Der Innenminister spricht über seinen Führungsstil, die Entlassungen bei der Bundespolizei und die Gefahr des islamistischen Terrors.
Hamburg. In den 17 Monaten, die Hans-Peter Friedrich inzwischen das Amt des Bundesinnenministers innehat, stand er selten derart unter Erklärungsdruck wie jetzt. Seine Entlassung der gesamten Spitze der Bundespolizei ohne konkrete Begründung sorgt seit Tagen dafür, dass die Gerüchte ins Kraut schießen. Aber der CSU-Politiker will die Kritik von Betroffenen, Opposition und Gewerkschaften über sich ergehen lassen. Während seines Redaktionsbesuchs beim Abendblatt sprach Friedrich dennoch Klartext: Als Hardliner, die manche seiner Amtsvorgänger gern sein wollten, sieht er sich nicht.
Hamburger Abendblatt : Herr Minister, sind Sie ein misstrauischer Mensch?
Hans-Peter Friedrich: Nein. Ich glaube immer erst einmal an das Gute im Menschen.
Welche Fähigkeiten muss ein Behördenleiter besitzen, damit Sie ihm vertrauen?
Friedrich: Das Verhältnis muss so vertrauensvoll sein, dass es der Behörde und ihrer Aufgabenwahrnehmung dient.
Was hat die Spitze der Bundespolizei Schlimmes getan, dass sie gehen musste?
Friedrich: Die Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen mir und Herrn Seeger war nicht mehr vorhanden. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Gilt das auch für die Stellvertreter, die ebenso gehen mussten?
Friedrich: Ich habe entschieden, dass auch die Stellvertreter neue Aufgaben bekommen. Die bisherigen Vizepräsidenten werden weiter mit großer Verantwortung tätig sein. Wolfgang Lohmann wird Inspekteur der Bereitschaftspolizei. Michael Frehse wird sich mit der IT-Architektur der Sicherheitsbehörden auseinandersetzen.
Was kann die Bundespolizei in Zukunft besser machen?
Friedrich: Die Bundespolizei hat vor mehr als vier Jahren eine neue Struktur mit dem Präsidium in Potsdam erhalten. Jetzt wollen wir bis Herbst die Struktur evaluieren. Ich denke, dass die Richtung stimmt, aber es gibt immer wieder neue Aufgaben, neue Herausforderungen. Deswegen muss die Bundespolizei immer beweglich und modernisierungsfähig sein.
Von den Entlassungen haben die Betroffenen aus den Medien zuerst erfahren. Gehen Sie intern den Indiskretionen nach?
Friedrich: In solch eine Entscheidung werden natürlich einige Leute eingebunden. Leider ist es dann in die Presse lanciert worden. Das ist ärgerlich.
Die Vorgänge werfen Fragen auf - auch über Ihren Führungsstil. Stört Sie das?
Friedrich: Wenn mir schlechter Stil vorgeworfen wird, stört mich das immer. Ich wollte Herrn Seeger persönlich informieren. Schließlich war seine Entlassung auch meine persönliche Entscheidung.
Der in den Ruhestand versetzte Chef der Bundespolizei, Matthias Seeger, spricht von einem "einmalig würdelosen Vorgang" und findet den Umgang mit ihm "unehrenhaft" und "beschämend". Lässt Sie das kalt?
Friedrich: Ich nehme das zur Kenntnis.
Wird man als Innenminister irgendwann zum Hardliner?
Friedrich: Zu meinen, ein Innenminister müsse mit 'Stahl in der Stimme' durch die Gegend laufen, finde ich klischeehaft. Ich bin mir als Innenminister meiner Verantwortung bewusst, nehme meine Aufgaben ganz konzentriert und mit Leidenschaft wahr.
Dieses harte Durchgreifen der vergangenen Tage war man von Ihnen bisher nicht gewohnt.
Friedrich: Wenn das Vertrauen in eine Führungsfunktion nicht mehr da ist und die Zusammenarbeit deshalb beendet werden muss, dann ist das kein hartes Durchgreifen, sondern einfach nur konsequentes Handeln. Ich musste meiner Verantwortung gerecht werden.
Wer sind Ihre Ratgeber vor solch schwierigen Entscheidungen?
Friedrich: Das Innenministerium ist personell hervorragend aufgestellt. Ich bespreche mich mit der Führungsebene, aber auch mit den Experten und den einzelnen Fachbereichen. Natürlich mache ich mir auch selbst ein Bild vor Ort.
Deutschland hat 16 Landesämter für Verfassungsschutz und dazu noch ein Bundesamt. Braucht der Inlandsgeheimdienst eine Reform?
