Mit so einer scharfen Reaktion hatte Erwin Sellering, SPD-Regierungschef von Mecklenburg-Vorpommern, wohl nicht gerechnet. Seine Forderung nach mehr Respekt für die DDR-Vergangenheit im “Hamburger Abendblatt“ konterte Bundeskanzlerin Angela Merkel prompt. Es bleibe dabei: “Die DDR war auf Unrecht gegründet.“
Hamburg/Schwerin. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) hat in der Debatte um die Bewertung der DDR-Vergangenheit mehr Respekt gegenüber den Ostdeutschen eingefordert - und in dem Zusammenhang erneut Kritik von führenden CDU-Politikern geerntet. 20 Jahre nach dem Mauerfall dürfe im Zusammenwachsen beider deutscher Staaten nicht nur das zählen, was aus dem Westen kommt, sagte Sellering dem „Hamburger Abendblatt“. Er stehe auch weiter zu seiner Äußerung, man dürfe die DDR nicht „als den totalen Unrechtsstaat verdammen, in dem es nicht das kleinste bisschen Gutes gab“.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) griff Sellering daraufhin am Sonnabend auf einer CDU-Veranstaltung in Sternberg (Kreis Parchim) scharf an. Sie vermute, dass der Ministerpräsident mit solchen Äußerungen vom Wesentlichen ablenken und sich Freunde bei den Linken machen wolle, die sich bis heute nicht mit der DDR auseinandergesetzt hätten. Das Wesentliche sei aber, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. „Die DDR war auf Unrecht gegründet“, sagte sie. Es habe keine freien Wahlen gegeben. Das System habe auf Angst und Lüge beruht. Trotzdem seien natürlich Dinge wie etwa der Ehevertrag legal gewesen. Deshalb habe auch nicht jeder neu heiraten müssen, als die Wiedervereinigung stattfand.
Vor 20 Jahren habe es in der DDR keine freien Wahlen gegeben und die Ergebnisse der Kommunalwahl seien massiv gefälscht gewesen, räumte Sellering in dem Zeitungsinterview ein. „Ich kenne niemand Ernstzunehmenden, der sagt, er will diesen Staat wiederhaben.“
Sellering riet zu einer differenzierten Sichtweise. So habe die Bundesrepublik ihre Schwächen und die DDR ihre Stärken gehabt. Dazu zählte laut Sellering das gute Angebot an Kinderbetreuungsplätzen im Osten, das System der Polikliniken sowie manches im Schulbereich wie das längere gemeinsame Lernen. Auch in der Bewertung der DDR-Rechtsprechung müsse man differenzieren. Das habe er in seiner Zeit als Richter in Greifswald gelernt. Sellering war Anfang der 1990er Jahre als Richter aus Nordrhein-Westfalen nach Greifswald gewechselt. „Wenn das der totale Unrechtsstaat gewesen wäre, hätte man keinen einzigen Richter übernehmen dürfen. Es sind auch in der DDR gerechte Urteile gefällt worden.“
Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Gehb, legte Sellering daraufhin sogar einen Rücktritt nahe. Der SPD-Politiker habe die letzten Zweifel beseitigt, dass er das Amt des Ministerpräsidenten nicht könne, sagte Gehb der „Welt am Sonntag“: „Er sollte in sich gehen und etwas anderes machen.“ Die DDR-Justiz sei nicht unabhängig gewesen, auch wenn einzelne Richter durchaus nach Gerechtigkeit gesucht hätten.
Auch der CDU-Landesvorsitzende Mecklenburg-Vorpommerns, Jürgen Seidel, kritisierte den SPD-Ministerpräsidenten. Man müsse trennen zwischen dem Staat, der ein Unrechtsstaat gewesen sei, und der Lebenswirklichkeit der Menschen. „Natürlich haben wir gelacht, geweint, gefeiert, viele sind miteinander anständig umgegangen“, sagte Seidel in Sternberg. Das sei aber keine Leistung des Staats, sondern der Menschen gewesen.
DDR-Bürgerrechtler, Gewerkschafter und Politiker verschiedener Parteien hatten Sellering bereits im März für dessen Bewertung des Staatssystems der DDR kritisiert.