Bundesanwaltschaft erhofft sich neue Hinweise auf Zwickauer Neonazi-Trio. Linken-Chefin Lötzsch fordert Schutz für Hinweisgeber. BKA-Präsident Ziercke: Keine Anhaltspunkte für neue rechtsextremistische Terroranschläge.
Berlin. Generalbundesanwalt Harald Range rechnet mit weiteren Belegen für die Nähe der Neonazi-Terrorzelle zur NPD. Die Festnahme des früheren NPD-Funktionärs Ralf Wohlleben am Dienstag weise klar in diese Richtung, sagte Range am Donnerstag in Karlsruhe. Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, ergänzte: "Wir werden noch weitere Beziehungen zur NPD entdecken.“ Zur weiteren Aufklärung setzen die Ermittler jetzt auf eine öffentliche Fahndung. Etwa eine Handvoll weiterer Verdächtiger sei im Visier.
Range stellte aber klar, dass die Bundesanwaltschaft nicht gegen die NPD ermittelt, sondern gegen einzelne Personen, von denen die eine oder andere der NPD nahesteht. Es sei Aufgabe der Politik, daraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen, fügte er mit Blick auf die Diskussion über ein neues NPD-Verbotsverfahren hinzu.
Von den Fahndungsplakaten erhoffen sich die Ermittler Aufschlüsse über Hintermänner und Unterstützer der Neonazi-Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Bislang seien erst knapp 250 Hinweise aus der Bevölkerung eingegangen, sagte Ziercke. Den Ermittlern sei es noch nicht gelungen, die Stationen der Terroristen lückenlos nachzuvollziehen. Er hofft, dass sich Zeugen melden, die Informationen über Wohnungen oder mögliche Arbeitsstellen der Verdächtigen beitragen können. Aber auch Begegnungen auf Park- oder Campingplätzen könnten Aufschluss geben. "Jeder Hinweis ist uns wichtig.“
Im Kreis der Verdächtigen gibt es offensichtlich einen Mann, gegen den zurzeit intensiv ermittelt wird. Er könnte der Gruppe seine Ausweispapiere zur Verfügung gestellt haben, sagte Range. Allerdings sei die Beweisführung nicht einfach. Range deutete an, dass der Verdächtige seine Unterstützung abstreitet und angibt, er habe seine Ausweise verloren.
420 Beamte und zehn Staatsanwälte im Einsatz
Ein Team von rund 420 Beamten und zehn Staatsanwälten ist zurzeit mit der Fahndung beschäftigt - und es soll noch aufgestockt werden. Die Ermittler durchforsten auch tausende alte Fälle mit rechtsradikalem Hintergrund. "Allerdings haben wir es mit einem sehr breiten Spektrum zu tun“, sagte Ziercke. Die NSU habe nicht nur gezielt zehn Morde begangen, sondern auch Splitterbomben gezündet und bei 14 Banküberfällen rund 600.000 Euro erbeutet. Es sei aber durchaus denkbar, dass ihr noch weitere Straftaten zuzurechnen seien.
Die entscheidenden Hinweise ergeben sich nach Zierckes Angaben bislang hauptsächlich aus der Auswertung von rund 2500 Beweisstücken, die vor allem in der ausgebrannten Zwickauer Wohnung der Terrorzelle gefunden wurden. "Das ist ein glücklicher Umstand.“ So sei es gelungen, 56 Fahrzeuganmietungen nachzuvollziehen, davon etwa ein Drittel Wohnmobile. Etliche Mietzeiträume passten mit Tatzeitpunkten zusammen.
Auch in diesem Zusammenhang könnten Zeugen wichtige Details liefern, sagte Ziercke. Dem Bundeskriminalamt seien bereits einige Fotos und Videos von Menschen zugeschickt worden, die sich mit den Verdächtigen bei Urlauben angefreundet hätten. Diese Bilder würden zum Teil auch für die Fahndung verwendet.
Ziercke sieht derzeit keine Gefahr rechtsextremistischer Anschläge
Ob die Hauptverdächtige Beate Zschäpe sowie die drei ebenfalls in Untersuchungshaft sitzenden mutmaßlichen Unterstützer ausgesagt haben oder aussagen wollen, darüber hüllte sich Range in Schweigen. Die Frage nach der Kronzeugenregelung für Zschäpe stelle sich aber derzeit nicht. Range wies zudem erneut Spekulationen zurück, der Verfassungsschutz habe Kontakte zur Terrorzelle unterhalten. Dafür gebe es bislang keine Anhaltspunkte.
