Voßkuhle spricht von “nicht einfacher“ Euro-Entscheidung. Richter müssen nun prüfen, ob ESM und Fiskalpakt dem Grundgesetz entsprechen.
Karlsruhe. In der Politik erforderten Krisen oft "ungewöhnliche Maßnahmen", sagte Andreas Voßkuhle zum Auftakt der Verhandlung über den ESM und den Fiskalpakt. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts stellte klar, dass für Karlsruhe andere Vorgaben gelten als für ein Parlament: Es sei Aufgabe des Verfassungsgerichts, "den Regeln, die wir uns gegeben haben, auch in den Situationen zur Geltung zu verhelfen, in denen es politisch nicht opportun erscheint und uns besonders viel Mühe und Kraft kostet". Er betonte: "Europa fordert den demokratischen Verfassungsstaat ebenso wie der demokratische Verfassungsstaat Europa fordert." Das Gericht wisse, dass es in dem Augenblick, wo es eine einstweilige Anordnung erlassen werde, in der Auslandspresse sofort heiße: "Euro-Rettung gestoppt!" Über diese "Gefahr" sei sich der Zweite Senat im Klaren. Er bezeichnete die Entscheidung des Gerichts im Eilverfahren wegen der nötigen Folgenabwägung als "in mehrfacher Hinsicht nicht einfach".
Zur Entscheidung stehen dem Zweiten Senat um Voßkuhle eine von Ex-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) vertretene Massenklage von inzwischen 23.000 Bürgern sowie Anträge einer Professorengruppe, des CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler und der Linken im Bundestag. Letztlich wird gerichtlich geprüft, ob der Bundestag mit seiner Zustimmung zu den weitreichenden Verträgen zur Euro-Rettung seine eigene haushaltspolitische Kontrolle zu stark eingebüßt und damit gegen das Grundgesetz verstoßen hat. Da ist zum einen der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) als Nachfolger des "Rettungsschirms" EFSF, der mit einem Stammkapital von 700 Milliarden Euro die Mitgliedstaaten der Euro-Zone unterstützen soll, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Eigentlich sollte er schon zum 1. Juli starten. Zum anderen geht es um den Fiskalpakt, der spätestens Anfang 2013 in Kraft treten soll. Dieser verpflichtet die EU-Staaten, ausgeglichene Haushalte anzustreben und Schuldenbremsen einzuführen.
+++ Kommentar: Keine Wunder aus Karlsruhe +++
Die Kläger halten wegen der in Rede stehenden Summen von mehreren Hundert Milliarden Euro die eingegangenen Haftungsrisiken für nicht verantwortbar. Klägeranwalt Dietrich Murswiek betonte, das Gesetzespaket öffne "das Tor zu einer Haftungs- und Transferunion". Rechtsprofessor Albrecht Schachtschneider ergänzte, die Souveränität der Mitgliedstaaten werde durch die geplanten Euro-Rettungsgesetze aufgegeben. Die Politik strebe letztlich einen europäischen Bundesstaat an, für den aber in Deutschland eine Volksabstimmung nötig wäre.
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe verteidigte die Maßnahmen als Vertrauensmaßnahme in die europäische Gemeinschaftswährung: "Wir brauchen den ESM und den Fiskalpakt, um Europa zur Stabilitätsunion zu machen. Dadurch kann das Vertrauen in den Euro zurückgewonnen werden", sagte Gröhe dem Abendblatt. "Es bleibt unsere klare Richtlinie, dass Solidarität und Solidität zusammengehören." Deutschland habe mit der breiten Parlamentsmehrheit für beide Vorhaben ein starkes Signal nach Europa gesendet. Gröhe sagte mit Blick auf die Entscheidung in Karlsruhe, er sei davon überzeugt, dass sich das Bundesverfassungsgericht seiner großen Verantwortung bewusst sei. "Wir warten nun mit großem Respekt auf die Entscheidung aus Karlsruhe." Linken-Fraktionschef Gregor Gysi wies darauf hin, das Bundesverfassungsgericht habe bisher noch nie durch eine einstweilige Anordnung einem Bundespräsidenten verboten, ein Gesetz zu unterzeichnen. Das Gericht stehe damit vor einer neuen und erstmaligen Entscheidung. "Diesmal beneidet Sie niemand", sagte Gysi zu den acht Richtern des Zweiten Senats. "Jeder ahnt, vor welch schwieriger Entscheidung Sie stehen." Der SPD-Abgeordnete Peter Danckert sagte mit Blick auf die ständigen Ermahnungen in Richtung Karlsruhe: "Da wird Stimmung gemacht. Ich weiß gar nicht, wie man das an Ihrer Stelle aushalten kann."