Kaum einer engagiert sich so für die Rettung der Währungsunion wie der CDU-Politiker. Doch Chef der Euro-Gruppe wird er vorerst nicht.
Brüssel/Berlin. Viel Zeit zur Regeneration blieb nicht. Gegen 2.45 Uhr lag Wolfgang Schäuble (CDU) Montagnacht endlich im Bett seines Hotels in Brüssel, nach neun langen Verhandlungsstunden mit den anderen Euro-Finanzministern. Um 7 Uhr saß er gestern Morgen schon wieder im Auto, quälte sich durch den Berufsverkehr der belgischen Hauptstadt Richtung Flughafen. Von dort ging es nach Karlsruhe, wo er beim Bundesverfassungsgericht den ganzen Tag das tat, was er seit mehr als zwei Jahren permanent tun muss: für die Euro-Rettung werben.
Kaum ein Politiker zeigt so viel Einsatz bei der Bekämpfung der Währungskrise wie der deutsche Finanzminister. Doch so richtig gedankt wurde ihm das bisher nicht. Ein Ende der Krise ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Sie wird immer heftiger. Und nun wurde Schäuble auch noch bei der Besetzung eines europäischen Topjobs übergangen. Der 69-Jährige, der in seiner langen Politkarriere schon als Bundeskanzler und Bundespräsident gehandelt wurde, war zuletzt als Chef der Euro-Gruppe im Gespräch. Doch auch daraus wird nichts. Zumindest vorerst.
Am Montagabend hatte Schäuble noch versucht, auf Zeit zu spielen. Er erwarte keine rasche Entscheidung über den Vorsitz, sagte er vor dem Treffen in Brüssel. Amtsinhaber Jean-Claude Juncker habe im Kreis der Staats- und Regierungschefs angekündigt, dass er seinen Posten abgeben wolle, sagte Schäuble. "Er hat es damit auch zu den Staats- und Regierungschefs gebracht, und die werden es auch entscheiden." Doch es kam anders.
Als sich um 17 Uhr die Türen schlossen, entwickelte sich beim Verhandlungsmarathon eine Dynamik. Zunächst stimmten die Minister zu, dass der Luxemburger Yves Mersch in das Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) einziehen darf. Dann einigten sie sich darauf, dass der deutsche Chef des provisorischen Rettungsschirms EFSF, Klaus Regling, auch den Nachfolger ESM leiten darf. Nun war nur noch eine Personalie offen: der Euro-Gruppen-Vorsitz - und bei dem wollte die Mehrheit alles klarmachen.
Vor allem der französische Finanzminister Pierre Moscovici hatte darauf gedrungen, bei der Sitzung zu entscheiden - und zwar für Juncker. Und gegen Schäuble. Der neue sozialistische Präsident François Hollande war nicht bereit, einen Deutschen auf dem Chefsessel zu akzeptieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) musste hingegen verhindern, dass ein Franzose den Job übernimmt. Das hätte nicht nur sie desavouiert, sondern auch ihren Finanzminister, den sie ins Rennen geschickt hatte. So blockierten sich Merkel und Hollande gegenseitig - und mit ihnen die gesamte Euro-Zone. Das sorgte bei den anderen Partnern für zunehmenden Ärger. Juncker, der das Amt bereits seit zehn Jahren innehat, einfach noch mal für zweieinhalb Jahre zu wählen, war der kleinste gemeinsame Nenner, auf den Merkel und Hollande kamen.
+++ Kommentar: Keine Wunder aus Karlsruhe +++
Der luxemburgische Premierminister macht weiter, zunächst einmal. Wie lange Juncker das Amt tatsächlich ausfüllen will, habe er nicht verraten, sagte Schäuble nach der Sitzung um zwei Uhr nachts. Es sei an der Zeit gewesen, Juncker erneut zu wählen: Seine laufende Amtszeit ende schließlich kommende Woche. "Deswegen ist es angemessen", ihn jetzt erneut zu benennen, "nachdem er sich auch bereit erklärt hat", sagte Schäuble - eine Anspielung auf den Wettbewerb in rhetorischer Bescheidenheit, den die beiden großen alten Männer der Euro-Gruppe sich seit Jahresbeginn geliefert hatten. Jeder wollte den Job offenbar, das deutlich aussprechen mochte aber keiner.
