Der Chef des Verfassungsschutzes geht, aber sein Job ist noch nicht beendet
Viele Deutsche glaubten über Jahrzehnte, dass der Verfassungsschutz rechtschaffen und zuverlässig der Sicherung unserer Demokratie diene. Jenes Urvertrauen in die Hüter des Rechtsstaats, in ihre Landesämter und in das Bundesamt, ist seit dem Bekanntwerden des jahrelangen rechtsextremistischen Mordens im November 2011 erschüttert. Der Erschütterung folgte in der vergangenen Woche ein fassungsloses Kopfschütteln, als an die Öffentlichkeit drang, dass maßgebliche Akten nur kurz nach dem Aufspüren der Zwickauer Zelle im Bundesamt vernichtet worden waren.
Nun ist die Phase der Bestürzung eingetreten. Nach zehn Todesopfern hat der Skandal um die Aufklärungspannen das erste politische Opfer gefordert. Deutschlands oberster Verfassungsschützer Heinz Fromm wollte und musste schlussendlich gehen, weil das Vertrauen in seine Behörde nicht mehr gestört, sondern zerstört ist.
Noch ist es zu früh zu beurteilen, wie schwer Fromms persönliche Schuld an den Pleiten seiner Behörde wiegt. Momentan mag er sich als Opfer eines schwer durchdringbaren Apparats fühlen, in dem einer seiner Referatsleiter auf die irrsinnige Idee kommen konnte, hochsensible Informationen in den Reißwolf zu geben. Entweder wollte da jemand etwas vertuschen, die Behörde schützen oder ihr schaden, oder Fromm hatte es schlicht in seinem eigenen Haus an maßgeblicher Stelle mit einem Stümper zu tun.
Ganz gleich, auf welche Weise die neuerliche Schlamperei zu erklären ist: Es ist Fromms Behörde und in Teilen Fromms eigene Personalauswahl, die nicht nur das jahrelange Morden der Neonazi-Terrorzelle übersah, sondern selbst in der jüngsten Aufklärungsphase peinlich versagt hat. Der Fisch stinkt auch in diesem Fall vom Kopf her. Fromm hat den Bundesverfassungsschutz immerhin zwölf Jahre lang geführt.
Obwohl er als erster entscheidender Vertreter einer Innenbehörde die Konsequenzen zieht und zum 1. August offiziell Privatier ist, bleibt Fromm genauso im Fokus der Aufklärungspflicht wie andere führende Köpfe von Sicherheitsbehörden. Sein baldiger Ruhestand darf Fromm nicht davon abhalten, bei der für Donnerstag geplanten Zeugenvernehmung im Bundestags-Untersuchungsausschuss sich seiner neuen Rolle bewusst zu werden.
Bis zum 31. Juli, seinem letzten Arbeitstag, muss er wenigstens jetzt auf der Zielgeraden seines Berufslebens den Chefaufklärer im Dickicht der eigenen Behörde geben. Diese Rolle ist er seinem Amt schuldig, viel mehr aber den Angehörigen der Opfer, die bis heute keine Antwort darauf erhalten haben, warum rechtsextreme Terroristen unbehelligt von Verfassungsschutz und Polizei so lange ihr Unwesen treiben durften.
Waren Sicherheitsapparat und rechte Szene womöglich enger miteinander verwoben? Die Ereignisse lassen den Verdacht zu. Auch deshalb darf unter keinen Umständen der Eindruck entstehen, mit Fromm stehle sich ein Verantwortlicher dieses beispiellosen Sicherheitsskandals klammheimlich aus seiner Pflicht. Sein Job ist noch nicht beendet.
Die Politik, die mit Untersuchungsausschüssen und Expertenkommissionen gegen die Ratlosigkeit angesichts des behördlichen Versagens ankämpft, kann sich einer Reform der deutschen Sicherheitsarchitektur nicht mehr verwehren. Noch im vergangenen November waren sich Experten parteiübergreifend einig, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz gestärkt werden müsse. Nach allem, was inzwischen geschehen ist, wirkt diese Idee nun nicht mehr allzu klug.