Friedrich: Man braucht sowohl eine zentrale Koordinierungsstelle als auch die Präsenz in der Fläche. Manche Phänomene tauchen nur regional auf, die Arbeit vor Ort ist deshalb unverzichtbar. Mit dem neu gegründeten Gemeinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus schaffen wir es bereits, regionale und nationale Belange zu bearbeiten. Entscheidend ist, dass Behörden von Bund und Ländern optimal zusammenarbeiten. Der Informationsfluss muss reibungslos verlaufen, das Bundesamt muss über alle Informationen verfügen, damit eine umfängliche Auswertung erfolgen - und wenn erforderlich - schnell reagiert werden kann. Das wird sichergestellt.
Braucht ein Stadtstaat wie Hamburg einen eigenen Verfassungsschutz?
Friedrich: Das werden wir in Ruhe mit den Innenministern und -senatoren der Länder besprechen. Ich sehe den Vorschlag, Ämter zusammenzulegen, mit Skepsis. Die Frage, wer am Ende die Verantwortung und die Kontrolle hat, wäre dann schwieriger zu beantworten. Zu überlegen ist, ob der Bund mehr Zuständigkeiten beim Verfassungsschutz erhält. Womöglich werden wir Gesetzesänderungen brauchen, die die Zusammenarbeit der Behörden strikter machen. Bis zum Herbst wollen wir ein Konzept auf den Tisch legen.
Verfassungsschutz und Polizei könnten auch besser zusammenarbeiten.
Friedrich: Hier ist eine stärkere Vernetzung erforderlich. Aber es wäre falsch, eine Geheimpolizei einzuführen. Der Nachrichtendienst soll ein Frühwarnsystem ohne Polizeibefugnis und ohne Strafverfolgung sein. Der Verfassungsschutz hat sich in der Vergangenheit auf Strukturen konzentriert, nicht aber auf Personen. Das muss anders werden, denn Personen und Strukturen gehören häufig zusammen.
Wie häufig sprechen Sie eigentlich mit Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger?
Friedrich: Sehr häufig. Wir haben regelmäßig eine formale Runde, in der wir uns begegnen. Wir sitzen auf der Regierungsbank nebeneinander, und auch da spricht man, wenn es sich ergibt, miteinander. Außerdem treffen wir uns hin und wieder in unserer beider Heimat Bayern.
Ist sie eine Kollegin, mit der Sie abends ein Bier trinken gehen würden?
Friedrich: Das käme auf das Bier an (lacht). Also, ich denke, wir verstehen uns gut.
Aber nicht bei der Vorratsdatenspeicherung.
Friedrich: Absolut. Da sind wir sehr konträr. Die EU-Richtlinie gibt eine klare Vorgabe: Wir brauchen eine Mindestspeicherfrist von sechs Monaten. Das muss so umgesetzt werden.
Die EU-Kommission hat beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen Deutschland eingereicht, weil die Richtlinie nicht umgesetzt wurde. Wer muss bei einer Verurteilung die Strafzahlungen übernehmen?
Friedrich: Die Zahlungen müsste der Haushalt der Bundesjustizministerin übernehmen. Sie muss schließlich die Richtlinie umsetzen. Würden wir ihren Gesetzentwurf umsetzen, würden wir genauso verurteilt werden, da ihr Gesetzentwurf hinter der Richtlinie zurückbleibt.
Im Herbst 2010 gab es eine konkrete Anschlagswarnung in Deutschland. Wie steht es heute um die Sicherheit des Landes?
Friedrich: Die Sicherheitslage ist ernst. Wir stellen nach wie vor eine hohe Bedrohung fest. Es gibt weiterhin eine große Entschlossenheit der Islamisten, in Europa und in Deutschland Anschläge zu verüben.
Hat Deutschland bisher einfach Glück gehabt, dass es keinen Anschlag gab?
Friedrich: Bedauerlicherweise gab es sehr wohl im letzten Jahr einen Anschlag in Deutschland. Im März 2011 tötete ein islamistisch motivierter Einzeltäter am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten und verletzte zwei weitere mit einer Schusswaffe schwer. Ungeachtet dessen leisten unsere Sicherheitsbehörden großartige Arbeit. Einige geplante Anschläge wurden verhindert, zuletzt durch die Festnahme eines mutmaßlichen Mitgliedes der Düsseldorfer Al-Qaida-Zelle am 8. Dezember letzten Jahres. Wir haben keine konkrete Bedrohung, aber die abstrakte Gefahr ist mindestens so groß wie im November 2010. Und wir haben ein Problem mit dem sogenannten "homegrown terrorism", also mit potenziellen Terroristen, die sich inmitten unserer Gesellschaft radikalisiert haben.
Wie sieht die derzeitige terroristische Bedrohung aus?
Friedrich: Wir sehen über das Internet Bewegungen, die auf eine hohe Entschlossenheit der Islamisten, einen Anschlag zu verüben, schließen lassen. Es besteht kein Zweifel daran, dass unser Land im Visier von Islamisten ist. Deswegen sind wir sehr wachsam.