Auch dafür, dass weitere rechtsextremistische Anschläge in Deutschland drohen, habe das BKA derzeit keine Anhaltspunkte. Es lägen keine entsprechenden "Gefährdungshinweise“ vor, sagte Ziercke in Karlsruhe. Es gebe auch keine Hinweise dafür, dass eine weitere Gruppe dabei sei, Menschen fremder Herkunft anzugreifen.
+++ Türkischer Minister trifft Angehörige der Nazi-Opfer +++
Die NSU soll unter anderem für bundesweit neun Morde an Kleinunternehmern mit türkischer und griechischer Herkunft in den Jahren 2000 bis 2006 verantwortlich sein. Derzeit sitzen drei mutmaßliche Helfer der Neonazi-Terrorzelle in Untersuchungshaft, außerdem die Hauptbeschuldigte Beate Zschäpe. Die zwei weiteren mutmaßlichen Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten sich am 4. November das Leben genommen.
Linken-Chefin Lötzsch verlangt Schutz für Hinweisgeber
Unterdessen verlangt die Parteivorsitzende der Linken, Gesine Lötzsch, Schutz für Hinweisgeber zum Rechtsterrorismus. Das BKA müsse garantieren, dass Bürger, die Informationen über die Zwickauer Terrorgruppe weitergeben, beschützt werden, sagte Lötzsch am Donnerstag in Berlin. Bisher habe es dazu keine klare Aussage gegeben. Das könne ein Grund dafür sein, dass bisher lediglich 250 Hinweise bei den Behörden eingegangen seien.
Lötzsch zeigte sich zudem von den bisherigen Ermittlungsergebnissen enttäuscht. Das Unterstützer-Netzwerk der Terrrogruppe sei vermutlich "viel größer“ als bisher angenommen. Der "Knoten“ in diesem Netzwerk sei die NPD. Es sei daher nicht nachvollziehbar, dass es noch keine "flächendeckenden Durchsuchungen“ bei NPD-Funktionären gegeben habe, sagte Lötzsch.
Steinmeier: NPD "neu in den Blick nehmen“
Derweil macht sich SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier erneut für einen Neuanlauf zu einem NPD-Verbot stark. "Wir müssen die NPD neu in den Blick nehmen und ein Verbot ernsthaft angehen“, sagte er der "Passauer Neuen Presse“ (Donnerstagausgabe). Die Biografie der Täter zeige, dass die Trennung zwischen einer parlamentarisch aktiven NPD und einer gewaltbereiten Szene außerhalb von ihr künstlich gewesen sei. "Dort ist ein Netzwerk entstanden, in dem die Beteiligten mit verteilten Rollen spielen. Sie arbeiten aber gemeinschaftlich daran, die Grundlagen unserer freiheitlichen Gesellschaft zu zerstören,“ sagte Steinmeier.
Der ehemalige Verfassungsrichter Jentsch sieht Versäumnissen bei Bundestag und Bundesrat im Vorfeld eines neuen NPD-Verbotsverfahrens. "Man hätte das Bundesverfassungsgerichtsgesetz ändern können, bevor man jetzt möglicherweise wieder in die Schlacht zieht“, sagte er der "Mitteldeutschen Zeitung“ (Donnerstagausgabe).
Das Gesetz sehe nämlich vor, dass eine Zwei-Drittel-Mehrheit - also sechs von acht Richtern des zuständigen Senats - für das Verbot stimmen müssten. "Eine einfache Mehrheit reicht. Ich würde das Quorum ändern.“ Wenn man das Gesetz aber jetzt unmittelbar vor Beginn eines womöglich neuen Verbotsverfahrens ändern würde, "dann hätte das ein Geschmäckle“. Im Grunde sei es dafür schon zu spät.
Verfassungsschützer: Waren nicht am Heidelberger Tatort
Die Landesverfassungsschutzämter Bayern und Baden-Württemberg haben dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, derweil versichert, dass nach ihrer Kenntnis keine ihrer Mitarbeiter beim Heilbronner Polizistenmord am Tatort gewesen seien. Dies habe Fromm am Mittwoch in der Sitzung des Bundestags-Innenausschusses berichtet, wie die "Passauer Neue Presse“ (Donnerstagausgabe) aus Teilnehmerkreisen erfuhr.
Das Hamburger Magazin "Stern“ hatte berichtet, dass bei dem Mord an der Polizistin Michèle Kieswetter in Heilbronn Verfassungsschützer Augenzeugen gewesen sein könnten. Dies gehe aus einem geheimen Observationsbericht des amerikanischen Geheimdienstes DIA hervor. Die Agenten hätten zeitgleich mit den Verfassungsschützern in der Nähe des Tatortes Verdächtige eines anderen Verfahrens beobachtet.
Mit Material von dpa, rt r und dapd