Mit ihren Rentenreformplänen versucht Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, endlich wieder einen großen Wurf zu landen.
Hamburg. Es gibt Leitsprüche in der deutschen Politik, die so allgemein gehalten sind, dass sie gewissermaßen zu einer Art kleinster gemeinsamer politischer Nenner geworden sind. Dass sich Arbeit lohnen muss, ist einer davon. Seit einigen Tagen nun hat Ursula von der Leyen eine weitere Grundweisheit gekapert, die da lautet: Wer sein Leben lang arbeitet und fürs Alter vorsorgt, muss nach seinem Berufsleben eine ordentliche Rente bekommen.
Mit einer Abwandlung dieser Prämisse ist es der Bundesministerin für Arbeit und Soziales auf einen Schlag gelungen, die mediale Berichterstattung zu dominieren. Von der Leyen hatte zum Auftakt des von ihr initiierten Rentendialogs am Mittwoch eine aus Steuergeldern finanzierte Zuschussrente für Geringverdiener ins Gespräch gebracht. Im Bundestag erklärte die Ministerin, es gehe ihr um Menschen, die ihr Leben lang in "ganz kleinen Jobs" gearbeitet hätten, deren Renten aber am Ende nicht ausreichen würden. "An diese Schwachstelle müssen wir ran."
+++ Zuschussrente gegen die Altersarmut +++
+++ Von der Leyen lehnt Sockelrente ab +++
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Die Zuschussrente soll dazu führen, dass Kleinrentner monatlich mindestens 850 Euro zur Verfügung haben. Bei den Renten für Frauen sollen die Kindererziehungs- und Pflegezeiten angerechnet werden. Frührentner sollen höhere Zuverdienstmöglichkeiten erhalten, zudem soll die Erwerbsminderungsrente angehoben werden.
Inzwischen schlägt der Arbeitsministerin allerdings aus zahlreichen Richtungen Widerstand entgegen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und mehrere Sozialverbände lehnen die Pläne als unzureichend ab. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles warf von der Leyen vor, ihre Vorschläge seien "nicht ganz ernst gemeint". Die Ministerin habe "so viele Hürden aufbaut, über die Leute dann springen müssen, dass am Ende nur noch wenige Tausend Leute das Ganze in Anspruch nehmen können", sagte sie im NDR. Sie forderte eine Sockelrente mit leichteren Zugangsvoraussetzungen. In die gleiche Richtung geht auch der Vorstoß der Linken. Parteichef Klaus Ernst fordert die Bundesregierung auf, eine gesetzliche Mindestrente einzuführen. Nach den Vorstellungen der Linken soll sie bei 850 Euro liegen. Auch die CSU begrüßte zwar Rentenzuschüsse, kritisierte aber von der Leyens Bezugskriterien als zu streng gefasst.
Vom Ansatz her ist es kein schlechtes Konzept, das die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende ins Gespräch bringt. Doch der 52 Jahre alten Ministerin dürfte es nicht nur um bessere Ausgangsbedingungen für Rentner gehen. Es darf vermutet werden, dass es Ursula von der Leyen vor allem um die Zukunft von Ursula von der Leyen geht. Am neuen Vorstoß der Vorzeigefrau der Union lässt sich einiges über die Art und Weise ablesen, in der sie Politik betreibt.
Die blonde Niedersächsin ist so etwas wie die Überfrau der Union. Neben dem inzwischen zurückgetretenen Verteidigungsminister und CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg galt sie als Nachwuchs-Shootingstar: Erst 2003 wurde sie als niedersächsische Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit über Landesgrenzen hinweg bekannt, 2005 berief Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel von der Leyen in ihr Wahlkampf-Kompetenzteam und machte sie anschließend zu ihrer Bundesfamilienministerin. Seit 2009 ist von der Leyen Bundesministerin für Arbeit und Soziales - und verfügt damit über den größten Etat aller Ministerien.
Von der Leyen hat die Begabung, Politik zu inszenieren. So brachte sie zu den Hartz-IV-Verhandlungen Ende 2010 selbst gebackene Plätzchen mit - worüber die Medien rechtzeitig informiert wurden. In Partei und Ministerium kommt die als perfektionistisch geltende Berufspolitikerin dagegen weniger sympathisch an: Der "Spiegel" berichtete, Mitarbeiter würden sich gemobbt fühlen. Äußerlich gibt sich von der Leyen aber niemals eine Schwäche, ihre Mimik hat sie perfekt unter Kontrolle: Zumeist tritt sie freundlich lächelnd auf oder sorgenvoll dreinblickend vor die Kameras. Selbst beim politischen Gegner zollt man ihrem Pokerface Achtung. Auch gegenüber Journalisten versteht sie es, sich bei Bedarf zu verschließen. "Das eiserne Röschen" hat der "Spiegel" sie bereits genannt.
In Debatten um mögliche Merkel-Nachfolger fiel neben Guttenbergs früher auch immer wieder von der Leyens Name. Doch während Guttenberg einzig die Bundeswehr-Reform als große Bühne zur politischen Inszenierung nutzte, tanzte die Sozialpolitikerin auf jeder Hochzeit, die sich ihr bot. Gelegentlich hatte sie dabei Fortune: Als die Staatskasse noch voll war, durfte sie als Familienministerin 2007 das Elterngeld einführen und sich später für einen Krippenausbau einsetzen. Als Arbeitsministerin musste sie zwar erklären, warum Hartz-IV-Empfängern mit nur fünf Euro im Monat mehr geholfen werden sollte, doch darf sie immerhin in ihrem Amt inzwischen sinkende Arbeitslosenzahlen verkünden.
Doch dazwischen reihte von der Leyen zahlreiche politische Initiativen, die wegen ihrer Folgenlosigkeit auch als missglückte Würfe gedeutet werden könnten: für Internetsperren von kinderpornografischen Seiten, für den Bildungsgut-Chip für Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Einen Dämpfer erhielt die ehrgeizige Christdemokratin, als Kanzlerin Merkel sie im vergangenen Jahr einige Tage im Glauben ließ, mögliche Präsidentschaftskandidatin zu sein - um dann doch Christian Wulff auszusuchen. Immerhin wurde von der Leyen kurz darauf mit dem Posten der stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden entschädigt.
+++ Wer arbeitet, braucht eine Rente über der Sozialhilfe +++
Für von der Leyen war das kein Grund, ruhiger zu werden. Sie will über ihre Ressortgrenzen hinweg omnipräsent sein, gerne wildert sie dabei auch im Kompetenzbereich ihrer Nachfolgerin im Familienministerium, Kristina Schröder. Zugleich ist von der Leyen deutlich bemüht, sich von Angela Merkel freizuschwimmen: beispielsweise bei ihrem vehementen Einsatz für eine Frauenquote, für den die Kanzlerin sie später kritisierte. Zuletzt forderte die Ministerin in der Debatte um Euro-Hilfen von Nehmer-Ländern Garantien wie beispielsweise Goldreserven - auch hier blitzte sie bei der Kanzlerin ab. Doch Niederlagen lächelt von der Leyen professionell weg.
Die Rentendebatte könnte für von der Leyen zu einem ähnlichen Fiasko werden. Für diesen Fall hat von der Leyen vorgesorgt: Den weiteren Rentendialog hat sie auf Expertenebene ausgelagert, die Beratungen können noch mehrere Wochen lang dauern. Ihren Auftritt hat die Ministerin bis dahin gehabt. Gut möglich, dass sie dann schon wieder woanders tanzt.