der Polikliniken, auch an manches im Schulbereich wie das längere gemeinsame Lernen.
Abendblatt: Bundeskanzlerin Merkel hat in dieser Woche das ehemalige Stasi-Untersuchungsgefängnis in Berlin-Hohenschönhausen besucht. Waren Sie da auch schon?
Sellering: Ich kenne mehrere Gedenkstätten. Und ich kenne sehr viele Akten von Tätern und Opfern. Als ich als Richter nach Greifswald kam, hatte ich mit darüber zu entscheiden, welche früheren DDR-Richter in den öffentlichen Dienst des Landes Mecklenburg-Vorpommern übernommen werden. Aus dieser Zeit weiß ich, dass man differenzieren muss. Wenn das der totale Unrechtsstaat gewesen wäre, hätte man keinen einzigen Richter übernehmen dürfen. Es sind auch in der DDR gerechte Urteile gefällt worden.
Abendblatt: Haben Sie nicht die Sorge, dass Sie beitragen zur Verklärung einer Diktatur?
Sellering: Nein. Mir geht es um das, was auch der Bundespräsident gefordert hat: mehr Respekt gegenüber den Ostdeutschen.
Abendblatt: Sie sind im Ruhrgebiet geboren und leben seit 1994 in Mecklenburg-Vorpommern. Wie gut kannten Sie die DDR?
Sellering: Ich habe nicht zu denen gehört, die jedes Jahr zweimal hier waren. Ich hatte keine Verwandten, die ich besuchen konnte. Ich habe die üblichen Erfahrungen gesammelt an Grenzübergängen auf dem Weg nach Berlin. 1994 war für mich ein Neubeginn. Ich wurde Richter in Greifswald und habe angefangen, mich mit der Geschichte der Menschen auseinanderzusetzen.
Abendblatt: Finden Sie es ungerecht, dass die Linkspartei nach wie vor als SED-Nachfolgepartei bezeichnet wird?
Sellering: Ich finde diese Frage nicht entscheidend. Es interessiert auch niemanden, dass CDU und FDP als Blockparteien in der DDR mitregiert haben. Für mich zählt, was heute an täglicher politischer Arbeit möglich ist. Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern acht Jahre erfolgreich mit der PDS regiert.
Abendblatt: Warum verzichtet die SPD eigentlich noch im Bund auf eine Zusammenarbeit mit der Linken?
Sellering: Anders als hier im Land, wo die Mehrzahl der Linken für eine verlässliche Regierungspolitik steht, setzt sie im Bund total auf Opposition – nicht nur in der Außenpolitik. Die SPD im Bund wird nach der Wahl nicht mit der Linken koalieren. Das sagen wir vor der Wahl und das wird eingehalten.
Abendblatt: Wie lange hält der Schwur?
Sellering: Ganz klar für die Bundestagswahl 2009. Und darüber hinaus so lange, wie die Linke sich so darstellt, wie sie sich jetzt darstellt.
Abendblatt: Herr Ministerpräsident, die Wirtschaftskrise trifft den Osten Deutschlands in besonderer Weise. Brauchen wir ein drittes Konjunkturpaket?
Sellering: Nein, wir sollten jetzt die ersten beiden Konjunkturpakete ihre Wirkung entfalten lassen. Es wäre gefährlich und falsch, jetzt im Wahlkampf mit weiteren Konjunkturprogrammen zu winken.
Abendblatt: Wahlgeschenke werden doch schon gemacht. Zuletzt hat die Bundesregierung eine Rentengarantie beschlossen....
Sellering: Das ist kein Wahlgeschenk. In dieser Krise geht es vor allem um Vertrauen. Und wir schaffen Vertrauen bei den Rentnern, wenn wir ihnen sagen: Ihr könnt euch darauf verlassen, dass die Renten in Deutschland nicht gekürzt werden.
Abendblatt: Entsteht Vertrauen, wenn die Politik ständig in die Rentenformel eingreift?
Sellering: Der Eingriff, den wir jetzt vornehmen, wird jedenfalls von den Rentnern sehr positiv gesehen.
Abendblatt: Können die Rentenbeiträge noch wie geplant von 19,9 auf 19,2 Prozent sinken?
Sellering: Ich bin zuversichtlich, dass wir dabei bleiben können.
Abendblatt: Gewerkschaften fordern ein Zurück zur Rente mit 65. Überlegenswert?
Sellering: Schauen Sie: Ein 65-Jähriger hat heute noch so viel Lebenszeit vor sich wie vor 100 Jahren ein 35-Jähriger. Daraus muss man Folgerungen ziehen. Ich sehe keinen Korrekturbedarf bei der Rente mit 67.
Abendblatt: Welche Korrekturen wünschen Sie sich?
Sellering: Wir brauchen eine Ost-West-Angleichung bei den Renten. Es kann fast zwanzig Jahre nach der deutschen Einheit nicht so bleiben, dass es eine Rente West und eine Rente Ost gibt.
Abendblatt: Ist dafür Geld da in der Krise?
Sellering: Wir müssen nach der Bundestagswahl die Weichen dafür stellen und dann schrittweise zu einer Angleichung kommen. Ein anderer Punkt ist aber noch dringlicher: Bei der Berechnung des Rentenniveaus müssen die Jahre in der Arbeitslosigkeit mehr zählen. Gerade im Osten haben viele Menschen gebrochene Erwerbsbiografien. Sie waren nach der Wende lange arbeitslos und haben dann Jobs angenommen für wenig Geld. Diese Menschen sehen einer Rente entgegen, die unterhalb der Grundsicherung liegt. Hier muss etwas getan werden.