Demokratie sei für viele Bürger zur Gewohnheit geworden, kritisiert er. Doch jeder trage Verantwortung. Genossen versprechen “kraftvollen Wahlkampf“.
Hamburg. Ruhig bleiben, keine Fehler machen und die Aufmerksamkeit der Wähler beim Steuerstreit der Union belassen - für die SPD könnte ein guter Start in den Wahlkampf bevorstehen. SPD-Chef Franz Müntefering und Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier wollen auf jeden Fall parteiinterne Streitigkeiten in der Sommerpause vermeiden. In der ruhigen, nahezu politikfreien Zeit kann, das wissen beide, kann eine unbedachte Äußerung schnell eine nicht geahnte und gewollte Dynamik entwickeln. Laut "Spiegel" werden die beiden die Genossen zur Geschlossenheit mahnen. Entsprechende Appelle im SPD-Präsidium und der SPD-Bundestagsfraktion sind demnach geplant. Die Spitzenpolitiker fürchten offenbar angesichts der schlechten Umfrageergebnisse eine öffentliche Diskussion über die SPD-Wahlkampfstrategie.
Müntefering nahm sich in der "Welt am Sonntag" die wachsende Gruppe der politisch Uninteressierten vor. In Deutschland säßen viele Menschen auf der Tribüne und behaupteten, es besser machen zu können, sagte er. Sie seien aber nicht bereit, einen Teil ihrer Zeit zu investieren. Vielen sei die Demokratie zur Gewohnheit geworden, eine Selbstverständlichkeit. "Es gibt ein Gefühl bei manchen, dass derjenige, der nicht handelt, mit dem, was passiert, nichts zu tun hat", sagte der SPD-Vorsitzende. "Aber das ist nicht so. Wer nicht handelt, ist genauso verantwortlich." Deshalb sei seiner Ansicht nach die wichtigste Erkenntnis in der Demokratie: "Es gibt kein Entrinnen. Jeder ist in der Verantwortung", sagte Müntefering.
In der Menschheitsgeschichte gebe es zwei ganz große Fortschritte, die sich beide mit der Idee der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie verbänden: "Das ist die organisierte Solidarität, sprich der Sozialstaat. Und das ist die Demokratie, die ausgeht von der Gleichwertigkeit aller Menschen." Beides seien hohe Güter, die nicht gesichert seien. Müntefering forderte: "Man muss dafür streiten."
Für die Sozialdemokraten gab er die Vorgabe aus, das Wahlergebnis von 2005 noch zu übertreffen. Damals hatte die SPD nach einem furiosen Wahlkampfendspurt ihres Kanzlers Gerhard Schröder noch 34,2 Prozent der Stimmen erhalten. Umfragen hatten die SPD unter 30 Prozent gesehen. Auch Steinmeier prophezeite am Wochenende mit Blick auf die Aufholjagd 2005 einen "sehr kraftvollen Wahlkampf" der SPD. "Da werden sich noch manche wundern, wie viel Kraft in der SPD steckt", sagte er der dpa. Zur gleichen Zeit vor vier Jahren sei der Umfrage-Rückstand der SPD zur Union vor der Bundestagswahl noch viel größer gewesen als jetzt. "Am Tag vor der Wahl haben Merkel und Westerwelle in einem Restaurant in Bonn schon die Ministerposten verteilt. Und dann hat das Volk überraschend entschieden, dass es anders kommt. Ich bin fest überzeugt: Auch diesmal ist nichts gelaufen."
Während Müntefering erneut das Verhalten der Finanzinvestoren und Manager als demokratiefeindlich kritisierte und feststellte: "Wir müssen die Macht der Politik über die Finanz- und Wirtschaftswelt herstellen. Sonst wackelt viel", gab Steinmeier den Frauen ein Wahlversprechen. Es gebe die rechtliche Verpflichtung, dass Frauen und Männer für gleichwertige Arbeit auch gleich bezahlt würden, sagte er. Notwendig seien weiter verbindliche Regelungen, dass Frauen die gleichen Aufstiegschancen wie Männer in Unternehmen erhielten. Mit freiwilligen Lösungen sei dies nicht zu schaffen. Deshalb wolle er im Falle eines Wahlsieges Aufsichtsgremien und Unternehmensvorstände verpflichten, mehr Frauen zu berücksichtigen.