Er trägt rote Schuhe, früher machte seine Schwester den Haushalt, Bruder Georg ist sein Vertrauter. Die privaten Seiten von Papst Benedikt XVI.
Rom/Berlin. Die Schuhe sind rot, aber nicht von Prada. Von Gucci sind die edlen, handgefertigten Fußkleider ebenfalls nicht. Denn die Schuhe von Papst Beendikt XVI. – zwei Paar Winterschuhe, zwei für den Sommer – stammen von Adriano Stefanelli, einem Schumacher aus Novara. Wie Stefanelli einst in der „Süddeutschen Zeitung“ enthüllte, tragen auch der russische Patriarch Alexius II., Ferrari-Chef Luca di Montezemolo und der ehemalige polnische Arbeiterführer Lech Walesa seine Produkte. Was weiß man sonst über den Mann, die Figur, den exzellenten und streitbaren deutschen Theologen Joseph Ratzinger, der am 19. April 2005 völlig überraschend zum Papst Benedikt XVI. wurde?
Sicher, er fuhr einen VW Golf, der später bei Ebay versteigert wurde. Dann ist da sein Bruder Georg, mit dem er sich regelmäßig trifft. Er ist die wichtigste Stütze im privaten Leben von Papst Benedikt, der umgeben ist von einem Stab aus Helfern, Ratgebern, Ärzten und stillen Dienern. Nach kirchlicher Zählung ist Benedikt der 265. Papst, der erste Deutsche im Amt seit fast 500 Jahren. Die Deutschland-Reise ist sein 21. Auslands-Trip, die dritte Reise nach Deutschland nach den Besuchen zum Weltjugendtag in Köln und der Reise nach Bayern.
Seine biografischen Daten im Kurzdurchlauf: Geboren am 16. April 1927 als Joseph Ratzinger im oberbayerischen Marktl am Inn, am 29. Juni 1951 in Freising zum Priester geweiht. 1957 Habilitation an der Universität München im Fach Fundamentaltheologie, am 25. März 1977 von Papst Paul VI. zum Erzbischof von München und Freising ernannt, am 28. Mai 1977 Bischofsweihe, am 27. Juni 1977 zum Kardinal ernannt. Am 25. November 1981 beruft Papst Johannes Paul II. Ratzinger zum Präfekten der Glaubenskongregation.
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Ratzinger ist ein Mann des Wortes. Er ist ein Erfolgsautor. Mit dem zweiten Band seiner Jesus-Trilogie, der in diesem März erschienen ist, belebte er den Absatz religiöser Bücher. Auch Benedikts Interviewbuch „Licht der Welt“, aufgeschrieben von Peter Seewald, fand großes Interesse. Erstaunlich, dass in Margot Käßmann, ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, ebenfalls eine Kirchenfrau Bestseller geschrieben hat. „Mein Bruder, der Papst“ – ebenfalls gut verkauft – ist der Titel eines Buches, in dem Georg Ratzinger im Gespräch mit Joseph Hesemann aus dem privaten Leben Benedikts erzählt. Wenige Tage vor dem Papstbesuch erscheint die 700 Seiten starke Biografie „Benedikt XVI. – Der deutsche Papst“ von Andreas Englisch.
Am 29. Juni dieses Jahres feierten die Ratzingers Georg und Joseph den 60. Jahrestag ihrer Priesterweihe. Charakterlich sind sie arg verschieden: Der eine galt als in sich gekehrt und der Wissenschaft verschrieben, Georg gab sich lebensfroh und leutselig. In ihrer gemeinsamen Zeit im Traunsteiner Knabenseminar hatten sie Spitznamen. Der eine hieß „Bücherratz“, weil er sich in dicke Wälzer vertiefte, der andere „Orgelratz“, weil er nicht von der Orgel lassen konnte.
Bruder Georg hing nach Priesterweihe und Kaplansjahren noch ein Kirchenmusikstudium samt Meisterdiplom in München an. 1964 wurde er Domkapellmeister und Leiter der Domspatzen nach Regensburg. 30 Jahre lang verantwortete er die Kirchenmusik am Dom St. Peter und reiste mit dem Knabenchor um die halbe Welt. Als Georg Ratzinger im Sommer 1994 sein letztes Domamt dirigiert, kommt sein Bruder aus Rom und hält den Abschiedsgottesdienst. Zu allen Jubiläen und runden Geburtstagen haben sich die Brüder Georg und Joseph gegenseitig besucht. Bis zu ihrem Tod 1991 gehörte auch Schwester Maria dazu, die Joseph Ratzinger jahrzehntelang den Haushalt führte.
Georg Ratzinger sagte einmal: „Auch wenn mein Bruder nun Papst ist, er bleibt für mich der Joseph.“ Sein Wunsch nach einer direkten Telefonverbindung zur Wohnung des Papstes wird rasch erfüllt. Über eine Geheimnummer können die beiden jederzeit miteinander „ratschen“. Sie redeten dann über Belangloses wie das Wetter daheim oder gemeinsame Bekannte, verriet Georg Ratzinger.
Als im Zuge des Skandals um Missbrauch und Misshandlungen auch Fälle bei den Regensburger Domspatzen bekannt wurden, sagte Georg Ratzinger: Auch er habe Buben in Chorproben die eine oder andere Ohrfeige verpasst hat. Seine späte „Beichte“ bringt ihm Respekt ein, während andere Kirchenmänner Verfehlungen hartnäckig abstreiten.
In der Anfangszeit seines Pontifikats hat sich Benedikt mit Äußerungen zum Judentum, Reformen in der Kirche und im Umgang mit Abtrünnigen Kritik eingehandelt – bei Gläubigen und in der Fachwelt. Aber: Der Papst reiste nach Deutschland und Polen, das Land seines Vorgängers. Er besuchte Auschwitz und schien um einen verbesserten Dialog mit den anderen Weltreligionen bemüht. Vor allem mit Jugendlichen verstand er sich überraschend gut, was seine Besuche bei Weltjugendtagen zeigen. Doch schon seine Regensburger Rede mit ihren missverständlichen Passagen zu den Muslimen weckte das Misstrauen der Papst-Kritiker.
Die Erlaubnis zur Messe nach tridentinischem Ritus befeuert diese Skepsis. Es wirkte wie ein Bruch mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das die Katholiken als Aufbruch in die Moderne empfanden. Warum sollte plötzlich der Priester wieder mit dem Rücken zu den Gläubigen stehen können? Juden empfanden es als Affront, dass zu Ostern 2008 wieder eine umstrittene Karfreitagsfürbitte kirchentauglich wurde, in der quasi für die Juden als verirrte Gläubige gebetet wird.
Und dann gab es die unselige Diskussion um die Holocaust-Leugner um den britischen Bischof Richard Williamson, die Pius-Bruderschaft. Dabei ist gerade die Aussöhnung Benedikts großes Anliegen. In Deutschland wird viel von seinen Worten erwartet – auch von denen im Bundestag. Ein wieder verheirateter Katholik als Bundespräsident (Wulff), eine evangelische Pastorentochter als Kanzlerin (Merkel), ein schwuler Bürgermeister (Wowereit), muslimische Politiker in christdemokratischen Parteien und eine große Anti-Papst-Bewegung werden Benedikt zu denken geben. Dass er ein großer Theologe ist, geben selbst Kirchenkritiker wie Uta Ranke-Heinemann zu. Sie muss es wissen. Sie hat mit Joseph Ratzinger studiert. (ryb)