Eine Reform des Inlandsgeheimdienstes scheint unausweichlich. Aber auch die anderen Nachrichtendienste bereiten Sorgen.
Berlin. Als im November des vergangenen Jahres bekannt wurde, dass in diesem Land eine rechtsextremistische Terrorzelle über Jahre hinweg unbehelligt morden konnte, da diskutierte die Politik umgehend über Strukturreformen im Verfassungsschutz. Die Debatte versank im Winterschnee. Erst sollte mehr Klarheit über die Versäumnisse der einzelnen Sicherheitsbehörden herrschen, bis man ernsthaft tätig werden wollte.
Nun kann es doch schneller gehen mit einer Neuordnung des Inlandsgeheimdienstes. Der Rückzug des Verfassungsschutzpräsidenten Heinz Fromm und die noch frische Erkenntnis darüber, dass Verfassungsschützer Akten zur rechten Szene geschreddert hatten, nachdem die Zwickauer Neonazi-Zelle aufgeflogen war, haben die Lage verändert. Zumindest sieht es Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) so, der Chefaufseher des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). So wie die Behörde heute aufgestellt ist, wird sie nicht bleiben. Friedrich sagte im Deutschlandfunk mit Blick auf die Aktenvernichtung: "Es darf natürlich das, was passiert ist, nicht passieren, und deshalb muss es da auch Konsequenzen geben." Fromm gehe am 31. Juli in Ruhestand. "Dann werden wir ganz in Ruhe über Reformen oder über Veränderungen beim Verfassungsschutz reden."
+++ Thüringens Verfassungsschutz-Chef gibt seinen Posten auf +++
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, und Politiker der Linkspartei schlugen vor, über die Abschaffung des Verfassungsschutzes nachzudenken. Davon sind die verantwortlichen Amtsträger freilich weit entfernt. Auch im Bundestag werden solche Stimmen mehrheitlich als exotisch und populistisch wahrgenommen. Hier interessieren sich die Abgeordneten dagegen verstärkt für die Rolle von Verbindungs- oder Vertrauensleuten - kurz V-Leute - in der rechtsextremen Terror-Szene.
Konkret geht es um die Frage, ob V-Leute des Verfassungsschutzes sogar im direkten Umfeld der NSU eingesetzt waren. Denn die Vernichtung der Akten zu den V-Leuten legt den Verdacht nahe, dass Mitarbeiter des Verfassungsschutzes mögliche Verbindungen zur Terrorzelle vertuschen wollten. Die Abgeordneten sind nun noch misstrauischer geworden. Der Grünen-Obmann im Untersuchungsausschuss zur Neonazi-Affäre, Wolfgang Wieland, betonte, es sei nicht klar, ob die Kernfrage beantwortet werden könne, "ob die drei der Zwickauer Terrorzelle oder ihr engstes Umfeld irgendwann einmal Vertrauenspersonen waren".
Der morgige Donnerstag könnte der bis dato spannendste Tag der bisherigen parlamentarischen Aufklärungsarbeit werden. Dann wird der scheidende Präsident Fromm vor dem Untersuchungsausschuss aussagen. Erscheinen soll auch der höhere Beamte, der die Aktenvernichtung angeordnet habe. "Wir müssen sehen, ob etwas vertuscht werden sollte", begründete SPD-Obfrau Eva Högl die Entscheidung.
+++ Heinz Fromm - Ein Unauffälliger tritt ab +++
Die Suche nach den Verantwortlichen für die Fehler geht in die heiße Phase. Gestern musste auch Thüringens Verfassungsschutz-Präsident Thomas Sippel wegen der Aufklärungspannen sein Amt aufgeben. Er wurde in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Trotz dieser öffentlichkeitswirksamen Schritte scheint es manchen Parlamentariern im Bundestag, als würden ihnen von Amtsseite weiter Steine in den Weg gelegt. So erhob der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), gestern schwere Vorwürfe gegen einen weiteren der drei deutschen Nachrichtendienste: den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Der Bundestagsabgeordnete beklagte sich in der ARD darüber, dass der MAD "sich weigert, dem Untersuchungsausschuss die Akten zukommen zu lassen. Das wird noch viele Diskussionen geben - so geht's jedenfalls nicht. Ich habe schon den Eindruck, wir werden da ein bisschen behindert bei der Aufklärung." Vom MAD folgte keine Reaktion.
Bekannt ist zumindest, dass der Dienst seit Jahren in der Kritik steht und von Reform- und Auflösungsforderungen begleitet wird. Gegründet wurde er 1956, um die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium gegen "sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten" zu schützen. Der in Köln beheimatete Dienst kämpft mit 1200 Mitarbeitern gegen Sabotage und Spionage bei der militärischen Landesverteidigung. Nach Ansicht der FDP benötigt der MAD dringend eine Generalüberholung. Die Liberalen monieren Doppelstrukturen mit anderen Diensten. Auch der Bundesrechnungshof fordert, den MAD stärker zu verkleinern, als es der Bundesregierung bisher lieb ist. Zu den Kritikpunkten beim MAD gehört die Zuständigkeit für Extremismus- und Terrorismusabwehr in der Bundeswehr. Diese könne laut Expertenmeinung an das Bundesamt für Verfassungsschutz abgegeben werden.
Doch das Amt steckt bekanntlich selbst weitaus tiefer in der Vertrauenskrise als der militärische Dienst. Die seit 1950 tätige Kölner Behörde hat den für die Öffentlichkeit klarsten aller Geheimdienst-Aufträge: Das BfV beobachtet neben Links- und Rechtsextremisten auch die Aktivitäten von Islamisten und ausländischen Extremisten. Die mehr als 2600 Verfassungsschützer im Bundesamt beziehen ihre Informationen zum größten Teil aus sogenannten offenen Quellen: von Zeitungen bis zu öffentlichen Veranstaltungen.
Neben dem Bundesamt halten sich auch die 16 Bundesländer jeweils einen eigenen Verfassungsschutz. Besonders über den Sinn dieser 16 Ämter war im vergangenen Herbst ein Streit entbrannt, nachdem die Ermittlungspannen auch auf eine mangelhafte Kooperation der Länder zurückzuführen waren. Innenausschuss-Vorsitzender Wolfgang Bosbach (CDU) fordert seitdem eine Zusammenlegung von Ämtern und eine Verschlankung der Inlands-Geheimdienste.
Der dritte, größte und teuerste deutsche Dienst auf Bundesebene, der Bundesnachrichtendienst (BND), sammelt seit 1956 für die Regierung und andere Bundesorgane politische, wirtschaftliche, militärische, technische und wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Ausland. Auch diese Behörde musste in jüngerer Vergangenheit mit Skandalen leben. Vor einem Jahr gab der damalige Behördenchef Ernst Uhrlau zu, dass Unterlagen für den Bau der neuen Zentrale in Berlin verschwunden waren. Der BND, der dem Geheimdienst-Koordinator im Kanzleramt unterstellt ist und von der Parlamentarischen Kontrollkommission des Bundestages überwacht wird, hielt dennoch am Bauplan fest. Eigentlich sollte der Umzug von Tausenden BND-Mitarbeitern von Pullach nach Berlin Ende 2015 erledigt sein. Doch jüngsten Berichten zufolge könnte sich das Vorhaben um ein weiteres Jahr verzögen. Demnach soll es in den neuen Gebäuden Probleme mit der Lüftungsanlage geben. Doch gegen die Krise des Verfassungsschutzes wirkt das neuerliche BND-Problem fast schon nebensächlich.