Aber über die Rente mit 69 wird man wegen der Alterung der Gesellschaft bald nachdenken müssen, sagt der Wirtschaftsexperte Bert Rürup.
Bei den in Deutschland historisch gewachsenen Sozialversicherungen als Teil der sozialstaatlichen Einrichtungen geht es um die kollektive, solidarische Absicherung der Einkommens- und Vermögensrisiken als Folge von Krankheit, Unfällen, Alter, Erwerbsunfähigkeit, Tod, Arbeitslosigkeit und Pflegebedürftigkeit. Die Ausgestaltung der Sozialversicherungszweige ist dabei im ständigen Fluss. Ich prognostiziere, dass nicht nur bei uns die Entwicklung in Richtung eines "hybriden Sozialstaats" geht. Mit diesem von Frank Berner eingeführten Begriff soll ausgedrückt werden, dass die herkömmliche Trennung "öffentlich" versus "privat" bei dem Schutz gegen die Lebensrisiken einer Kooperation weicht zwischen staatlichen (solidarischen) und (regulierten) privaten Absicherungsformen.
Im Bereich der Alterssicherung - anders als bei der Kranken- und Pflegeversicherung - ist der hybride Sozialstaat bereits deutlich erkennbar. Norbert Blüm war der erste Sozialminister, der 1998 eine Beitragssatzobergrenze - 24 Prozent bis 2030 - in seinem Reformgesetz festschreiben ließ. Walter Riester hat diesen Paradigmenwechsel vorangetriebenen. Um die Beitragssatzobergrenze von 22 Prozent bis 2030 einzuhalten, wurde das Ziel eines stabilen Rentenniveaus aufgegeben und durch ein Mindestsicherungsniveau ersetzt. Dadurch wird die Rentenversicherung perspektivisch zu einer Basisversorgung, die mit staatlich subventionierten privaten (Riester-)Renten und/oder Betriebsrenten ergänzt werden muss, wenn man im Alter in etwa den Lebensstandard aufrechterhalten will.
Im Jahr 2000 entfielen bei einem durchschnittlichen Zwei-Personen-Rentnerhaushalt etwa 85 Prozent des Alterseinkommens auf Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und 15 Prozent auf die private Vorsorge oder Betriebsrenten. Auf der Basis des geltenden Rechts wird sich dieses Mischungsverhältnis in den nächsten 30 Jahren auf etwa 60 zu 40 Prozent verschoben haben. In den USA beläuft sich diese Relation auf 50 zu 50 und in der Schweiz auf etwa 40 zu 60 Prozent.
Da die Bevölkerungsalterung weitergehen wird, wird es auch in der Zukunft Rentenreformen geben. Heute benötigt ein Durchschnittsverdiener etwa 27 Beitragsjahre, um einen Anspruch aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe der Grundsicherung im Alter zu erwerben: derzeit etwa 680 Euro im Monat. Auf der Basis des geltenden Rechts werden im Jahr 2030 dazu mehr als 32 Jahre erforderlich sein. Da ein Rentensystem seine Legitimation verliert, wenn der Rentenanspruch eines Durchschnittsverdieners sich kaum vom Sozialhilfeanspruch unterscheidet, schließe ich weitere über die bereits beschlossenen Einschnitte hinausgehende Leistungsrücknahmen aus.
Es ist verfehlt, bereits heute - wie vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung empfohlen - das Renteneintrittsalter bis 2060 auf 69 Jahre anzuheben. Ich bin mir aber sicher, dass wir in 20 Jahren angesichts der perspektivisch weiter steigenden Lebenserwartung ernsthaft über eine weitere Erhöhung diskutieren werden. Vorher sollte aber erst einmal die Rente mit 67 durch eine Reform der Erwerbsminderungsrente und durch neue Regeln eines flexiblen Ausstiegs aus dem Arbeitsleben flankiert werden.
Altersarmut ist in den letzten Jahren gestiegen aber mit 400 000 Empfängern - dies sind 2,3 Prozent der über 65-Jährigen - noch kein relevantes gesellschaftliches Problem. Ein großer Teil davon hat aber nie in die Rentenkasse einbezahlt. Mittelfristig wird dieses Risiko aber steigen. Als eine Antwort auf dieses Problem erwarte ich, dass perspektivisch der Versichertenkreis der gesetzlichen Rentenversicherung auf alle Selbstständigen ausgeweitet werden dürfte - sofern diese nicht anderweitig obligatorisch abgesichert sind. Zudem erwarte ich, dass langjährig vollzeitig Beschäftigte (z. B. mindestens 35 Beitragsjahre) nach z. B. schwedischem Vorbild auf jeden Fall eine Rente knapp oberhalb der Grundsicherung bekommen, um nach einem erfüllten Arbeitsleben nicht auf Fürsorgeleistungen angewiesen zu sein. Solch eine Aufstock- oder Sockelrente würde die Akzeptanz der gesetzlichen Rentenversicherung für Geringverdiener erhöhen und gleichzeitig einen Anreiz darstellen, die generöse Förderung des privaten Altersvorsorgesparens auszunutzen. Ordnungspolitisch korrekt sollten die aufgestockten Rentenanteile aus Steuern finanziert werden.
Der Text ist ein Auszug aus einer Rede, die Prof. Bert Rürup heute in Hamburg zur Preisverleihung des renommierten Dienstes für Gesellschaftspolitik hält.