Dabei bleibt es auch nach der Entscheidung. Juncker betont, er werde Ende des Jahres oder Anfang 2013 aufhören. Endgültig. Angeblich. Ob Schäuble dann noch Interesse hat? Er mochte sich dazu nicht äußern, lächelte stattdessen milde und ein bisschen maliziös und kündigte an, die schwierige Suche nach dem Spitzenpersonal, die Europa monatelang betrieben hatte, die zugleich den Ratspräsidenten Herman Van Rompuy, der mit ihr beauftragt war, an den Rand seiner Geduld brachte, werde weitergehen. Entscheiden sollten aber andere, die Staats- und Regierungschefs nämlich: "Wir überlassen das den Chefs", sagte Schäuble.
Damit bleibt der Finanzminister seiner Linie treu. Er hatte sich in den vergangenen Monaten nie öffentlich um den Job gerissen. Im Gegenteil. Er erweckte eher den Eindruck, dass er notfalls bereit sei einzuspringen. "Wenn der Kelch an mir vorübergeht, dann ist das okay", soll er in kleiner Runde gesagt haben. Deshalb berichten Vertraute nun auch, Schäuble sei keinesfalls enttäuscht. Als Finanzminister spiele er auch weiter eine entscheidende Rolle. Zudem hat die Bundesregierung eine Aufwertung des Euro-Gruppen-Chefs, die sich vor allem die Franzosen wünschten, verhindert. Juncker wird den Job weiterhin nebenberuflich ausführen. Und es gibt auch keine neuen Befugnisse, etwa die Teilnahme an den G20-Runden der Regierungschefs der größten Wirtschaftsnationen.
Es gibt im Finanzministerium allerdings auch einige, die Schäubles kühle Reaktion für gespielt halten. Nach ihrer Lesart war der CDU-Politiker sehr wohl heiß auf den Job, der eine Krönung seines politischen Wirkens gewesen wäre. Schäuble hätte zunächst das Finanzministerium und die Euro-Gruppe in Personalunion geführt. Um später, etwa nach der Bundestagswahl, dann doch für einen hauptamtlichen Chef der Währungsunion einzutreten.
Ob Schäuble nun unbedingt will oder nicht - er wird vorerst im Rennen bleiben. Sollte Juncker tatsächlich in einem halben Jahr endgültig hinschmeißen, ist kein anderer deutscher Kandidat in Sicht. Allerdings sind die Chancen nach der Entscheidung von Montagnacht deutlich gesunken. Weil beim ESM nun ein Deutscher auf dem Chefsessel sitzt. Zudem hätten einige Staaten etwas dagegen, dass Deutschland und Frankreich den Euro-Gruppen-Posten unter sich aufteilen, berichtet jemand, der die Verhandlungen begleitet hat. Und in vielen südeuropäischen Ländern würden die Bedenken gegen Schäuble zunehmen, weil die Bundesregierung dauernd neue Euro-Rettungsinstrumente blockiere.
Schäuble hielt sich mit dem entgangenen Posten nicht lange auf. Nach der Sitzung der Euro-Finanzminister musste er erklären, dass außer den Personalien wenig entschieden wurde. Er und seine Kollegen hatten von den Regierungschefs den Auftrag erhalten, die Beschlüsse des vergangenen EU-Gipfels umzusetzen. Es geht um einen leichten Zugang für Krisenstaaten wie Italien und Spanien zum Rettungsschirm und um direkte Hilfen für Banken. Die Details sind nicht nur komplex, sondern auch umstritten. "Wir haben uns gegenseitig vergewissert, dass wir das alles so meinen, wie die Staats- und Regierungschefs es gesagt haben", sagte Schäuble. Und warum brauchte man dafür neun Stunden? "Das haben wir uns eben öfters gesagt."