Laut neuem Familienbericht wollen sich berufstätige Väter und Mütter mehr um ihre Kinder kümmern. Schwesig fordert Ganztagsbetreuung.
Berlin. Familienministerin Kristina Schröder sagt selbst nur sehr wenig dazu, wie sie ihr Leben zwischen Kind und Kabinett regelt. Ihr Privatleben soll privat bleiben, das hat die junge Mutter schon während ihrer Schwangerschaft klargestellt. Trotzdem dürfte für die CDU-Politikerin gelten, was für alle berufstätigen Eltern gilt: Der Organisationsbedarf ist hoch und der Stresspegel meistens auch. Denn Zeitdruck, das zeigt der achte Familienbericht, der gestern von einer Expertengruppe an die Ministerin übergeben wurde, ist das größte Problem arbeitender Mütter und Väter. Mehr als 40 Prozent der Eltern mit minderjährigen Kindern leiden demnach oft oder immer unter Zeitdruck. Zudem gaben 63 Prozent der Väter und 37 Prozent der Mütter an, zu wenig Zeit für ihre Kinder zu haben. Auch aus Sicht der Kinder im Alter zwischen sechs und elf Jahren haben zwei Drittel ihrer Väter und ein Drittel der Mütter zu wenig Zeit für sie.
+++Bericht: Familienministerium verschleuderte Millionen Euro+++
"Der Wunsch nach mehr Zeit für Familien eint alle Familien und ist noch stärker ausgeprägt als der Wunsch nach mehr Geld", sagte Schröder. "Zeitpolitik für Familien" heißt deshalb ihr neues Projekt, bei dem es nicht nur um finanzielle Mittel oder Betreuungsplätze gehen soll, sondern eben vor allem darum, Müttern und Vätern mehr Flexibilität und Souveränität zu schaffen. "Ob Familien zusammenhalten, ob Eltern und Kinder füreinander da sein können, ist in erster Linie eine Frage der Zeit." Konkrete Maßnahmen will Schröder jetzt auf Grundlage des neuen Berichts erarbeiten. Ganz einfach dürfte das jedoch nicht werden - denn das Thema ist komplex und vielschichtig. So sei es zum Beispiel nicht nur wichtig, dass die Öffnungszeit der Kita mit der eigenen Arbeitszeit übereinstimmt, sondern auch dass der Bus zu den richtigen Zeiten fährt und sich Ämter und Behörden auf die zeitlichen Bedürfnisse von Familien einstellen. Hier sind dann die Kommunen gefragt. Ein anderer wichtiger Teil fällt den Arbeitgebern zu: Der Bedarf an 30- und 35-Stunden-Stellen sei groß, so Schröder. Auch Heimarbeit würde Familien helfen.
Dabei geht es zu einem großen Teil weiterhin um die Frauen, die nach wie vor die Hauptrolle bei der Familien- und Erziehungsarbeit spielen, mehr als zwei Drittel der Frauen gaben laut Familienbericht an, sie seien für den überwiegenden Teil dieser Aufgaben verantwortlich. 28 Prozent der Frauen mit einer Teilzeitstelle würden gern mehr arbeiten, wenn dies besser mit der eigenen Familie vereinbar wäre. Dagegen arbeiten Väter oft mehr, als es ihren Wünschen entspricht. So machen 67 Prozent der Männer mit minderjährigen Kindern zumindest gelegentlich Überstunden. Gregor Thüsing, Chefautor des Familienberichts, appellierte an Gewerkschaften und Arbeitgeber, Modelle zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiterzuentwickeln. "Familien-Zeitpolitik" müsse bei jedem Gesetz, jeder Tarifvereinbarung und anderen Regelungen ins Blickfeld rücken. Die Kommission schlug zudem arbeitsrechtliche Änderungen vor, um etwa bei betriebsbedingten Kündigungen Väter oder Mütter besserzustellen als Beschäftigte ohne Kinder. Die Familienministerin bemängelte, die Arbeitswelt habe mit den gesellschaftlichen Entwicklungen nicht Schritt gehalten.
Die Arbeitswelt müsse sich nach den Bedürfnissen der Familien richten und nicht umkehrt, forderte auch die SPD-Vizevorsitzende und Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig. "Familien in Deutschland haben es nach wie vor schwer", sagte sie dem Abendblatt. "Ihnen fehlen Zeit, Geld, Infrastruktur und auch Wertschätzung." Dies werde auch aus dem Familienbericht deutlich. "Wir brauchen deshalb einen konsequenten Ausbau der Kinderbetreuungsplätze, der Ganztagsschulen und mehr Teilzeitangebote", betonte die Ministerin. "In Kitas muss es mehr Ganztagsangebote geben, damit die Mütter und Väter auch ganztags arbeiten können." Mit Schröders Engagement ist sie allerdings nicht zufrieden. "Hier gibt es noch einen großen Nachholbedarf, und die Bundesfamilienministerin duckt sich weg und hofft, dass sich alles irgendwie regelt", kritisierte Schwesig.
Nach Ansicht der Sachverständigen muss auch die Betreuung in den Schulferien ausgebaut werden. Das deutsche Schulsystem mit seinem Vormittagsunterricht und 14 Wochen Schulferien stelle berufstätige Eltern vor "beinahe unlösbare Probleme". An der Kitaplatz-Garantie ab 2013 hält Schröder fest. "Daran wird nicht gerüttelt", betonte sie. Damit reagierte sie auf Warnungen des Deutschen Städtetags, der die pünktliche Verwirklichung des Rechtsanspruchs infrage gestellt hat.