Exakt drei Monate vor der Bundestagswahl warten die Genossen weiterhin erfolglos auf den Wechsel in der Wechselstimmung.
Hamburg. Schlimmer noch: Die Ausgangslage für die SPD hat sich noch verschlechtert: Zu den bisher schon existierenden vier K- Katastrophen: Klima - Kandidat - Kompetenz - Konjunktur hat sich noch eine fünfte hinzugesellt, möglicherweise die Wahl entscheidende: der Krisenkurs!
Urplötzlich sind die Deutschen konvertiert: Aus einem Volk der Füllhornforderer ist das der Ordnungspolitiker geworden! In der Woche der Verabschiedung des größten Haushaltsdefizits aller Zeiten halten nur noch 25 Prozent der Wähler Neuverschuldungen für richtig, trotz anhaltender Wirtschaftskrise. Selbst unter den SPD-Wählern sind sie mit 39 Prozent in der Minderheit. Noch vor einem halben Jahr war Schuldenmachen für die Ankurbelung der Wirtschaft in Deutschland mehrheitsfähig!
Bislang waren es vier K-Fallstricke, die gegen die Sozialdemokraten sprachen: Das politische Klima ist unverändert günstig für die Union. Nur für sieben Prozent der Wähler ist die SPD im Stimmungshoch. Die deutliche Mehrheit glaubt, dass die Union weiterhin den Kanzler stellt. In fast allen wichtigen Kompetenzbereichen liegt die Union deutlich vor der SPD. Und schlechte Konjunkturdaten machen konservative Parteien umso wählbarer, je näher vor Wahlen die eigene Zukunft anstelle allgemeiner Unzufriedenheit gewählt wird.
Nun auch noch der Krisenkurs! Urplötzlich halten die Deutschen die geordnete Insolvenz für besser als staatliche Schutzschilder, Kredite oder Bürgschaften für die Privatwirtschaft. Ökonomische Kompetenz für arbeitsplatzerhaltender als Sozialkompetenz, Wirtschaftsminister zu Guttenberg für den erfolgreicheren Retter für Arbeitsplätze als Arbeitsminister Scholz. Die Wirtschafts- dominiert die Verteilungskompetenz!
Vier Gründe haben bei den Deutschen zu diesem Meinungswandel geführt: Das Gespenst von Verschuldungsfalle und der Inflation beunruhigt inzwischen 80 Prozent der Deutschen. Die Deutschen spüren das Milliardenrisiko "rettender Staat". 70 Prozent empfinden Staatshilfen für die Privatwirtschaft als reine Geldverschwendung, so glauben z. B. gerade mal 13 Prozent, dass Opel durch die Hilfe des Staates nun längerfristig gerettet ist. Zwei Drittel empfinden die Unterstützung schlecht aufgestellter Unternehmen als einseitig und ungerecht gegenüber den gut arbeitenden.
Drei Monate vor der Wahl muss die SPD ihre Wahlstrategie völlig neu justieren: Die Dominanz linker Positionen sowie der "Retten um jeden Preis"- Rhetorik von SPD-Chef Franz Müntefering finden nicht mehr das Wohlwollen der Wähler, sondern werden als unaufrichtige Wahlkampfstrategie geoutet. Das erklärt auch, dass Müntefering in diesem Wahlkampf längst nicht mehr eine derart dominante Rolle wie noch 2005 spielen kann. Zumal die SPD ihr Verhältnis zur Linken immer noch nicht geklärt hat: Weiterhin sind es 40 Prozent, die den Genossen zutrauen, im Zweifelsfall auch eine Koalition mit der Linken einzugehen. Eine Gefahr, die sich nach den Landtagswahlen in Thüringen und Saarland eher noch verstärken wird.
Allerdings verringert sich diese Gefahr tagtäglich: Nicht nur, weil die SPD nach der Europawahlschlappe in der Sonntagsfrage mit 24 Prozent wieder auf Tiefstwert zurückgefallen ist, sondern sich gleichzeitig auch die Linke auf rasanter Talfahrt befindet: Statt 15 Prozent wie noch vor einem halben Jahr würden sie heute gerade mal neun Prozent wählen.
68 Prozent der Deutschen erwarten inzwischen schwarzgelb nach dem 27. September auf den Regierungsbänken.
Wahlentscheidender aber könnte sein, dass auch 61 Prozent der SPD-Anhänger nicht mehr mit einer roten Regierung rechnen. Denn Aufholjagd geht nur, wenn die Genossen noch eine Chance auf den Sieg wittern. Doch nur noch 30 Prozent rechnen wenigstens mit einem achtbaren Ergebnis. Die Self Fulfilling Prophecy, also der Glaube, es doch noch zu schaffen, war die Dominante der Wahlkämpfe von Altkanzler Gerhard Schröder. Vor allem das unterscheidet die Schröder- von der Steinmeier-SPD.
Klaus-Peter Schöppner leitet das Meinungsforschungsinstitut Emnid in Bielefeld.